Unser Sonntag: Die unwiderstehliche Gegenkraft
Prof. Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz
Lk 1, 1-4; 4, 14-21
Die Sätze in der Synagoge von Nazareth sind vor wenigen Ohren gesprochen, die noch dazu - wie wir am nächsten Sonntag in den nächsten Versen erfahren - nicht zuhören. Was wird der allseits bekannte Sohn des Zimmermanns vor Ort sagen?
Er redet nicht schlecht, wenn auch befremdlich… hat die eigenartigen Worte des Jesaja ausgewählt von einem Geheimnis, in dem Heilung und Freiheit wachsen und die Blinden sehen. Und der junge Zimmermann behauptet, diese unglaublichen Prophezeiungen seien heute erfüllt. Offenbar mit ihm.
Nazareth ist eigentlich ein Nirgendwo
Nazareth ist eigentlich ein Nirgendwo. Und doch schlagen diese Worte Wellen, sie breiten sich aus, man liest sie noch heute. Die Worte aus dem Nirgendwo werden zum Orkan: Erst erfasst er das jüdische Volk, dann die römische Herrschaft, dann die griechische Weisheit, dann die Welt. Sehr leise, sehr klein, sehr undeutlich sind die Anfänge ... Erst später zeigt sich, was darin steckte.
Hat der Orkan heute ausgestürmt? Es scheint so. Zumindest Europa mag gesättigt sein mit der Botschaft von der Erlösung. Es ist in seinem eigenen aufgeklärten Licht erwacht und findet die Helligkeit ausreichend. Umkehren wohin? Da müßte schon sehr anziehend sein, was aus dem Wohlleben herauslockt. Aber: Zieht es nicht doch kalt durch ungestopfte Löcher? Sie heißen: Einsamkeit, Depression, Leere, Überdruss, heute kommt ein noch nicht beherrschter Virus dazu… Die Therapeuten und die Kliniken sind ausgebucht. Die Geburten stocken.
Die Frohbotschaft vom „Himmelreich“ ist durchaus keine nette Redewendung. Im „Reich“ hören wir den Reichtum eines vielfältigen Zusammenlebens, das von Zuneigung durchpulst ist. Im „Himmel“ hören wir „Oben“, wohin alles Schwere hinaufgezogen wird – nicht nur in das Licht allgemein, vielmehr: in das Licht eines göttlichen Gesichts.
Wo erwarten wir unbewusst Erfüllung?
Große Frage: An welcher entlegenen Stelle unserer Seele greift Christus an? Auch unser Herz ist uns unbekannt. Wo keimt, winzig, der Anfang einer großen Liebe, noch ungeahnt? Wo erwarten wir unbewußt eine Erfüllung, namenlos? Sehnsucht ist auch eine Form der Zuneigung, Trauer ist auch ein Ruf. In der Stille, auch der Depression, wachsen die göttlichen Wirklichkeiten. Es ist einfach wahr, daß es mitten im Trostlosen den Turnaround gibt, das Herumwerfen. Nicht nur des Kranken, auch des Bösen.
...die eine unwiderstehliche Gegenkraft
Gegen jede dämonische Macht, jede Krankheit, jede banale Verschlossenheit gibt es die eine unwiderstehliche Gegenkraft. Sie bietet mehr als Humanität, Mitleid, Fürsorge. Sie kann heilen, in der Tiefe, und nicht nur den Leib. Sie kann auch mehr als nur verteidigen und ausbessern, sondern wie es über einen Helden der alten Sage heißt: „Er ging zum Angriff über und hing an der Ferse des Bösen, wie der Wolf an der Flanke des Stieres trabt.“
Jesu geheimnisvolle „Frohbotschaft“ hängt hartnäckig an der Flanke der Finsternis und jagt sie. Und das mit gewaltiger Macht. Sie läßt gesunden aus der Krankheit des Leibes und des Herzens.
Seine Erlösung kommt mit dem unerbittlichen Sieg des Lichtes über blind, lahm, taub, tot und böse.
Man kann ihn nicht umbringen. Auch seine Worte nicht. Nichts hat ihn gehalten, auch nicht das Grab. Im Nirgendwo hat etwas begonnen und es ist noch nicht zu Ende ausgesprochen. Bis an das Ende der Welt reicht die Stunde der Synagoge von Nazareth.
(radio vatikan - redaktion claudia kaminski)
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