Hören: Synodaler Weg in Deutschland Hören: Synodaler Weg in Deutschland  Auf dem weg zur Synode

„Synodalität muss und kann man lernen“

Ordensgemeinschaften haben eine lange Tradition der Synodalität. Von ihnen kann sich die Kirche insgesamt einiges abschauen, wenn sie nun – auf Anregung von Papst Franziskus – mehr Mitsprache „von unten“ will. Wesentlich ist, einander ohne Vorurteil und ohne Agenda zuzuhören, sagte uns Pater Mauritius Wilde, Prior der Benediktinerabtei S. Anselmo in Rom.

Radio Vatikan: Die Benediktiner sind – wie viele katholische Ordensgemeinschaften - quasi synodal organisiert, das heißt, alle haben Anteil an Entscheidungen, die die ganze Gemeinschaft betreffen. Wie sieht das bei Ihnen aus?

P. Mauritius Wilde: Das sieht so aus, dass wir über alle wichtigen Dinge eigentlich immer miteinander reden. Und zwar nicht zwischen Tür und Angel, das auch, sondern in Runden, in denen wir die Dinge wirklich besprechen. Wenn wir eine Entscheidung zu treffen haben, treffen wir uns in formellen Gruppen, vielleicht auch in Generationen geteilt, bis es dann richtige Abstimmungen gibt, Kapitelsitzungen und Ratssitzungen. Synodalität in dem Sinn ist für uns etwas ganz Geläufiges.

Wie gelingt Synodalität? Interview mit P. Mauritius Wilde OSB

Radio Vatikan: Ein Beispiel?

P. Mauritius Wilde: Das gelungenste Beispiel, das ich in meinem Klosterleben erlebt habe, war die Renovierung unser Abteikirche in Münsterschwarzach. Das interessierte alle, denn wenn ich fünf Mal am Tag in diese Kirche gehe und dann immer etwas angucken muss, was mir nicht gefällt, was ich anders renoviert hätte, dann ist der Frust für Jahre vorprogrammiert. Es war also der Wunsch des Abtes und der ganzen Gemeinschaft, dass alle in diesen Prozess der Renovierung einbezogen sind. Sie können sich vorstellen: Da treffen verschiedene ästhetische Wahrnehmung aufeinander, also welchen Stil mag man, da treffen verschiedene Spiritualitäten oder theologische Verständnisse aufeinander, da treffen Generationen aufeinander. Der damalige Abt hat es geschafft, uns einfach so lange diskutieren zu lassen, über mehrere Jahre, bis wir an einem Punkt waren, wo wir gesagt haben - und zwar nicht gedrückt und gepresst: So machen wir es, so ist es gut.

„Wenn ich nicht einbezogen werde in einem Entscheidungsprozess, dann bleibt da etwas in mir sitzen, und dann verhakt sich etwas in meiner Seele“

Radio Vatikan: Also erst war der synodale Prozess, und dann erst wurde gebaut?

P. Mauritius Wilde: Ganz genau. Bei diesem Prozess des Hörens ist das Wichtigste überhaupt, dass jeder etwas sagen darf. Der heilige Benedikt sagt in seiner Regel, eines der schlimmsten Laster sei das Murren. Wenn ich nicht einbezogen werde in einem Entscheidungsprozess, dann bleibt da etwas in mir sitzen, und dann verhakt sich etwas in meiner Seele. Wenn ich stattdessen eingeladen bin, mitzureden, dann kann ich zumindest aussprechen, was mir wichtig ist. Ob das nachher umgesetzt wird, ist eine andere Frage, aber für die Seelengesundheit ist es sehr hilfreich, dass ich mitreden kann, wenn es mich betrifft.

„...dass die Mönche das, was sie zu sagen haben, in Demut vortragen sollen und es nicht hartnäckig verteidigen sollen“

Radio Vatikan: Die synodale Art ist Ordensgemeinschaften wie den Benediktinern von Anbeginn an eingeschrieben, mit der Ordensregel des Hl. Benedikt, die eine Art Haus- und Lebensordnung für Klostergemeinschaften ist. Die ist 1.400 Jahre alt. Was besagt sie zum Thema Synodalität, auch wenn das Wort natürlich nicht vorkommt?

