Unser Sonntag: Der Christus Gottes
Pfarrer Ferdinand Hempelmann
Lk 9, 18–24 Lesejahr C
Liebe Schwestern und Brüder,
in Rom gibt es im Viertel Trastevere die Kirche S. Maria in Trastevere. Geht man hinein wird man von Christus empfangen, der majestätisch auf einem Thron ist und neben ihm seine Mutter.
Sie ist die älteste Marienkirche der Stadt und soll auf ein Öl- Wunder zurück gehen. Sie beherbergt schöne Mosaiken aus dem 13. Jahrhundert, die das Leben Marias erzählen.
In der Weihnachtszene ist dieses Öl-Wunder dargestellt.
Die Geburt Jesu ereignet sich in einer Höhle. Davor ist ein Gebäude mit einem Turm zu sehen. Ein Schriftzug nennt den Namen des Gebäudes: „taberna meritoria“ – Gasthaus / Legionärshospiz. Ein Strom fließt aus dem Gebäude hinaus in Richtung Tiber, der ganz in der Nähe ist.
Messias: Der mit Öl-Gesalbte
Auf dem Gelände des Hospizes sprudelte im Jahr 38 v. Chr. für einen Tag und eine Nacht ein reichhaltiger Ölquell, der sich in den Tiber ergoß. Später hat man dieses Zeichen als Ankündigung des Messias gedeutet, denn Messias heißt übersetzt, der mit Öl-Gesalbte. Damals lebten viele Juden in diesem Viertel.
Seit Jahrhunderten hatte es keinen Gesalbten mehr in Israel gegeben. Nicht während der Babylonischen Gefangenschaft oder der Heimkehr aus der Gefangenschaft, nicht während der Zerstörung des Tempels und seines Wiederaufbaus. Weltuntergangsvorstellungen waren sehr verbreitet.
So wuchs in der Heimat Jesu die Sehnsucht nach jemanden, durch den Gott sich rettend und voller Erbarmen mit den Menschen zeigt.
Gerade in der Zeit, in der Jesus, die Apostel und Evangelisten lebten, erwarteten die Menschen das Kommen eines Messias.
Vorbote eines solchen Geschehens sollte z.B. der Prophet Elia sein.
„Der mit Öl-Gesalbte“.... das ist hebräisch „Messias“;
griechisch „christos“, und in lateinischer Sprache: Christus.
Ganz von Gott durchdrungen
Die frühen Christen haben in Jesus die Erfüllung dieser Messias-Erwartungen gesehen. Paulus nennt Jesus in seinem ersten Korintherbrief ‚Christus‘. Er schreibt: „Christus ist für unsere Sünden gestorben“. (1 Kor 15,3) Paulus erkennt in Jesus von Nazareth den Menschen, der von Gott gesandt ist, der ganz von Gott durchdrungen ist und in dem Gott aufleuchtet. Dieses Bekenntnis wird vom Evangelisten Lukas aufgegriffen.
Auf die Frage Jesu: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ antwortet Petrus: „für den Christus Gottes“.
„Wer ist denn dieser Jesus Christus, der sich in alles hineinmischt, -fragt der Dichter Rainer Maria Rilke- … und der immer wieder verlangt, in unserem Leben der Erste zu sein? Oder legt man ihm das nur in den Mund?“
Jesus ist zu allen Zeiten frag-würdig. Er wird in Frage gestellt und er ist es wert, nach ihm zu fragen.
Das hat er selbst schon zu Lebzeiten erfahren.
„Was ist das?“ (Mk 1,27), fragen die Leute in der Synagoge, in der Jesus am Beginn seines öffentlichen Auftretens einen unreinen Geist aus einem Mann austreibt.
„Wer ist dieser?“ (Mk 4,41) fragen die Jünger erschrocken, als er dem starken Wind auf dem See Einhalt gebietet.
„Er ist von Sinnen, verrückt!“ (Mk 3,21) sagen seine Angehörigen. Und Pilatus fragt: „Woher bist du?“ (Joh 19,9).
Jesus selbst fragt sogar die Menschen „Für wen halten mich die Leute?“ (Lk 9,18)
Jesus ist „mehrdeutig“ und er stellt den Menschen frei, für oder gegen ihn zu sein. „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich und wer nicht mit mir sammelt, der zertreut.“ (Mt 12,30)
Wer ist denn dieser Christus?
„Wer ist denn dieser Jesus Christus, der sich in alles hineinmischt, … und der immer wieder verlangt, in unserem Leben der Erste zu sein? Oder legt man ihm das nur in den Mund?“
Rilke ist die Bibel wichtig, vor allem das AT und darin das Buch der Psalmen. Aber Jesus Christus betrachtet er mit einer gewissen Skepsis. Rilke beharrt darauf, dass man Gott direkt begegnen könne, dass es keinen Mittler bräuchte und vor allem keine Priester, die er in einem Brief „Zwischenhändler“ nennt.
Er war eher jemand, der religiös experimentierte, der lieber dem Suchen einen festen Platz gab, als dass er sich auf dogmatische Formen festlegte. Denn nur so könne man wirklich auf seinem religiösen Weg Erfahrungen sammeln.
„Erst muss man Gott finden, ihn erfahren als so unendlich, so überaus, so ungeheuer vorhanden“, schreibt er.
Gott müsse aus der „Gerücht-Sphäre“ herausgeholt werden in die „tägliche Erlebbarkeit“.
