D: Religionsunterricht in Zeiten der Pandemie
Der Religionsunterricht hatte es unter den Bedingungen der Pandemie nicht leicht. Manchmal konnte er nur digital stattfinden, manchmal fiel er auch ganz aus. Susanne Orth ist in der Erzdiözese Freiburg für den katholischen Religionsunterricht zuständig. Die Theologin resümiert die Erfahrungen mit dem Religionsunterricht so:
„Er lebt ja besonders vom Dialog, auch von der Begegnung, von der Auseinandersetzung mit der Lehrkraft. Das ist nur sehr schwer ins digitale Format zu übertragen. Häufig waren die Internetverbindungen schlecht. Schülerinnen und Schüler mustern deswegen ihre Kamera ausstellen. Und dann ist es enorm schwierig, sich über so existentielle Fragen in diesen digitalen Formaten auszutauschen. Viele Religionslehrerinnen und Religionslehrer waren aber sehr kreativ in dieser Situation, haben zum Teil ihre Schülerinnen und Schüler in dieser Situation angerufen oder sind in individuelle Gespräche gekommen. Sie haben mir berichtet, dass zum Teil ganz Neues entstanden ist - sowohl mit Schülerinnen und Schülern, als auch mit Eltern, mit denen sich Fragen zum Glauben, zur dem, was kann unser Leben tragen in einer solchen herausfordernden Situation, ganz neu ergeben haben. Es war eine große Herausforderung für den Religionsunterricht. Aber es haben sich auch ganz neue Chancen gezeigt.“
Josef Önder ist Konrektor einer Realschule in der Nähe von Stuttgart. Er unterrichtet katholische Religionslehre, ist aber gleichzeitig verantwortlich für den syrisch-orthodoxen Religionsunterricht in Baden-Württemberg. Seit vielen Jahren schreibt der syrisch-orthodoxe Diakon Romane und Gebetsbücher mit Schülern seiner Schule. Ein Buch trägt den Titel „Um Himmels Willen - Corona aus Schülersicht“. Je nach individuellem Bekenntnis gehen die Schüler recht unterschiedlich mit der Pandemie um. Das spiegle sich in den aufgeschriebenen Gebeten, sagt der syrisch-orthodoxe Diakon Önder:
„Interessant ist, dass die orthodoxen Schüler sehr, sehr traditionell sind. Man merkt auch, dass es Redewendungen gibt, die eben aus der Tradition herkommen. Evangelische Schüler sind da offener. Und bei den katholischen Schülern merkt man zum Beispiel, dass sie sich an den heiligen Franziskus, an den heiligen Nikolaus wenden.“
Und in Zukunft will der zweifach promovierte Theologe Önder auch muslimische Schülerinnen und Schüler in seine Projekte einbinden. Er sei gespannt, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den christlichen Bekenntnissen dabei sichtbar würden.
