Welttag der Armen: Gespräch mit einer Obdachlosenärztin
Gudrun Sailer - Vatikanstadt
„Die Menschen, die in die Elisabeth-Straßenambulanz und zur Caritas kommen, sind für mich erstmal Geschöpfe Gottes, kostbare Geschöpfe. Menschen, davon bin ich überzeugt, die eine Botschaft Gottes für mich haben.“ Das stellt die Ordensfrau gleich eingangs klar. Die Männer und Frauen kommen mit Wunden, mit Verletzungen, und jedenfalls an einer „Bruchstelle“ in ihrem Leben: der Obdachlosigkeit. „Aber wenn ich dann so mit den Augen Gottes darauf schaue, dann weiß ich: Das ist ein halber Blick. Ich bin eigentlich herausgefordert zu sehen, was darunter liegt. Buchstäblich bei den Wunden, aber dann auch: Was ist die ganze Geschichte? Da ist ja nicht nur Verletzung, da ist auch Potenzial. So gesehen sind die kranken Menschen für mich auch eine Einladung, selbst berührbar und offen zu werden für das, was das Leben nun einmal mit sich bringt, was es mir offenbart auch in Leid und Not oder in solchen Ausgegrenzten. Und darin nach Gott zu suchen und fündig zu werden.“
Papst Franziskus hat 2016 in den Kalender der katholischen Kirche den Welttag der Armen eingeführt. In diesem Jahr lautet das Motto „die Armen habt ihr immer bei euch“, ein Satz aus dem Markusevangelium. „Ehrlich gesagt, finde ich das einen provokanten Ausspruch Jesu!“, sagt die Obdachlosenärztin. Wer durch das Zentrum einer Stadt wie Frankfurt geht, sieht die Armen, die Obdachlosen, die Suchtkranken – dann ist der Satz eine Bestandsaufnahme. Aber dabei bleibt Maria Goetzens nicht stehen. „Die Armen habt ihr immer bei euch: Da höre ich auch persönlich etwas wie eine Aufforderung. Schau doch hin, was arm um dich herum, aber auch arm bei dir und in dir ist. Was ausgegrenzt, an den Rand gestoßen und doch da ist. Lass Dich davon berühren, entdecke darin meine Gegenwart, Gottes Gegenwart.“
In seiner Botschaft zum Welttag der Armen schreibt Franziskus: „Die Armen auf der ganzen Welt evangelisieren uns, weil sie uns ermöglichen, auf immer neue Weise die wahren Züge des väterlichen Antlitzes zu entdecken“. Das erfährt die Ordensfrau in ihrem Wirken sehr konkret. Sie erzählt von einer Begegnung vor wenigen Tagen, die ihr – wieder einmal – die Augen geöffnet hat.
„Da ging ich mit einer Mitschwester zur U-Bahn und da nahm meine Nase schon wahr, dass neben mir etwas nicht stimmte. Ich schaute rüber und sah einen offensichtlich Wohnungslosen, ganz verdreckt, mit Wunden an den Beinen, das roch entsprechend, und mit einem Wagen bepackt voller Leergut. Es hat mich Überwindung gekostet, diesen Menschen anzusprechen, aber ich habe es gemacht mit der Mitschwester. Er ließ sich darauf ein, nachdem ich mich vorgestellt hatte, auch seinen Namen zu nennen. Ich habe ihn einfach eingeladen, kommen Sie doch am nächsten Tag in die Straßenambulanz, habe ihm aufgeschrieben, wo das ist. Dann am nächsten Tag habe ich in unserem Verzeichnis gesehen, dass er schon vor sieben Jahren mal in der Stadt angesprochen wurde von Kollegen von mir. Und ich war wirklich nicht davon überzeugt, dass er kommen würde. Aber er kam.
Und dieser Moment, wo jetzt dieser Gestank zwar wieder im Raum war, das muss ich mal buchstäblich so sagen, aber der Mensch kam, das war für mich schon überraschend. Denn dieser Mensch hatte dann offensichtlich das Potenzial, vertrauen zu können, sich auf diese Ebene der Begegnung einzulassen. Ich war auch berührt, weil ich gemerkt habe, okay, eigentlich war ja ich die Misstrauische, eigentlich habe ich nicht daran geglaubt, dass es klappt. Da hat dieser Mensch mir doch, muss ich sagen, eine Lektion erteilt, wie ich auch auf Wirklichkeiten schauen kann und was an Heilung passieren kann, wenn ich absichtslos in die Begegnung gehe und darin auch Gott entdecken möchte. Also, es gibt offensichtlich nichts so Zerbrochenes, dass nicht auch noch etwas Heilsames möglich ist. Das habe ich mit diesem Menschen erfahren und das, glaube ich, ist zutiefst Gegenwart Gottes.“
Was ist das Schwierigste an ihrer Sendung für Sr. Maria Goetzens? Sie nennt zwei Herausforderungen. Die eine: dass man dauernd an seine Grenzen stößt. Grenzen von Ohnmacht, Vergeblichkeit oder Tod. Jemand, der es aufgrund seiner Verstrickung in Sucht nicht schafft, überhaupt auch nur Hilfe anzunehmen, und man kann nichts dagegen tun. Aber die größte Herausforderung von allen ist für die Obdachlosenärztin eine andere, fast überraschende. „Das Schwierigste für mich sind die Situationen, wo ich vergesse, dass ich Mensch bin, und wo ich mich selbst zum Gott aufspielen möchte. Ich möchte doch hier helfen, ich möchte die Situation ändern, Erlöserin werden und dann läuft oft was schräg. Dann ist man in der Gefahr, auszubrennen. Und da braucht es dann wirklich auch diesen Schritt zurück, mich zu erinnern, dass es Jesus gibt, dass die Welt erlöst ist und dass mein Platz darin besteht, mich mit ihm auf den Weg zu machen. Da brauche ich dann auch Menschen dazu, die mir dabei helfen.“
Welttag der Armen: Dieses Jahr am 14. November
Der Welttag der Armen ist der vorletzte Sonntag im Kirchenjahr, er fällt also jeweils in den November, in diesem Jahr auf den 14. Sie wird an diesem Sonntag alle Menschen, denen sie in der Woche begegnet ist, in die Eucharistie mit hineinnehmen, versichert Sr. Maria Goetzens. „Und auch die Armen und Kranken, die aufgrund ihrer Situation zu uns kommen in so eine Stadt wie Frankfurt, also die sich aufgrund von Naturkatastrophen, Krieg, Existenzbedrohung in der Heimat aufgemacht haben und hier keine Heimat finden. Ich werde an diesem Welttag der Armen die heimatlosen Kranken Gott ganz besonders ans Herz legen und darum bitten, dass auch das Arme in mir und anderen Heilung findet.“
(vatican news)
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