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D: Wie die Kirchen sonntags wieder voll werden könn(t)en

Die neuesten Kirchenstatistiken bestätigen es schwarz auf weiß: Immer weniger Menschen in Deutschland besuchen einen Gottesdienst. Im Interview mit dem Kölner Domradio zeigt sich Pastoralreferent Martin Kürble überzeugt: Die Sehnsucht der Menschen danach aber sei da. Man müsse nur authentisch, lebendig und nah bei den Leuten sein.

DOMRADIO.DE: Wie war das bei Ihnen in der dramatischen Phase der Pandemie, als nichts öffentlich stattfinden durfte? Haben Sie die Gottesdienste gestreamt?

Martin Kürble (Pastoralreferent der Seelsorgeeinheit Düsseldorfer Rheinbogen): Na ja, wir haben uns auf der einen Seite natürlich voll und ganz aufs Domradio verlassen, weil wir glauben, dass andere das besser können, einfach technisch besser können. Ich finde es eine Katastrophe, irgendwo nur eine Webcam hinzustellen und den Menschen etwas vorzusetzen, was ansonsten überhaupt nicht ihren Seh- und Hörgewohnheiten entspricht. Wir sind alle aus dem Fernsehen und aus den Medien Professionalität gewohnt in Bild und Ton. Und das konnten wir zum damaligen Zeitpunkt einfach gar nicht so machen.

Hier das Interview mit Martin Kürble (Pastoralreferent der Seelsorgeeinheit Düsseldorfer Rheinbogen)

Deswegen haben wir gesagt: Leute, schaut euch die Gottesdienste bei domradio.de an, guckt euch die Sonntagsgottesdienste im Fernsehen an – das ist gut, die sind sehr gut gemacht, deswegen ist das richtig. Was wir gemacht haben sind Andachten, Video, Impulse und ganz vieles auch online gemacht als Video, aber eben dann als produziertes Video, das dann auch eine vernünftige Qualität hatte.

DOMRADIO.DE: Glauben Sie denn, dass es durch den Verweis auf die Medien eventuell einen Entwöhnungs-Effekt gegeben hat? Also dass die Menschen gemerkt haben, sie kommen auch ohne den Präsenz-Gottesdienstbesuch zurecht?

Kürble: Die Gefahr bestand natürlich, diese Sorge hatten wir auch. Aber ich glaube, die Menschen haben eine ganz große Sehnsucht nach Nähe, nach Begegnung. Das merkt man, finde ich, überall, wo man hinkommt. Und das betrifft genauso den Gottesdienst. Ja, natürlich haben sich Menschen an den Sonntag entwöhnt – das muss man ehrlicherweise so sehen.

Aber ich bin sicher, wenn die Angebote, die lebendigen Gottesdienste, so wie wir sie früher auch gefeiert haben, zurückkommen – mit guter Musik, mit ansprechenden Predigten und einem lebendigen Gemeindeleben – dann merken die Menschen, was ihnen gefehlt hat.

„Ich glaube, wenn die lebendigen Gottesdienste zurückkommen – mit guter Musik, mit ansprechenden Predigten und einem lebendigen Gemeindeleben – merken die Menschen, was ihnen gefehlt hat.“

DOMRADIO.DE: Wie nehmen Sie die Quote bei Ihnen im Rheinbogen wahr? Liegt die spürbar unter der Vor-Coronazeit?

Kürble: Also es gibt sicherlich noch die, die vorsichtig sind. Und angesichts der explodierenden Zahlen ist das auch richtig, auf sich und das eigene Sicherheitsbedürfnis zu achten. Aber wir nehmen gut gefüllte Gottesdienste wahr. Was uns tatsächlich fehlt sind Familien, weil wir da auch die Angebote noch nicht wieder hochgefahren haben. Wie gesagt, ich finde gerade in diesem Bereich, wo junge Menschen sind ohne eine lebenslange Gottesdiensterfahrung, muss die Qualität stimmen. Auch was die Musik angeht, was die musikalischen Gruppen, die diese Gottesdienste gestalten, angeht. Die müssen erst wieder proben, die müssen wieder in ihre Arbeit hineinkommen. Und dann fangen wir auch wieder an mit zum Beispiel eben Familiengottesdiensten, wo ich schon wahrnehme, die Menschen scharren mit den Hufen. Die möchten gerne, dass wir das wieder machen.

