Kirchliche Friedensethik auf dem Prüfstand
Kriege könnten niemals gerecht sein, militärische Verteidigung aber auch aus kirchlicher Sicht in manchen Fällen legitim. Mit militärischen Gewaltmitteln könne niemals wirklich Frieden geschaffen werden, „rechtserhaltende Gewalt“ könne aber unter Umständen eine notwendige Bedingung sein, um überhaupt die Voraussetzung von diplomatischen Lösungen zu schaffen. „In diesem Sinne gibt es keine gerechten Kriege, wohl aber den rechtlich und moralisch gerechtfertigten Einsatz militärischer Mittel“, so Körtner.
Die Zeiten, in denen in der westlichen Welt Waffen gesegnet und nationalistische Kriegsbegeisterung von den Kirchen befeuert wurde, gehörten zum Glück der Vergangenheit an. In den Kirchen stünden sich aber schon seit Langem ein zum fundamentalen Pazifismus neigendes Lager und jener Teil der Kirche gegenüber, der es zu den Aufgaben des Staates rechnet, notfalls auch mit militärischen Mitteln für Recht und Frieden zu sorgen.
Körtner verweist auf die Friedensdenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland aus dem Jahr 2007. Darin heißt es wörtlich: „Bei schwersten, menschliches Leben und gemeinsam anerkanntes Recht bedrohenden Übergriffen eines Gewalttäters kann die Anwendung von Gegengewalt erlaubt sein, denn der Schutz des Lebens und die Stärke des gemeinsamen Rechts dürfen gegenüber dem 'Recht des Stärkeren' nicht wehrlos bleiben.“
Das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine und ihr Recht auf Selbstverteidigung erfüllten eindeutig diese Bedingungen. Manche Kirchenvertreter täten sich dennoch schwer damit, dies mit der wünschenswerten Klarheit auszusprechen. Es genüge auch nicht, so Körtner, den Angriff der Russischen Föderation auf die Ukraine eindeutig zu verurteilen, Putins Schuld beim Namen zu nennen, Hilfe für Geflüchtete zu leisten und für den Frieden zu beten. Die Kirchen müssten sich auch mit der Frage auseinandersetzen, „welche sicherheits- und verteidigungspolitischen Konsequenzen zu ziehen sind … und ob sich die Unterstützung der Ukraine nicht nur mit Wirtschaftssanktionen und Diplomatie, sondern auch durch Waffenlieferungen rechtfertigen lässt“. Seines Erachtens sei diese Frage zu bejahen, so Körtner.
Chance des zivilen Ungehorsams
Mit friedensethischen Fragen zum Ukraine-Krieg beschäftigt sich auch ein aktueller Podcast aus der Reihe „Diesseits von Eden“. Wie der Innsbrucker Sozialethiker und Pax Christi-Präsident Wolfgang Palaver ausführte, sei zuletzt vor allem in Europa sowohl katholischerseits als auch bei den Protestanten das Konzept des „gerechten Krieges“ mehr oder weniger in der Schublade verschwunden. Anstelle dessen spreche man vom Konzept des „gerechten Friedens“. „Hier geht es vor allem um die langfristigen strukturellen Maßnahmen, Verbindung von Frieden und Gerechtigkeit“. Nun stehe man aber vor der Tatsache, dass tatsächlich wieder ein Angriffskrieg eines Staates auf einen anderen souveränen Staat erfolgt sei. Und hier bekämen die Kriterien der Lehre vom gerechten Krieg wieder neue Bedeutung.
Er habe, so Palaver, die letzten eineinhalb Jahre sehr intensiv über Gandhi geforscht. Auch dieser habe etwa gesagt, dass auch Vertreter der Gewaltfreiheit ganz klar zwischen Angreifer und Verteidiger unterscheiden müssten. „Gandhi wünschte sich zwar, dass alle Möglichkeiten der Gewaltfreiheit ausgenutzt werden, aber er war nicht so überheblich, dass er anderen geraten hätte, keine Gewalt im Verteidigungsfall anzuwenden.“
Eine schwierige Herausforderung liege darin, dass die militärische Verteidigung nur so lange aufrechterhalten werden könne, solange sie Erfolg verspricht. „Irgendwann kommt wohl der Punkt, wo man dann sagen muss: 'Jetzt hat es keinen Sinn mehr, mehr Blut zu vergießen'.“ Aber das bedeute nicht, „dass dann die Ukraine einfach alles fallen lassen soll, sondern dann kommt die große Chance des zivilen Ungehorsams“. Es gebe interessante empirische Studien, „dass in den letzten hundert Jahren in vielen, vielen Fällen der zivile Ungehorsam doppelt so erfolgreich war wie militärische Gewalt“, so Palaver.
(kap – sk)
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