D: „Im Augenblick tun mir alle Bischöfe leid“
In einem Gespräch mit dem Domradio empfiehlt sie die Orden als Vorbild - und setzt aufs Zuhören und auf gemeinschaftliche Entscheidungen.
Interview
Sie sprechen in Ihrem neuen Buch ‚Die neue Kunst des Leitens‘ (Herder Verlag) sicher ganz bewusst von leiten, nicht von führen. Was ist der Unterschied?
Schwester Emmanuela: Tatsächlich spreche ich ganz bewusst von leiten, wobei für mich leiten weniger autoritär ist, also weniger ‚top down‘ als führen. Die Vorstellung beim Führen ist ‚Ich weiß, wo es langgeht und der andere nicht. Deshalb führe ich.‘ Im alltäglichen Gebrauch ist der Unterschied, glaube ich, nicht so groß. Aber ich bevorzuge das Leiten.
‚Top down war gestern‘ – so steht es auch auf dem Titelblatt Ihres Buches, auf Deutsch so viel wie: ‚Hierarchisches Oben-Unten-Denken ist veraltet.‘ – So gesehen müssten Sie Ihre katholische Kirche ja tatsächlich als ziemlich gestrig wahrnehmen: Ganz oben der Papst, ganz unten die ‚normalen‘ Gläubigen.
Schwester Emmanuela: Das ist im Augenblick genauso. Die gegenwärtige Struktur hierarchisch-absolutistischer Art empfinde ich als nicht adäquat, wobei der Benediktiner-Orden ja älter ist als diese absolutistischen Modelle. So gesehen wird das Gestrige dann überholt von etwas, was eigentlich noch gestriger ist. Der Benediktinerorden ist in der Spätantike entstanden in einer Zeit, in der es für die damaligen Verhältnisse Demokratie gab. Und in unserer Regel steht zum Beispiel, dass alle gehört werden sollen, wenn es um eine Entscheidung geht, weil Gott oft einem Jüngeren eingibt, was das Bessere ist. Ich glaube, da kann die Kirche von den Orden eine Menge lernen.
Sie sehen, was Macht in der Kirche angeht, ein Missverständnis mit katastrophalen Folgen – nämlich, dass viele Kirchenobere mit quasi übermenschlichem Machtanspruch an ihre Ämter herangehen, obwohl eigentlich ein radikaler Machtverzicht gefordert wäre. Im Sinne von ‚Es geht nicht um meine Person, sondern um das Transparentwerden auf einen Anderen hin‘. Können Sie das kurz erklären?
Schwester Emmanuela: Ich glaube, vom Evangelium her ist das absolut klar. Da gibt es ja diesen Satz ‚Ihr wisst, dass die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch soll es nicht so sein!‘ Da gibt es Sätze wie den im Magnificat, wo es heißt: ‚Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen‘. Oder: ‚Ihr sollt niemanden auf Erden euren Meister nennen. Nur einer ist euer Meister – Christus‘.
Da gibt es ja an Eindeutigkeit eigentlich nichts zu deuten. Und wenn ich dann schaue auf das Vorbild Jesu, dann ist der Abstieg die richtige Richtung für jeden Christen. Vor diesem Hintergrund ist ein absolutistisches Machtverständnis einfach fehl am Platz. Und trotzdem ist es historisch gewachsen, hat historische Gründe. Ich persönlich meine, es ist an der Zeit, einmal aufzuräumen.
Dazu passt, dass Sie sagen, die aktuelle Kirchenkrise ist eine Leitungskrise. Inwiefern ist das so?
Schwester Emmanuela: Ich glaube tatsächlich, dass dieses Amtsverständnis sich dringend ändern sollte. Ich könnte jetzt in Anspielung an Martin Luther King sagen, dass ich einen Traum habe. Ich stelle mir nämlich den Bischof, vielleicht auch die Bischöfin der Zukunft, als eine geistliche Führungspersönlichkeit, eine spirituelle Persönlichkeit ohne Macht vor. Das, finde ich, würde viel besser zum Evangelium passen als das, was wir heute üblicherweise haben. Im Benediktinerorden ist das übrigens so, dass wir ein Verband sind, selbständige Einheiten. Und der Abtprimas bzw. die Moderatorin bei den Frauen, die heute auch wirklich Moderatorin heißt, sind nicht mit Machtbefugnissen ausgestattet.
Die Orden sind also, was die Ämterbesetzung angeht, deutlich demokratischer unterwegs als der Rest der Kirche. Könnten die Orden da wirklich so was wie Role Models sein? Zum Beispiel für Bischofswahlen?
Schwester Emmanuela: Ich sehe nicht, warum das nicht sein sollte und würde es sehr wünschen. Auch im Vorbereitungspapier für die Weltsynode, für den großen synodalen Prozess, den Papst Franziskus angestoßen hat, steht ja, dass auch auf die Stimme der Orden gehört werden sollte. Die Orden haben Jahrhunderte, beim Benediktinerorden sind es schon anderthalb Jahrtausende, Erfahrung mit intern geteilter Macht. Es gibt bei ihnen Gewaltenteilung, es gibt Wahlen. Meine Gemeinschaft wählt schon auf Zeit seit dem Bestehen im 17. Jahrhundert.
Dass sich die katholische Kirche radikal ändern muss, darüber sind sich viele einig. Auf dem Synodalen Weg in Deutschland ringen Bischöfe und Laien schon seit längerem um konkrete Schritte. Im vergangenen Herbst haben Sie sich sehr skeptisch geäußert, ob der Synodale Weg tatsächlich weiterbringt. Sie haben damals gesagt ‚Viel Energie, viel Papier, keine wirkliche Wirkung‘. Sehen Sie das noch genauso?
