Buch von Wolf Biermann: „Mensch Gott!“
Anne Preckel - Vatikanstadt
Wird der Sänger und politische Rebell am Ende noch fromm? Das werden manche sich jetzt vielleicht fragen. Nein, der Titel „Mensch Gott!“ kommt eigentlich von Biermanns Oma Meume, erzählt ihr heute 86-jähriger Enkel im Interview mit Radio Vatikan. Die Hamburger Arbeiterfrau und Kommunistin ereilte am Lebensende eine kummervolle Erkenntnis. Biermann besingt das im Lied „Großes Gebet der alten Kommunistin Oma Meume in Hamburg“ (1967), das auch in seinem neuen Buch, neben vielen anderen (Lied-)texten, enthalten ist.
„Mensch Gott! Wäre uns der bloß erspart geblieben / Der Stalin, meinetwegen durch ein Attentat / Gott, dieser Teufel hat es fast getriebn / – verzeih – wie ein Faschist im Sowjetstaat / Und war er doch selber Kommunist und hat / Millionen Kommunisten umgebracht / Und hat das Volk geknecht mit all die Macht / Und log, das Aas, dass sich die Balken biegn / Was hat der Hund uns aufn Hund gebracht / O GOtt, lass DU den Kommunismus siegn!“
Aufgewachsen war Martha Dietrich in einem von Pietisten geführten Kinderheim in Halle an der Saale, wo es „zu wenig Essen, zu viel Gebete und noch mehr Prügel gab“, wie Biermann in seinem Buch festhält. Als die Oma am Lebensende am Kommunismus zu zweifeln begann, machte sie, erzählt der Autor, „ihre Kinderbeziehung zum lieben Gott wieder flott, weil sie nun auf die Idee kam: Vielleicht könnte sie den Gott ihrer Kindheit dazu verführen, ein bisschen unerlaubte Hilfe zu geben für den Sieg des richtigen, des menschlichen Kommunismus, wie sich ihn meine Oma vorgestellt hatte“.
Nie nichts vergessen
Wolf Biermann, der 1953 mit 17 Jahren in die DDR ging, wegen Regimekritik 1976 wieder ausgebürgert wurde und später vollends mit dem Kommunismus brach, hat einen Blick für Ent-Täuschungen. In „Mensch Gott!“ erzählt er über seinen „Kinderglauben“ an den Kommunismus und das große Erbe seines Vaters, der Widerstandkämpfer gegen die NS-Diktatur war und als Jude in Auschwitz starb. Auch die eigene Ent-Täuschung des Regime-Kritikers kommt natürlich vor. Es ist eine Phase der „immanenten Kritik“ gegen das SED-Regime, die Biermann, wie er selbst gerne hervorhebt, „in Manier des revolutionären Reformators Martin Luther“ vorbrachte.
Mit „Mensch Gott!“ spannt Biermann alte und neuere Texte auf einen Bogen zwischen Himmel und Erde. Das Buch ist eine Art persönlicher Chronik politischer Ideologie, ein Sinnieren über den „Streit der Welt“, es geht um Glaubenssätze, die Systeme schaffen, Menschen aufrichten können und durchhalten lassen, die Gesellschaften aber auch ziemlich vor die Wand fahren können. „Ideale haben es immer so an sich, dass sie nicht ideal verwirklicht werden können“, sagt Biermann. „Verzeihen will ich wohl, aber nie nichts vergessen. / Die Blutsäufer nicht, noch das Steinefressen. / Mir reicht es als Rache, wenn alle, die / Uns quälten, in Danteschen Höllen braten / Mir reicht eine mausgraue Demokratie / Schön bunt will ich nur unsere Demokraten!“, steht in der einleitenden Widmung seines Buches.
Warum nennt Biermann sein Buch Disput mit Gott? Dazu sagt uns der Autor, der sich selbst als „Ungläubiger“ bezeichnet: „Ja, warum? Warum? Weil ich in einer christlichen Kultur lebe, in einer jüdischen und einer christlichen Kultur, und wenn ich für Menschen schreibe, die in diesem Lande leben, dann muss ich eine intensive Beziehung zu Gott haben, egal ob ich an ihn glaube oder nicht.“
Ein Erbe, dem Biermann sich nicht entziehen kann. Seine Biografie ist tatsächlich gezeichnet durch das Christentum und das Judentum. Biermanns Vater Dagobert war ursprünglich orthodoxer Jude, der als Kommunist zum strengen Atheisten wurde. Söhnchen Wolf wurde 1939, ein paar Monate nach den Novemberpogromen, evangelisch getauft – seine Eltern hielten dies für „vernünftig“, damit der dreijährige Halbjude vor den Nazis als „halber Arier“ gelten konnte, schreibt Biermann, der die Szene mit Mutter und Oma in der Kirche als eine Art Verzweiflungsakt, aber nicht ohne Humor beschreibt.