P. Mauritius Wilde: Das taucht schon am Anfang der Benediktsregel auf. Da schreibt der heilige Benedikt, man soll bei wichtigen Fragen alle hören, weil Gott oft den Jüngsten das Richtige eingibt. Wenn es um grundlegende Entscheidungen geht, möchte Benedikt, dass alle gehört werden. Er sagt dazu auch, dass die Mönche das, was sie zu sagen haben, in Demut vortragen sollen und es nicht hartnäckig verteidigen sollen.

„Und ja, das kann man lernen“

Radio Vatikan: Das ist nicht unbedingt grundgelegt in allen – lernt man das im Umgang miteinander in einem Orden?

P. Mauritius Wilde: Ja, das muss man lernen, das ist eine Art der Kultur, die man miteinander entwickelt. Manchmal braucht es einen Moderator, der sieht, ob alle wirklich zu Wort kommen, und wenn die Emotionen hochkochen - was normal und in Ordnung ist - dann moderiert der Moderator. Er versucht da wieder ein Maß reinzubringen. Und ja, das kann man lernen.

P. Mauritius Wilde OSB, Prior von S. Anselmo in Rom
P. Mauritius Wilde OSB, Prior von S. Anselmo in Rom

Radio Vatikan: Synodalität bzw. Demokratie im Orden – wie in der Kirche insgesamt – ist nicht alles, es gibt auch Hierarchie, die in der katholischen Kirche als Garant für Einheit gilt. Wie sieht das Verhältnis von Synodalität und Hierarchie in einem Orden wie den Benediktinern aus?

P. Mauritius Wilde: Das Fundament ist, dass der Abt, der Leiter des Klosters, gewählt ist. Hier haben Sie bereits, wenn Sie so wollen, die Verzahnung zwischen demokratischen und hierarchischen Elementen. Wenn die Gemeinschaft diesen Abt gewählt hat, dann hat sie ihn gewählt und ist auch bereit ihm zu folgen. Zumindest in den wichtigsten Fragen. Also es gibt im Kloster, in den Orden, das synodale Prinzip, die Räte, die beraten, es gibt das Hören. Es gibt aber auch das vertikale Prinzip, einen Oberen, der die letzte Entscheidung hat. Konkret ist das bei uns in den Consuetudines ausgearbeitet, das ist eine Unterabteilung unseres Eigenrechtes. Also wir überlassen es nicht dem Zufall. Ein Beispiel: Der Abt kann in Personalfragen frei entscheiden, ich versetze den Mitbruder von dem einen Ort an den anderen – er sollte die Mitbrüder vorher hören, muss aber nicht. Anders in Geldfragen: Da braucht der Abt den Konsens der Gemeinschaft. Gütergemeinschaft bedeutet, dass alles im Kloster allen gehört. Deshalb gibt es Ausgabengrenzen, also ab wie viel Euro darf das Seniorat bestimmen, ab wie viel Euro muss es ins Kapitel, das ist genau geregelt, und diese Regeln helfen Streit zu vermeiden.

„Das Zweite Vatikanische Konzil war wie eine große Ouverture, aber die Oper kommt jetzt erst noch“

Radio Vatikan: Papst Franziskus wünscht sich mehr Synodalität für die ganze Kirche, deshalb ermutigt er die Ortskirchen zu eigenen synodalen Wegen und widmet die nächste römische Bischofssynode dem Thema Synodalität. Aber Synodalität ist mit Spannungen verbunden. Wundert es Ordensleute aus ihrer eigenen Lebensperspektive heraus manchmal, wie mühsam es ist für die Weltkirche, sich mehr synodal auszurichten?

P. Mauritius Wilde: Es wundert mich eigentlich nicht. Es schmerzt mich ein bisschen. Aber es ist ja wirklich eine Kunst, das zu machen. In einem Benediktinerkloster treffen sich 20 bis maximal 100 Leute, mit denen können Sie so ein Prozess machen. Ich glaube, dass Papst Franziskus nicht nur die altkirchliche Tradition der Synodalität im Blick hat, sondern auch als Jesuit spricht, als Ordensmann - und in den Orden sind wir gewohnt, Synodalität zu leben. Mein Gefühl ist, dass wir das als Kirche erst lernen müssen, oder neu lernen müssen. Das Zweite Vatikanische Konzil war wie eine große Ouverture, aber die Oper kommt jetzt erst noch mit all ihren Teilen. Dass das auch mit Spannungen abgeht, das ist eigentlich klar.

