Neuer Adveniat-Chef: „Romero hat mich nicht mehr losgelassen“
Die Ermordung von Erzbischof Oscar Romero 1980 gab für den Jesuitenpater Martin Maier den Anstoß, sich mit Lateinamerika und der Befreiungstheologie zu beschäftigen. Jetzt ist Maier neuer Hauptgeschäftsführer des Hilfswerkes Adveniat. Er ging als junger Priester nach El Salvador – mitten im Bürgerkrieg - und wäre fast selbst von Todesschwadronen ermordet worden. Zum 1. September 2021 wurde er neuer Hauptgeschäftsführer des katholischen Lateinamerika-Hilfswerkes Adveniat.
Himmelklar: Es gibt immer viel zu tun in Lateinamerika: Der Kontinent ist von der Corona-Pandemie extrem getroffen. Anfang des Monats kam noch dieses schreckliche Erdbeben in Haiti, das dieses krisengeschüttelte Land einfach nicht auf die Beine kommen lässt. Gleichzeitig findet Lateinamerika in der deutschen Öffentlichkeit und in den Medien eher am Rande statt. Wie oft haben Sie in den letzten Tagen gedacht: Neuer Adveniat-Chef - Das ist aber eine ganz schöne Herkules-Aufgabe?
Pater Martin Maier SJ (zum 1. September 2021 neuer Hauptgeschäftsführer des katholischen Lateinamerika-Hilfswerkes Adveniat): Ich habe durchaus Respekt vor dieser neuen Aufgabe, aber ich freue mich auch drauf, weil ich persönlich eine recht lange Geschichte mit Lateinamerika habe: Ein Teil meines Herzens ist in El Salvador geblieben, wo ich von 1989 bis 1991 gelebt habe. Ich liebe die Menschen. Von daher komme ich dorthin, wo ich eigentlich immer wieder gerne war und darauf freue ich mich.
Jesuiten und Europa
Himmelklar: Sie waren bislang der Beauftragte am „Jesuit European Social Centre“ (JESC) in Brüssel. Das ist so etwas wie eine christliche Interessenvertretung bei bei den europäischen Institutionen. Europa ist ein großer bürokratischer Apparat - wie schwierig war es, da etwas zu verändern?
Maier: Die europäische Einigung ist eine ganz große Erfolgsgeschichte: Ein Kontinent, der sich jahrhundertelang in Kriegen bekämpft hat, findet nach dem Zweiten Weltkrieg zur Einigung und zur Versöhnung. Da waren auch christliche Politiker federführend, wie Konrad Adenauer oder Robert Schuman aus Frankreich, für den übrigens ein Seligsprechungsverfahren in Rom läuft. Und wesentliche Bausteine der Europäischen Union basieren auf der katholischen Soziallehre: Menschenwürde, Solidarität, Subsidiarität. Das versuchen wir in Brüssel im Gespräch mit den Institutionen zu vermitteln und das ist nicht immer einfach.
Und es ist richtig: Es gibt Defizite. Aber das liegt in der Natur der Europäischen Union, wo sich derzeit 27 Staaten zusammenraufen müssen und der Schlüssel ist der Kompromiss. Es gibt Bedrohungen, die größte sehe ich derzeit in der Frage der Rechtsstaatlichkeit. Das betrifft vor allem Polen und Ungarn, wo Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit, Gewaltenteilung, Unabhängigkeit der Justiz infrage stehen.
Die Geschichte der EU ist eine Geschichte von Krisen, sie ist auch immer wieder eine Geschichte der mühsamen Suche nach Kompromissen. Aber ich sage es noch einmal: Jahrhundertelang ist das auf Schlachtfeldern geschehen und die große Errungenschaft der EU ist, dass heute diese Fragen am Verhandlungstisch ausgetragen und diskutiert werden.
Die Ermordung Romeros
Himmelklar: Sie sind als junger Priester im Jahre 1989 nach El Salvador gegangen. Dort war zuvor der inzwischen heiliggesprochene Erzbischof Oscar Romero ermordet worden ist. Als Sie dort hingingen, tobte in dem Land ein Bürgerkrieg, einer der brutalsten und längsten auf dem ganzen Kontinent. Hatten Sie keine Angst?