„Du musst wissen, dass dich Gott durchweht von Anbeginn“, so Rilke.
Steht Jesus nicht genau dafür? Dass der Mensch durchweht ist von Anbeginn und dass man Gott finden und erfahren kann als „so überaus, so ungeheuer vorhanden“ und dass es bei Gott um mehr geht als „nur um einen geglaubten Gott“, wie Rilke es kritisch formuliert.
Ist Jesus nicht genau deshalb der Christus, der von Gott kommende, weil er eine kindliche Freiheit besaß, sich ganz Gott zu überlassen und wir diesem Weg folgen sollen? Mir kommt es vor, als gäbe es eine Verwandtschaft zwischen dem Denken Jesu und dem Denken des Dichters. Auch Jesus hat mit Skepsis auf einen Glauben geschaut, der dogmatisch festgefahren war, durch religiöse Oberhäupter vermittelt wurde und kaum Spielraum ließ für persönliche Erfahrungen.
Jesus hat sich nicht in den Messias-Titel einzwängen lassen, den ihm seine Zeitgenossen gerne übergestülpt hätten. Sie sollten ihre Erwartungen haben, aber er ist nicht gekommen, um diese zu erfüllen.
Deutlich wird das, wenn man das 9 Kapitel bis zum Ende liest. So trifft man auf folgende Stelle:
46 Unter ihnen (den Jüngern) kam der Gedanke auf, wer von ihnen der Größte sei. 47 Jesus sah den Gedanken in ihren Herzen. Deshalb nahm er ein Kind, stellte es neben sich 48 und sagte zu ihnen: Wer dieses Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf; und wer mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat. Denn wer unter euch allen der Kleinste ist, der ist groß.
Rilke schreibt:
„Alle, welche dich suchen, versuchen dich
Und die dich finden, binden dich
An Bild und Gebärde.
Ich aber will dich begreifen
Wie die Erde
Mit meinem Reifen
reift dein Reich“
Bei Matthäus steht: „Amen, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich hineinkommen.“ (Mt 18,3) Rilke empfiehlt, den Namen Gottes immer wieder auszusprechen. Das erinnert mich an Madeleine Delbrel, die das Experiment wagte, für eine gewisse Zeit jeden Tag 5 Minuten an Gott zu denken und so zu Gott fand.
Und so habe ich es auch von Kindesbeinen an getan.
Allerdings habe ich nicht Gott gesagt oder gedacht, sondern ich sagte viel lieber „Christus“.
In meiner Heimat gibt es viele Wege- und Hofkreuze. Das Bild des Gekreuzigten hat mich von klein auf angesprochen.
„Jesus“ wollte ich nicht sagen, das war mir zu persönlich. Ich dachte, ich kenne ihn ja nicht. Ich hatte auch sehr viel Respekt vor einem Kreuz. So erschien es mir höflicher, „Christus“ zu sagen.
Je länger ich diesen Namen in mir trug, umso mehr entfaltete sich dieser Name in mir. Jetzt werde ich ihn nicht mehr los.
Manchmal überkommt es mich und ich spreche ihn einfach aus, wenn ich kurz in eine Kirche hineinschaue, mit dem Hund spazieren gehe, auf ein Kreuz schaue, von einem Seelsorgegespräch komme oder mich im Garten in die Sonne setze.
Für mich ist der Name wie eine Tür, die sich öffnet oder wie ein Weg, der sich vor mir auftut.
Es ist wahrscheinlich nicht gleichzusetzen mit dem, wie Petrus es gesagt hat. Im Lukasevangelium klingt es wie ein dogmatisches Bekenntnis, von Lukas aufgeschrieben, um der Leserschaft etwas mitzuteilen.
Bei mir ist es etwas sehr Persönliches geworden.
Er ist der ganz andere und doch Mensch
Ich gehe darum gerne in die Kirche S. Maria in Trastevere.
Gerade dieses Mosaik spiegelt wider, was ich beim Namen Christus empfinde:
Er ist der ganz andere und doch Mensch.
Er wirkt majestätisch und doch menschlich neben seiner Mutter.
Ich muss zu ihm hinaufschauen, aber das hilft mir, meinen Blick zu weiten und mich zu öffnen.
Er ist für mich der, „der für mich ist“, wie es Lothar Zenetti formuliert hat.
Und er weckt in mir die Sehnsucht, die auch Madeleine Delbrel verspürt hat:
„Unsere Spiritualität besteht letztlich darin: Jesus zu sein, Jesus zu leben, Jesus zu sterben.“
Bei meiner Taufe am 9. Januar 1969 wurde auch mir das Salböl auf die Stirn gestrichen mit den Worten: „Durch die Taufe bist du nun Glied des Volkes Gottes und gehörst für immer Christus an.“
Damals konnte ich nicht verstehen, was mir geschieht. Ich bin überaus dankbar, dass ich es im Laufe meines Lebens entdeckt habe.
Christus – dieser Name ist für mich Offenbarung, Verheißung, Hoffnung und Heimat zugleich. Durch ihn spüre ich, wie mich „Gott durchweht von Anbeginn“.
Literatur:Rainer Maria Rilke, „Das musst du wissen, dass dich Gott durchweht von Anbeginn“ in: Deutschlandfunk.de von Burkhard Reinartz, 25.05.2015Perikopen.de
(radio vatikan - redaktion claudia kaminski)
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