DOMRADIO.DE: Und die Familien füllen ja auch richtig die Gottesdienste, zumal die Kommunionkinder ja auch angehalten sind, jeden Sonntag in die Kirche zu kommen. Die Familien kommen dann ja auch in der Regel mit. Also es ist richtig voll und eigentlich ein schönes Erlebnis mit den Familien im Gottesdienst. Nur nach der Erstkommunion – so beobachte ich es zumindest – kommen die allermeisten dann nicht mehr. Was wäre Ihre Idee, diese Familien zu halten, so dass sie auch weiterhin sonntags in den Gottesdienst kommen?

Kürble: Ich glaube, das A und O ist, dass wir authentisch, lebendig und nah bei den Leuten sind. Und das ist etwas, was uns zum Beispiel jetzt in unserem Kommunionkurs – der ist erst letzten Sonntag zu Ende gegangen – deutlich gefehlt hat. Wir haben viel Nähe eingebüßt durch den Lockdown und all das und konnten da viele Familien nicht richtig mit auf den Weg nehmen. Das haben wir auch gemerkt. Dazu kommt, dass die Familien wirklich hoch belastet in diesem ersten Halbjahr 2022 gewesen sind, als alles wieder angelaufen ist. Wir waren es aber, ehrlich gesagt, nach zwei Jahren Pandemie auch nicht mehr gewöhnt, normales Leben und sozusagen Alltag zu fahren plus eine einladende Gemeinde zu sein.

Von daher sehe ich ganz klar, die Familien waren stark belastet und sind jetzt erst mal froh, durchpusten zu können. Ich glaube aber, dass wir gerade da sagen können: Hey, wenn wir Familiengottesdienste feiern – bei uns ist das einmal im Monat – dann kommt doch einmal im Monat. Ihr müsst nicht jeden Sonntag kommen, aber kommt dahin, wo wir euch speziell einladen. Und ich glaube, wenn wir solche Akzente setzen – unsere Nachbargemeinde hat jetzt einen Zirkus bei sich zu Gast und lädt ins Zirkuszelt ein – wenn wir solche Dinge tun, nah bei den Menschen und lebendig und fröhlich, dann lassen sich Menschen auch dazu einladen. Ich glaube, dass die Sehnsucht nach so etwas wie Gottesdienst, nach Gemeinschaft und Zusammenkommen, nach wie vor da ist.

„Die Sehnsucht nach so etwas wie Gottesdienst, nach Gemeinschaft und Zusammenkommen, ist nach wie vor da.“

DOMRADIO.DE: Die Gemeinden haben ja mittlerweile die Corona-Maßnahmen stark zurückgefahren. Teilweise erlebe ich noch die Maskenpflicht und der Friedensgruß läuft auch kontaktlos. Es ist wie so eine asiatische Verbeugung, die man macht. Gibt das Sicherheit oder schreckt das Menschen vielleicht ab, weil die Gemeinden allgemein sehr zögerlich sind beim Rückkehr in die Normalität?

Kürble: Das ist ja im Grunde wie beim Aldi auch: Die einen tragen Maske, die anderen nicht. Und ich glaube, das Sicherheitsbedürfnis ist da ganz unterschiedlich. Das war im Grunde die ganze Zeit ja relativ konfus. Immer wenn wir etwas geöffnet haben, dann haben die einen gesagt: Mensch, warum habt ihr das nicht schon lange gemacht? Und die anderen haben gesagt: Wie könnt ihr nur jetzt, was weiß ich, auf die Masken verzichten? Das ist sehr konfus und wir versuchen wirklich den Leuten zu sagen, auf das eigene Sicherheitsbedürfnis zu achten. Es ist genügend Platz da, wenn man Abstand braucht. Natürlich kann man die Maske weiter tragen – die einen tun's und die anderen tun's nicht.

Ich glaube, an der Stelle ist man gut beraten zu sagen, wir geben die Verantwortung ein Stück weit auch zurück. Wir gängeln nicht, wir sagen aber auch: Achtet darauf und achtet auf euren Nächsten. Achten wir gemeinsam aufeinander. Ich glaube, das ist der richtige Weg. Unsere Musiker zum Beispiel haben ein eigenes Zentrum. Das heißt, alle Chorsängerinnen und Sänger, werden vor jeder Probe und vor jedem Auftritt sowieso getestet. Das wird protokolliert. Also, ich glaube, wir gehen schon mit großer Verantwortung daran, aber auch mit der nötigen Freiheit, auch auf die Verantwortung des Einzelnen zu setzen.

Das Interview führte Tobias Fricke.

(domradio – mg)

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29. Juni 2022, 11:14