Maier: Romero war es, weshalb ich mich begann, für El Salvador zu interessieren. Als er 1980 ermordet wurde, war ich im Noviziat. Ich habe noch in lebendiger Erinnerung, wie ds damals in der Tagesschau gemeldet wurde. Danach ging ich in die Kapelle und habe gebetet und darüber meditiert. Auf der einen Seite habe ich ihn bewundert, weil er den Weg Jesu bis zur letzten Konsequenz gegangen ist und auf der anderen Seite war ich entsetzt, dass ein Bischof während der Heiligen Messe ermordet wurde.
Romero hat mich nicht mehr losgelassen und mir kam die Idee, in El Salvador Theologie zu studieren. Das war 1989, damals habe ich über die Theologie der Befreiung von Jon Sobrino und von Pater Ignacio Ellacuría promoviert und ich bin dann sehr schnell auch mit einem Mitbruder an den Wochenenden in die Landpfarrei Jayaque gefahren. Dort habe ich die Menschen kennengelernt und wurde ungemein herzlich und liebenswürdig aufgenommen. Von daher war es mehr Freude als Angst. Aber natürlich habe ich dort auch den Krieg am eigenen Leib erfahren.
Aufenthalt in El Salvador
Himmelklar: Sie hätten eigentlich auf dem Campus der Universität in San Salvador bei den Jesuiten wohnen sollen. Doch da waren durch Zufall alle Gästezimmer besetzt und sie kamen woanders unter. Und einige Wochen später gab es dort auf dem Campus einen Anschlag rechter Todesschwadronen, die sechs Jesuiten und die Haushälterin und ihre Tochter ermordeten. Da hätten Sie auch treffen können, wenn Sie dort gewohnt hätten?
Maier: Ja. Ich wohnte in einem anderen Haus der Jesuiten, zehn Minuten Fußweg entfernt. Aber ich kannte die Köchin Elba Ramos und ihre Tochter Celina sehr gut, weil sie auch für uns kochte. Sie hatte auch an jenem 15. November für uns gekocht, bevor sie zu meinen Mitbrüdern rüberging. Die Mörder hatten den Befehl: Alle umbringen, keine Zeugen übriglassen. Und als sie auf Elba und Celina stießen, fragten sie beim Vize-Verteidigungsminister nach und bekamen den Befehl: Bringt sie um. Das war für mich damals besonders erschütternd.
Himmelklar: Das zeigte zugleich aber auch, wie gefährlich es war, in diesem Land zu leben, wo nach dem Mord an Romero auch die Kirche im Fokus stand?
Maier: Es war gefährlich für die, die den Weg Oscar Romeros gingen und die Option für die Armen ernst nahmen, das Programm, das sich die Kirche in Lateinamerika nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil gegeben hat. Viele Priester und Ordensleute wurden getötet, aber wichtig zu sehen ist auch: Es wurden noch mehr Laien ermordet, es waren
75.000 Zivilisten und Zivilistinnen, die während des Bürgerkrieges in El Salvador getötet wurden.
Schon 1977 wurde den Jesuiten in El Salvador gedroht, sie sollten innerhalb eines Monats das Land verlassen, sonst werde man weitere von ihnen umbringen. Und unser damaliger Generaloberer hat ganz klar gesagt: "Bleibt! Man bewegt die Gesellschaft Jesu nicht mit Drohungen." Daran habe ich mich 1989 erinnert und blieb.
Einer der ermordeten Mitbrüder, Pater Ignacio Martín-Barró war der, der mich nach in die Landpfarrei von Jayaque mitgenommen hat. Nach dem Mord an ihm kamen die
Menschen zu mir und sagten: „Jetzt sind Sie unser Pfarrer!“ Ich war zuerst sehr überrascht und ich habe dann mit dem Provinzial geredet und der sagte dann: „Mach das! Wir brauchen jetzt Jesuiten, die an der Stelle von denen, die umgebracht wurden, weiterarbeiten!“
Himmelklar: Sie sind dann mehrere Jahre in El Salvador geblieben, ein Land, das Sie heute ihre „Herzensheimat" nennen, obwohl dort extreme Armut und Gewalt herrschen. Warum?