Für den islamischen Religionsunterricht in Baden-Württemberg ist Amin Rochdi zuständig. Er sagt, im islamischen Religionsunterricht wie auch in den christlichen Religionsunterrichten spiele die Frage nach den tieferen Ursachen der Pandemie eine zentrale Rolle:
„Tatsächlich sind wir da nah beieinander. Die Frage danach, warum gibt es so etwas überhaupt, wie kann so eine Pandemie überhaupt existieren - das ist auch eine existenzielle Frage in der islamischen Theologie, die aber auch nicht so einfach beantwortet werden kann. Das ist eine Frage, die auch in der Theologiegeschichte immer sehr unterschiedlich beantwortet wurde. Man hört von den Schülerinnen und Schülern: Warum will Gott das? Dann kann man ihnen die Antwort geben: Vielleicht ist die Frage erstmal falsch gestellt. Da ist die Theologie und die Religionspädagogik gefragt, hiermit gut umzugehen.“
Gerade islamische Gemeinden haben Impfkampagnen sofort unterstützt
Jörg Imran Schröter lehrt islamische Theologie und Religionspädagogik in Karlsruhe. Er berichtet, dass die islamischen Gemeinschaften schnell und solidarisch reagiert und staatliche Maßnahmen unterstützt hätten. Sowohl in der religiösen Praxis als auch im Religionsunterricht hätten die Muslime neue kreative Wege und Lösungen gefunden:
„Es ist interessant und auch überraschend, dass gängige Antworten, die man so annehmen könnte, wie „Das ist vielleicht eine Strafe Gottes“ nicht so aufgetreten sind, wie man das vielleicht meinen könnte. Interessant ist, dass gerade von den islamischen Gemeinschaften schon sehr früh Impfkampagnen unterstützt wurden und die Corona-Situation als gefährdend erkannt wurde und man entsprechend reagiert hat und diese Sicherheit und Gesundheit vorausgestellt hat über religiöse Bestimmungen und Gebräuche hinweg.“
So sei von vielen islamischen Gemeinden zum Beispiel die Pflicht zur Teilnahme am Gemeinschaftsgebet aufgehoben worden. Betet zu Hause, sei die Empfehlung gewesen, sagte Schröter. Die Konsequenzen für das religiöse Leben der Muslime seien insgesamt enorm gewesen.
„So etwas ist etwas, was gerade in einem Religionsunterricht, egal welcher Religion und Konfession, aufgefangen und mit jungen Leuten bearbeitet werden kann. Wie sehen wir das religiös? Wie gehen wir damit um? Was kann das für uns bedeuten? Wie sollen wir religiös reagieren? Was ist gottgewollt? Wo ist unsere eigene Verantwortung? Das sind ganz wichtige Fragen, die in einem guten Religionsunterricht gestellt und beantwortet werden können.“
Josef Önder von der Syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien berichtet, dass die veränderte Situation vielen Religionslehrern sehr zu schaffen machte und macht:
„Es war eine große Belastung. Ich merke es heute als stellvertretender Schulleiter, dass immer wieder Kolleginnen aber auch Kollegen zu mir kommen und sagen: Ich bin müde, ich kann nicht mehr. Das sind zum Teil auch junge Kolleginnen und Kollegen, die zum Teil sehr engagiert sind. Ich möchte nicht sagen. Dass man alleine gelassen wurde. Es sind neue Phänomene. Da müsste man eventuell mehr auf die Lehrergesundheit achten. Das machen wir als Schulleiter, aber es ist dennoch zu wenig.“
Auch wenn das Virus irgendwann verschwunden sein sollte, so bleiben die Themen, die das Virus mitgebracht hat, ganz oben auf der Agenda des Religionsunterrichts, meint Ute Augustyniak-Dürr, die in der Diözese Rottenburg-Stuttgart für den Religionsunterricht zuständig ist. Grundunsicherheit, sagt Ute Augustyniak-Dürr, sei das Thema:
„Und die muss langfristiger bewältigt werden und bearbeitet werden. Weil da jetzt auch die Klimakatastrophe dazu kommt, die auch in Deutschland durch die Flutkatastrophen näher gerückt ist. Vieles war bislang in den anderen Regionen der Erde, aber nicht bei uns. Dass man jetzt einfach sieht, es gibt Dinge, die wir nicht beherrschen und die die Politik nicht in Griff kriegt, das macht schon große Ängste. An denen muss man arbeiten.. Und da ist es gut, wenn man auch im Religionsunterricht einerseits schaut, was kann man tun für die Resilienz, aber auch für ein Empowerment. Was kann ich selber tun in der Welt? Ich bin nicht nur Erleidender oder Erleidende, sondern jeder einzelne hat eben auch Möglichkeiten. Eine solche Selbstwirksamkeitserfahrung macht dann auch wieder Hoffnung, das zu besprechen einerseits und andererseits über den Religionsunterricht Handlungsspielräume zu suchen.“
(vatican news - michael hermann)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.