Gott, ein Ideal
Als Biermann später in die DDR kam, wurden ihm Christen in ihrer moralischen Integrität ein wenig zu Verbündeten. Bereits direkt nach Ankunft im SED-Staat verteidigte er 1953 in Radebusch eine junge Christin, die ihrem Gott nicht abschwören will: „Ich glaube an Gott“, bleibt das Mädchen im FDJ-Verhör standhaft, „ich trete nicht aus der Jungen Gemeinde aus.“ Als die junge Frau dann niedergemacht wird, verteidigt sie Biermann: „Dafür ist mein Vater nicht in Auschwitz gestorben, damit hier dieses Mädchen so unterdrückt wird.“
Trotzdem bleibt für Biermann der christliche Gott nie mehr als ein menschengeschaffenes Ideal: „Gott ist unser edleres Ebenbild / So hausen wir hier auf Erden / Wir eifern dem eigenen Kunstwerk nach / So wollen wir Menschen / So wollen wir, mensch! / So wollen wir Menschen werden.“
Dieses Lied „Religionsunterricht“ (2003), für das Biermann auf dem Ökumenischen Kirchentag in Berlin von Katholiken und Protestanten beklatscht wurde, zeigt vielleicht am ehesten eine Art „gemeinsamen Nenner“ zwischen ihm selbst und den Christen auf, sagt der Liedermacher gegenüber Radio Vatikan:
„Und da kam ich auf die Idee, es müsste eigentlich eine Ökumene geben nicht nur zwischen Katholiken und evangelischen Christen, sondern auch zwischen solchen Gottlosen wie mir. Auch da müsste es im Grunde eine Ökumene geben. Denn ich habe ja ein Gedicht geschrieben, in dem es heißt: ,Und meine ungläubigen Lippen/ Beten voller Inbrunst/ Zu Mensch, dem Gott/ All meiner Gläubigkeit.‘“
Der Lebendigste
Den Glauben an den Menschen hat Biermann trotz all dem Leid und Unrecht, das er erlebte und sah, nicht verloren. Auch nicht an die Kunst, mit der er das Gedächtnis an seinen ermordeten Vater bewahrt. Sohn Wolf lässt Vater Dagobert in Liedern und Texten wiederauferstehen, bezeugt ihn mit seiner eigenen Lebendigkeit. Den Vorschlag, doch für Dagobert Biermann einen Stolperstein in deutschen Asphalt zu rammen, winkte Wolf Biermann dann auch direkt ab. Dazu erklärt er stolz:
„Das ist das Privileg meines Vaters, der hat einen solchen Stein, über den die Leute latschen und auf den die Hunde pissen, nicht nötig. Er hat durch Zufall einen Sohn gezeugt, der schöne Lieder singen und Gedichte schreiben kann. Das sind die Stolpersteine für meinen Vater, er hat eben Glück gehabt und braucht solche Stolpersteine nicht.“
„Weisst du, ich beneide diese Christen. Die können sich wenigsten an ihren Gott klammern. Wir nicht. Wir haben keinen Trost. Mein Junge, woran klammert sich unsereins in der Seelennot? Wenn wir kaputtgehen, haben wir keinen Heiland in Reserve“, erinnert Biermann in „Mensch Gott!“ Worte seiner atheistischen Mutter Emma, die sie mit ihrem Sohn in schweren Stunde teilte. Was gibt einem Wolf Biermann Hoffnung, was Trost? Der Dichter antwortet mit einem Lied, „Melancholie“, das er 1989 kurz vor dem Mauerfall schrieb: „Wer Hoffnung predigt, tja, der lügt… / Doch wer die Hoffnung tötet, ist ein Schweinehund / Und ich mach beides und schrei: Bitte sehr! / Nehmt was ihr wollt, zu viel ist ungesund.“
Melancholie
„Melancholie, meine Hoffnung“, überschreibt Biermann ein Kapitel seines Buches. Melancholie bedeutet für Biermann, , „dass man den Widerspruch in seiner kleinen Menschenbrust aushält zwischen begründeter Verzweiflung und begründeter Hoffnung, dass man sich nicht in eine der beiden Seiten rüberfallen lässt“, wie er im Gespräch mit Radio Vatikan erläutert. „Beide Haltungen sind notwendig und haben ihren guten Grund, wir habend tausend Gründe verzweifelt zu sein, wir haben aber auch tausend Gründe voller Hoffnung zu sein."