Maier: Wegen der Menschen. Ich denke an viele meiner Freunde und Freundinnen in Jayaque, in meiner Pfarrei, wo ich immer wieder zu Besuch bin. Es ist ein wunderschönes Land aber gleichzeitig hat es viele Probleme: Viele Menschen versuchen, in die USA auszuwandern. Das hat mit den Jugendbanden zu tun, mit Schutzgelderpressungen, mit der nach wie vor extremen sozialen Ungerechtigkeit. Es gibt eine sehr, sehr reiche kleine Oberschicht. Die große Mehrheit der Bevölkerung lebt in Armut und Elend. Es ist wie ein kleiner Mikrokosmos Lateinamerikas, wo man, denke ich, alle Schönheiten und alles Faszinierende Lateinamerikas finden kann, aber auch alle Probleme.
„Herzensheimat" El Salvador
Himmelklar: Als Franziskus 2013 Papst wurde, gab es eine Aufbruchstimmung, viele dachten damals: Jetzt wird alles anders. Das erste Mal ein lateinamerikanischer Papst. Viele hofften auf Reformen in der Kirche und Aufklärung der Missbrauchsskandals. Langsam macht sich Enttäuschung breit, manchmal versteht man die Entscheidungen des Papstes auch nicht. Er ist Jesuit wie Sie. Verstehen Sie ihn besser?
Maier: Ja und nein. Es gibt tatsächlich Dinge, die man bei ihm nicht so leicht versteht. Er lebt natürlich aus der Ignatianischen Spiritualität. Das ist eine Spiritualität, wo die Spannung von Gegensätzen eine wichtige Rolle spielt und wo man auf komplexe Fragen nicht mit einem einfachen Ja oder Nein antwortet, sondern wo man Prozesse anstößt.
Und ich meine auch, er hat zentrale Themen gesetzt, angefangen mit der Kirche für die Armen. Dann hat er mit der „Enzyklika Laudato si'" den Zusammenhang zwischen der ökologischen Frage und der weltweiten Gerechtigkeitsfrage aufgezeigt. Seine Initiativen im interreligiösen Dialog: Die gemeinsame Erklärung, die er mit dem Großimam in Abu Dhabi unterschrieben hat. Im Grunde ist die letzte Enzyklika "Fratelli tutti" über Geschwisterlichkeit und soziale Freundschaft auch eine Fortschreibung dieser gemeinsamen interreligiösen Erklärung. Er hat schon Veränderungsprozesse angestoßen, die nur nicht so schnell gehen, wie sich das etliche wünschen. Aber sie schreiten voran.
Ich würde mir manchmal auch wünschen, dass er klarere Entscheidungen trifft. Zum Beispiel vor zwei Jahren bei der Amazonassynode, als es um die Frage ging, ob „viri probati“, also „bewährte“ verheiratete Männer Priestern geweiht werden können. Aber da war er offensichtlich der Ansicht, dass die Zeit dafür noch nicht reif ist.
Himmelklar: War das für Sie auch enttäuschend? Man fragt sich da ja: Wohin will er denn jetzt?
Maier: Ich war auch enttäuscht. Ich hätte mir gewünscht, dass er da ein klareres Zeichen setzt, aber er ist offensichtlich für sich zum Ergebnis gekommen, dass er sagt: Noch nicht. Aber vielleicht entwickelt sich das auch.
Himmelklar: Die aktuelle Nachrichtenlage gibt wenig Grund zur Freude: Die Corona-Pandemie grassiert weiter. Das Drama in Afghanistan, das Erdbeben in Haiti, um nur einige wenige Punkte zu nennen. Woraus schöpfen Sie persönlich Hoffnung?
Maier: Für mich ist eine Quelle von Hoffnung der Heilige Oscar Romero, der selbst viele Gründe gehabt hätte, die Hoffnung zu verlieren angesichts der Gewalt und Brutalität in El Salvador. Wenige Wochen bevor er ermordet wurde, predigte er: „Über diesen Ruinen wird die Herrlichkeit Gottes aufleuchten!" Und das ist vielleicht auch sein wichtigstes Vermächtnis, das er bis heute Menschen Hoffnung gibt und Wege und Auswege zeigt.
Und das steht für mich auch in Verbindung mit den Menschen in El Salvador, die ich kennen und lieben gelernt habe. Wenn ich deren Lebenssituation mit meiner vergleiche und sehe, dass die trotzdem noch lachen und weitermachen, dann steckt mich das an und dann macht mir das auch Hoffnung.
(domradio - mg)
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