Synodalität: Das Kratzen an der Macht der Machthabenden...?

Radio Vatikan: Die Hierarchie in der Kirche wurde in früheren Zeiten kaum je in Frage gestellt. Das hat sich geändert, zeitverzögert, aber im Gefolge der Herausbildung der demokratischen Gesellschaft. Wir haben also die beiden Pole Synodalität und Hierarchie in der Kirche. Wird das Bild schief, wenn man Synodalität als Kratzen an der Macht der Machthabenden versteht?

P. Mauritius Wilde: Vielleicht müssen wir uns vergegenwärtigen, warum es diese zwei Prinzipien überhaupt gibt im Gegensatz zur weltlichen Demokratie, wo es das hierarchische Element ja nur ganz leicht gibt. Der Grund ist, dass wir an einen Gott glauben. Es ist ein Gott - eben nur einer. Das ist das Hierarchische. Und dann glauben wir, dass dieser eine Gott sich abbildet in jedem Menschen. Dass jeder Mensch ein Bild Gottes ist. Das heißt, die Wahrheit Gottes ist auch in jedem Menschen zu sehen - diese eine Wahrheit! Und das ist die Spannung, eine theologische Spannung eigentlich. Und eine ganz gesunde und gute Spannung. Und wir ringen darum, genau das wahr zu machen, also zu lernen: Was bedeutet es eigentlich, dass Gott durch mich sprechen kann? Aber das heißt nicht gleich, dass ich die gesamte Wahrheit mit Löffeln gefressen habe. Eigentlich kommen wir zu der Wahrheit alle nur miteinander. Und zwar auf dem Weg. Die Wahrheit - oder: das Richtige - entwickelt sich und zeigt sich dann auf dem Weg.

Radio Vatikan: Niemand kann die Wahrheit haben - die Wahrheit hat uns, sie ist etwas Lebendiges, hat Papst Benedikt gesagt. Wenn wir auf die Lage in der deutschen Ortskirche sehen, was kann die katholische Kirche in Deutschland heute von der Synodalität der Orden lernen, was würde ihr guttun, sich abzuschauen?

P. Mauritius Wilde: Es ist wirklich wichtig, ohne Vorurteil zuzuhören - und ohne Agenda. Mir scheint, dass im Synodalen Weg einfach verschiedene Agenden da sind. Man versucht seine Position durchzukämpfen - das ist auch ein Weg und es ist okay, aber ich würde sagen, das ist nicht das, was Synodalität meint. Auch Papst Franziskus hat versucht, das einladend in der deutschen Kirche zu sagen: dass es hier um ein Hören geht auf das, was der Geist uns sagt. Es geht um die Unterscheidung der Geister.

„Am Schluss muss ich offen sein, was da für eine Entscheidung kommt“

Radio Vatikan: Und wie kann man das machen?

P. Mauritius Wilde: Indem man in Beziehung bleibt. Das heißt, dass ich selbst mit dem rede, der eine ganz andere Meinung hat und von dem ich schon vermute, dass er sich gar nicht auf meine Seite ziehen lässt. Aber vielleicht hat er ja doch etwas beizutragen zu meiner Position, zu meinem Weg. Und am Schluss muss ich offen sein, zumindest in einer Ordensgemeinschaft, was da für eine Entscheidung kommt. Und ich muss und darf die dann auch so nehmen und gut sein lassen. Wenn Sie dann hinterher immer noch, obwohl Sie beteiligt waren, an der Entscheidung herummäkeln, dann nützt es niemandem. Diese Demut braucht man. Das heißt nicht, dass das Thema für immer unbeantwortet ist, aber für den Moment, für diese konkrete Gemeinschaft im Moment schon. Aber in Beziehung bleiben, das ist wichtig.

Die Fragen stellte Gudrun Sailer.

(vatican news)

 

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28. September 2021, 09:33