Unser Sonntag: Mit Gott an unserer Seite...
Pfarrer Ferdinand Hempelmann, Dülmen
Dreifaltigkeitssonntag 2022
Joh 16, 12-15
Liebe Schwestern und Brüder,
als russische Soldaten die Ukraine überfielen und ein Kriegstag nach dem anderen verging, hörte ich, wie ausgerechnet Präsident Putin die biblischen Worte aus dem Johannesevangelium zitierte: „Es gebe keine größere Liebe, als wenn jemand sein Leben für seine Freunde hingibt“. Und auch der russische Patriarch stimmte mit ein in diese Rechtfertigung.
Damals machte mich eine Freundin aufmerksam auf das Lied von Bob Dylan: „With God on our Side – Mit Gott auf unserer Seite“.
With God on Our Side
„Mein Name tut nichts zur Sache.
Mein Alter bedeutet weniger.
Das Land aus dem ich komme,
nennt man den mittleren Westen.
Dort wurde ich unterrichtet und erzogen
die Gesetze zu befolgen.
Und dass das Land, in dem ich lebe,
Gott auf seiner Seite hat.
Die Geschichtsbücher erzählen es.
Sie erzählen es als gut.
Die Kavallerie griff an.
Die Indianer fielen.
Die Kavallerie griff an.
Die Indianer starben.
Das Land war jung
und hatte Gott auf seiner Seite.
[…]
Nun, auch der Erste Weltkrieg nahm seinen Lauf.
Er kam und ging.
Den Grund für das Kämpfen
habe ich nie verstanden.
Aber ich habe gelernt, ihn zu akzeptieren.
Ihn mit Stolz zu akzeptieren.
denn man zählt nicht die Toten,
wenn man Gott auf seiner Seite ist.
Als der Zweite Weltkrieg
zu Ende ging,
vergaben wir den Deutschen.
Sie wurden unsere Freunde.
Obwohl sie sechs Millionen (Menschen) ermordeten.
und in ihren Öfen verheizten.
Jetzt haben auch die Deutschen Gott auf ihrer Seite.
Ich habe mein ganzes Leben
gelernt, die Russen zu hassen.
Wenn ein Krieg kommt,
müssen wir gegen sie kämpfen.
Ich müsste sie hassen und fürchten,
ich müsste rennen und kämpfen.
Und alles tapfer ertragen
mit Gott auf meiner Seite.
Aber jetzt haben wir Waffen
die chemischen Staub versprühen.
Wenn man uns zwingt, sie zu benutzen, dann müssen wir sie eben benutzen.
Ein Knopfdruck.
Und die ganze Welt steht in Flammen.
Und du stellst keine Fragen,
wenn Gott auf deiner Seite ist.
In vielen dunklen Stunden,
habe ich darüber nachgedacht,
dass Jesus Christus
durch einen Kuss verraten wurde.
Aber ich kann nicht für dich denken.
Du musst selbst entscheiden,
ob auch Judas Iskariot
Gott auf seiner Seite hatte.
So, nun da ich gehe,
bin ich völlig am Ende.
Die Verwirrung, die ich fühle,
kann man nicht in Worte fassen.
Aber eines lässt mich nicht los und geht mir nicht aus dem Sinn:
Wenn Gott auf unserer Seite ist,
wird er den nächsten Krieg aufhalten.“
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Nun, wir wissen jetzt: Gott hat nicht den nächsten Krieg in Europa aufgehalten. Wie denn auch, wenn Kriegstreiber behaupten, er sei auf ihrer Seite. Auf wessen Seite ist er nun? Die Verwirrung ist perfekt.
Und dazu das Evangelium des heutigen Dreifaltigkeitssonntages:
12 Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen. 13 Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in der ganzen Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selbst heraus reden, sondern er wird reden, was er hört, und euch verkünden, was kommen wird. 14 Er wird mich verherrlichen; denn er wird von dem, was mein ist, nehmen und es euch verkünden. 15 Alles, was der Vater hat, ist mein; darum habe ich gesagt: Er nimmt von dem, was mein ist, und wird es euch verkünden. 16 Noch eine kurze Zeit, dann seht ihr mich nicht mehr, und wieder eine kurze Zeit, dann werdet ihr mich sehen.
In der Tat kann ich das alles nicht fassen. Wer leitet denn nun wen in „der ganzen Wahrheit“? Kann sich das jeder selbst aussuchen?
Wird Gott dabei nicht an der Nase herumgeführt? Der Text bildet den Abschluss der sogenannten Abschiedsreden im Johannesevangelium. Johannes versucht Antwort auf die Frage zu geben:
Gibt es nach dem Heimgang Jesu zum Vater noch eine Gottesgegenwart in der Gemeinde, in der Welt? Wie realitätsnah ist Jesus auch heute zu erfahren?
Verschiedene Traditionen und Lehren im Christentum
Wer entschlüsselt weiteren Generationen die Taten und Worte Jesu, so dass sie auch wirklich der Wahrheit entsprechen? Wer hilft zur Erkenntnis? Wer sorgt dafür, dass es eine Kontinuität gibt von Jesu Wirken auf Erden bis zu uns, eine Kontinuität zwischen dem, was Jesus gelehrt und gelebt hat und was die Kirche heute lehrt und lebt?