Biermann war als politischer Sänger und radikalster Kritiker der DDR selbst Hoffnungsfigur für viele Menschen. Sein Song „Ermutigung“ (1966) tröstete die Unterdrückten und Inhaftierten, wurde zum Lied einer ganzen Bewegung, ja schaffte es sogar in ein Gesangsbuch der schwedischen protestantischen Kirche. Auf sein Leben zurückblickend bezeichnet sich Wolf Biermann selbst klarsichtig und ohne Angeberei als eines „der lebendigsten“ Elemente im damaligen SED-Staat - und zwar „gemessen an den vielen Schlafnasen in der Diktatur, die sich gebeugt haben, die alles mitgemacht haben und alles mit sich machen ließen, die sich nicht gewehrt, sondern mitgemacht haben, mit schiefem Maul und schlechter Laune, mit Scham….“
Wenn sich der „Ermutiger von damals“ die Weltlage von heute ansieht, ist das aber auch für einen Biermann ein bisschen „,too much’“, bekennt er im Interview mit Radio Vatikan. Er verweist dabei auf das aktuelle Szenario einer atomaren Bedrohung durch Russland:
„Die wirkliche Frage ist immer: Hast du die Angst oder hat die Angst dich? Wirst du überwältigt vor der Angst? Und das erlebe ich jetzt plötzlich zum ersten Mal… Was Putin betrifft ist er viel, viel schlimmer als Adolf Hitler und Stalin zusammen, als seine Eltern, aus einem ganz banalen Grund: nicht, weil er brutaler und schlechter ist als diese Eltern, sondern weil er die Atombombe hat, weil er die Menschheit ausrotten kann, er hat dazu die Mittel. … Und das ist im Moment meine wacklige Seelensituation: dass mein Zweckpessimismus von früher und mein tapferer Optimismus der Tat, Gramsci, nicht mehr funktionieren, verstehen Sie? Ich pass nicht mehr in diese Welt. Genauer gesagt, die Welt passt nicht mehr in mich.“
Trotz alledem mein Lied
Es bleibe mal dahingestellt, wer oder was jetzt nicht mehr passt: Wolf Biermann hat auch diese Turbulenz nicht tatenlos erduldet. Bei unserem Interview steckt er uns noch, bestens gelaunt, sein neustes, ganz frisches Gedicht zu, das er nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine verfasste und das nicht mehr Teil des Buches „Mensch Gott!“ ist. Es heißt „Elegie im 86. Jahr“:
„‘s ist Krieg! Nun schließt mein Lebenskreis / Sich höllenwärts. Noch lach ich, mach / Mein Ding. Dir schweige ich. Und sing / Trotz alledem mein Lied. Es flieht / Mein guter Stern in fern’re Ferne, / Verkroch sich in ein schwarzes Loch. / Hab mehr als nur genug gesehen: / Dein Lächeln sah ich leuchten. Doch / Die Elbe fließt bei Övelgönne / Als könne sie ewig stille stehn. / Sah Sonnen aufgehn, falsche Sterne / Sah Scardanelli überm Neckarfluß / Schenk mir, mein Weib, ein Seelenkuss / Ich, der Lebendigste! Leb nicht mehr gerne.“
Mit der letzten Zeile „Leb nicht mehr gerne“ zitiert Biermann den deutschen Dichter Johann Christian Friedrich Hölderlin, der Jahrzehnte vor seinem Tod den Verstand verlor und in einem Turmzimmer über dem Neckar seine Gedichte schrieb. Fromm ist Wolf Biermann also nicht mehr geworden, aber vielleicht lebensmüde... oder gar verrückt? Der Lyriker und Liedermacher winkt ab: „Ich blutjunger Greis bin weder lebensmüde noch sterbesüchtig. Diese 14 Verszeilen sind halt ein dunkles Sonett in finsteren Zeiten, aber gewiss keine Selbstmord-Annonce.“
Die Angaben zum Buch
Wolf Biermann: Mensch Gott! Suhrkamp Verlag, 22,-Euro
(vatican news)
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