Unser Sonntag: Kann Gott trauern?
Prof. Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz
Lk 4, 21-30
Mitten in die anhaltende Feststimmung des Neuen Jahres hinein läßt die Kirche ein Evangelium lesen, das einen groben Missklang enthält, etwas verstörend Hässliches. Die ersten spektakulären Heilungen Jesu sind geschehen, einige Apostel sind schon ausgewählt, die Menge schleppt die Kranken zu ihm.
Da: wie ein giftiges Rinnsal mischt sich ein Flüstern in den Glanz: Ist Jesus ein Hochstapler? Kennen wir nicht seinen Vater, den Zimmermann Joseph? Was maßt er sich an - auch wenn er schön reden kann? Ist er nicht doch ein Schwätzer? Taten will man sehen, nicht Worte. Zeig, was du kannst!
Jesus selbst provoziert diese Stimmen, dabei wäre es ihm doch ein Leichtes gewesen, sich auszuweisen.
Kann der Großsprecher einfach nicht?
Nein, er provoziert: Im eigenen Hinterland haben die Propheten am wenigsten zu sagen. Wir kennen das ja: In der eigenen Familie traut man einem am wenigsten zu. Zu bekannt, zu alltäglich, was da einer vorbringt. Jesus erzählt noch dazu zwei ärgerliche Geschichten von der Witwe ohne Brot und dem Leprakranken; beide waren keine Juden, aber die Propheten halfen gerade denen und dem eigenen Volk nicht. Die Botschaft ist deutlich: Hier fehlt der Glaube. Oder kann der Großsprecher einfach nicht?
Dieser Verdacht läuft durch das Leben Jesu mit. Immer wieder geschieht dieses Lehrstück, wie man, auch wir mit Gott umgehen: Wir lassen uns nicht einmal auf ein handgreifliches Wunder ein. Ein Blindgeborener wird sehend (so im 6. Kapitel des Johannes) – na und? Könnte es nicht ein Trick gewesen sein? Nur der Blinde weiß noch, weiß im Tiefsten, was ihm über alles Begreifen hinaus geschah – aber er wird zum Lügner gestempelt. Und seine Eltern wirft man gleich mit ihm hinaus, Betrüger sie alle.
"Gepfefferte Gleichnisse"
In einem seiner gepfefferten Gleichnisse erzählt Jesus von dem König (Mt 22,1-14), der Gäste zur Hochzeit einlädt, also zum Fest aller Feste. Leider haben die Honoratioren auch für die Royals keine Zeit - ganz vieles ist ganz viel wichtiger: neuer Acker, neue Frau, neue Ochsen… „Halte mich für entschuldigt.“ Zweiter Anlauf: Der König läßt „die an den Zäunen“ einladen. Ausdrücklich wird gesagt: „Böse und Gute“. Aber auch da kommt es zu Überraschungen: Ungeachtet der großen Ehre kommt ein Teil ungewaschen und in Lumpen, sie haben sich keine Garderobe besorgt. Auch das ist unanständig, auch da hat man der Einladung wohl nicht getraut. Erst mal sehen, ob das Versprechen auch wirklich gemeint war. Und da fliegen die Ungehobelten hinaus. Die Gäste sollen mittun, sich vorbereiten auf die Mitfreude.
Die Bitterkeit Jesu...
An manchen Stellen erwacht die Bitterkeit Jesu: Ich habe auf dem Marktplatz zum Tanz aufgespielt, und keiner hat mit mir getanzt. Auch die Freunde, die doch mitziehen, stehen zunehmend verständnislos da, und der Ärger der Gelehrten über ihn wächst. Der Mann sagt unerhört Neues, heilt souverän – Ungeheures, nie Gesehenes geht vor sich, und trotz allem: Immer weniger wird begriffen.
Oder doch? Die Aussichtslosen begreifen. Eine Fremde schreit hinter ihm her, die vom Gott Israels keine Ahnung hat, aufdringlich vor Schmerz und Hoffnung. Ihre Tochter ist krank. Und Jesus ist unwillig, wenn nicht bitter: Wie lässt sich endlich die Blockade der Herzen um ihn aufbrechen? Wenig wissen wir von der Psychologie Jesu, aber hier hebt sich kurz der Schleier: Es entfährt ihm ein Wort der – ach, noch wachsenden – Enttäuschung, das zutiefst traurige Wort über die verlorenen Schafe.
Aber die Frau bettelt: Von dem vielen Brot nur ein paar Brosamen; von den großen Sätzen nur der eine: Deiner Tochter ist geholfen! Sie beugt sich – was nur die Liebe tut - unter das harte Wort von den Hündlein, die den Kindern das Brot nicht wegnehmen sollen, und da schmilzt die Bitterkeit Jesu. Auch sie zählt zu den Kindern – während andere, mit Schmerzen Umworbene taub danebenstehen. „Viele, die drinnen sind, sind draußen; viele, die draußen sind, sind drinnen“, sagt Augustinus. Sind wir drinnen? Sind wir draußen? Es gibt keine festen Plätze, weder des Zugehörens, noch der Verworfenheit.
Die zerschellten Hoffnungen Gottes
Was für bittere Geschichten, die zerschellten Hoffnungen Gottes! Viele Gleichnisse des Evangeliums sind tröstlich, aber doch werden auch tief schmerzliche Töne angeschlagen, sogar die Wehklage des Gerichts. Hat wirklich alles so kommen müssen? Hätten die Winzer, die Hüter Israels, nicht doch den sorgsam aufgebauten Weinberg, das über viele Generationen zum Glauben erzogene Volk, zu den Propheten und großen Lehrern führen können? Aber auch manche von ihnen wurden umgebracht. Ja, mußte auch der Sohn wirklich sterben?
Es gehört zu den erregenden Zügen der Heilsgeschichte, daß Jesus anfänglich einen Siegeszug antritt, sogar im Hohen Rat gewinnt er Freunde. Die Jünger des großen Johannes des Täufers, den das Volk tief verehrt, laufen ihm zu. Nichts deutet auf die künftige Schändung. Heilsgeschichte ist wirkliche Geschichte, die Mitspieler entscheiden frei, nichts läuft einfach nach Plan ab – die Herzen hätten sich öffnen können und sie haben sich nicht geöffnet, die Trauben sind gereift und werden nicht geerntet, die führende Schicht versagt dramatisch, unheilvoll, unerklärlich verstockt. Und was Erntefest hätte sein sollen, wird zum tragischen Absturz.
Kann Gott trauern? Ja, er kann: Die Liebe trauert, wenn sie nicht wieder geliebt wird. Und ihr Trauern ist furchtbar. „Er aber ging fort“, so heißt es am Ende unseres Evangeliums.
(radio vatikan - redaktion claudia kaminski)
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