Dass das nicht einfach ist, zeigt sich schon allein in den verschiedenen christlichen Konfessionen mit ihren jeweiligen Vorstellungen, Traditionen und Lehren.
Im ersten Johannesbrief ist im 4 Kapitel folgendes zu lesen:
(1) Geliebte, traut nicht jedem Geist, sondern prüft die Geister, ob sie aus Gott sind; denn viele falsche Propheten sind in die Welt hinausgezogen. (2) Daran erkennt ihr den Geist Gottes: Jeder Geist, der Jesus Christus bekennt als im Fleisch gekommen, ist aus Gott (3) und jeder Geist, der Jesus nicht bekennt, ist nicht aus Gott. Das ist der Geist des Antichrists, über den ihr gehört habt, dass er kommt. Jetzt ist er schon in der Welt.
Derjenige also hat Gott auf seiner Seite, der Jesus „bekennt als im Fleisch gekommen“.
Das klingt sperrig und ich frage mich, wer soll das verstehen?
Dialog mit Jesus
Auch wenn die biblischen Texte sperrig sind, lohnt es sich doch , genauer hinzusehen.
„Jesus bekennen als im Fleisch gekommen“ bedeutet die Anerkennung der Person Jesu und die Anerkennung der Tatsache, dass Jesus Herr ist.
Ich glaube, man kann es nur verstehen, wenn man sich ganz auf diesen Gedanken einlässt! Einlässt auf das Experiment, mit Jesus in einen Dialog zu treten, ihn realitätsnah und als Autorität zu sehen und wenn man die Bereitschaft zeigt, auf seine Worte zu hören.
So, wie die Französin Madeleine Delbrel es getan hat und es sich auf einen Merkzettel schrieb, den sie wohl immer bei sich trug und der für sie zur Richtschnur wurde:
5 Minuten täglich an Gott denken
Madeleine Delbrel fragte sich, ob diese jungen Menschen recht haben könnten, ob es Gott gibt?
Sie nahm sich vor, von nun an jeden Tag 5 Minuten an Gott zu denken.
Am Ende dieses Experimentes beendete sie das Studium und ließ sich zur Sozialarbeiterin ausbilden.
Das Datum ihrer Bekehrung, der 29. März 1924, hat sie auf einen Zettel geschrieben und in ihrem Gebetbuch immer bei sich getragen.
Und auf diesem Merkzettel stehen die Worte:
„Ich will das, was du willst, ohne mich zu fragen, ob ich es kann. Ohne mich zu fragen, ob ich Lust darauf habe. Ohne mich zu fragen, ob ich es will.“
Der Geist Gottes führte nicht ins Machtzentrum
Dieses Zeugnis ist für mich die praktische Übersetzung dessen, was im 1. Johannesbrief steht: „Jesus Christus bekenne als den im Fleisch gekommen“. Diese Glaubenserfahrung ist die Voraussetzung dafür, die Geister zu unterscheiden.
Mit Gott an ihrer Seite hat sich Madeleine Delbrel aufgemacht. Der Geist Gottes führte sie nicht in ein Machtzentrum, sondern dorthin, wo die Ohnmächtigen leben, die Menschen, die in jedem Krieg nur verlieren, entweder ihr Leben, ihre Familienmitglieder oder Freunde, ihr Hab und Gut, ihre Würde. Die Bilder aus der Ukraine geben Zeugnis davon.
Gott zu den Menschen bringen
Nach ihrer Bekehrung war es Madeleine Delbrels Anliegen, „Gott einen Ort zu sichern“, wie sie sagte. Gott an ihrer Seite heißt für sie, Gott zu den Menschen bringen. Nicht die eigene Ideologie, sondern das Reich Gottes. Mit der Gottesbegegnung war für sie wie selbstverständlich die Hinwendung zu den Mitmenschen verbunden. Sie ist zutiefst berührt von der Liebe Jesu, von seinem Mitleiden und seiner Mitleidenschaft. Sie ist auch angesprochen von seiner Bedürftigkeit. Jesus sucht Mitliebende und findet doch so wenige.
Eine innige Jesusverbundenheit und Gottesgewissheit hat sie kurz vor ihrem plötzlichen Tod in einem Vortrag sagen lassen:
„Ich bin von Gott überwältigt worden und bin es immer noch.“
In diesem Glaubenszeugnis zeigt sich, was es heißt:
13 Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in der ganzen Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selbst heraus reden, sondern er wird reden, was er hört, und euch verkünden, was kommen wird. 14 Er wird mich verherrlichen; denn er wird von dem, was mein ist, nehmen und es euch verkünden.
Gott einen Ort sichern
Wenn wir Christen „Gott einen Ort sichern“, dann besteht die Möglichkeit, Hass und Feindschaft unter Menschen aufzuhalten, dann werden die Mitmenschlichkeit, die Menschenwürde siegen.
Als die Jünger hinter verschlossenen Türen versammelt waren, trat Jesus in ihre Mitte und sagte: „Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesendet hat, so sende ich euch!“ (Joh 20,21)
Literatur: Lyrics powered by musixmatch
„Madeleine Delbrel, Mystikerin der Straße“, Fastenpredigt am 28.02.2012, fr. Peter Kreuzwald OP
Perikopen.de
(radio vatikan - redaktion claudia kaminski)
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