Schwester Emmanuela: Ich finde, dass dem Synodalen Weg der Druck zur Hilfe gekommen ist. Indem sich ja wenigstens in den Abstimmungen Mehrheitsfähigkeit gezeigt hat. Das begrüße ich sehr. Die Themen müssen auf den Tisch! Was das Gesamtkonzept angeht, bin ich aber nach wie vor skeptisch. Erstens frage ich mich, wie viel davon Wirklichkeit werden wird. Aber da könnte in meinen Augen auch der allgemeine Druck helfen.
Was mir aber am Allermeisten aufstößt, ist die Art, wie da unter extremem Zeitdruck die Dinge gar nicht wirklich ausdiskutiert werden. Und dann steht auch noch die Frage im Raum, wie denn die Teilnehmenden des Synodalen Weges selbst mit internen Minderheiten umgehen. Es ist ja gut, sich für die Minderheiten außerhalb einzusetzen. Aber ich glaube, wenn Gemeinschaft sein soll, zumindest wie bei uns im Kloster unter einem Dach, dann müssen wir einen Weg finden, die Minderheiten zu integrieren. Dann braucht es einen möglichst großen Konsens.
Sie selbst sind als weibliche Führungskraft in der katholischen Kirche noch immer eine Exotin. Und Sie wollen die Leitung, sagen Sie, so ausüben, dass Menschen sich entfalten können. Was sind denn tragende Säulen, damit das gelingt?
Schwester Emmanuela: Ich denke, zum einen muss jeder einzelne auch den Raum bekommen, den sie oder er braucht. Wir leben heute zum Beispiel auch, was den Ordensnachwuchs angeht, in einer Zeit, in der die Zugangswege immer individueller werden und es braucht immer individuellere Förderung. Da hilft uns unser System, dass jede wirklich eine Stimme hat. Das macht sehr viel aus. Ich selbst bemühe mich, einfach zu sehen und zuzuhören, wo Räume gewünscht und gesucht werden. Ich freue mich, wenn es mir dann gelingt, das neue Leben nicht zu hindern, sondern ihm Raum zum Wachsen zu geben.
Es gibt ein Spannungsfeld zwischen dem Zuhören auf der einen und dem Fällen einer autoritären Entscheidung auf der anderen Seite. Wie lässt sich das auflösen?
Schwester Emmanuela: Das ist die Frage, ob es autoritäre Entscheidungen überhaupt braucht. Bei uns ist es so, dass alle wichtigen Entscheidungen gemeinsam gefällt werden. Das ist übrigens auch in den sogenannten Konstitutionen – sozusagen die Aktualisierung unserer Regel nach dem Kirchenrecht – ganz klar festgelegt, was mit absoluter Mehrheit, mit Zweidrittelmehrheit, was allgemein abgestimmt werden kann oder geheim abgestimmt werden muss. Und je wichtiger die Entscheidung, desto mehr findet gemeinsam statt.
Sie verfolgen natürlich auch die schwere Vertrauenskrise hier im Erzbistum Köln. In knapp zwei Wochen soll Kardinal Woelki zurückkehren. Viele Laien sehen aber gar keine Basis mehr für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Welchen Ausweg sehen Sie als erfahrene Leitungspersönlichkeit, aber auch als Coach aus dieser verfahrenen Situation?
Schwester Emmanuela: Ich muss gestehen, diese Situation macht mich auch ratlos. Ich weiß nicht, wie sich das auflösen lassen könnte. Es bräuchte sicher eine sehr gute Begleitung, auf die sich aber auch alle Beteiligten, einschließlich Kardinal Woelki, einlassen müssten. Aber meistens ist es, wenn Vertrauen zerstört ist, ganz schwer, dieses Vertrauen mit denselben Personen das wiederaufzubauen. Ich sehe das alles mit großer Sorge und befürchte, wenn der Neuanfang nicht gelingt, ohne dass ich wüsste, wie er gelingen könnte, dass eine nächste Katastrophe auf uns zukommt.
Sie denken also, ein Neuanfang wäre mit einem neuen Gesicht sehr viel leichter?
Schwester Emmanuela: Es ist immer leichter mit neuen Mitspielern, das ist ganz klar. Es müssen äußere Faktoren der Veränderung her. Wenn das nicht durch die Personen kommt, muss etwas anderes gefunden werden, was eine reale, grundlegende Veränderung bewirkt. Und dann bleibt immer noch das Vertrauensproblem bestehen...
Sie haben eben geschildert, dass Sie einen Traum haben, wie der Bischof der Zukunft aussehen könnte. Wie weit ist dieser Traum von der Realität entfernt?
Schwester Emmanuela: Ich wage da jetzt keine Urteile. Ich glaube, es gibt viele Bischöfe, die zutiefst spirituelle Menschen sind, die geben, was sie geben können. Hinzu kommt, dass in den komplexen Strukturen in diesem Land, wo die Kirche ganz andere Ressourcen an Geld als die meisten Kirchen weltweit und eine große Geschichte hat, die Dinge auch nicht leichter werden. In der Diaspora, denke ich, ist manches vielleicht leichter. Die aktuelle Situation ist wirklich sehr schwierig. Deswegen tun mir im Augenblick eigentlich alle Bischöfe leid. Noch mehr tun mir allerdings die Menschen leid, die in dieser Krise das Fundament ihres Glaubens verlieren.
(domradio – sk)
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