Österreich: Studierende ordnen Klosterbibliothek in Lambach
Gudrun Sailer - Lambach
Im prachtvollen großen Bibliothekssaal des Benediktinerstifts Lambach sitzen sieben angehende Historikerinnen und Historiker um ein paar zusammengeschobene Tische, die Laptops aufgeklappt, die Finger in alten, staubigen Büchern, gelegentlich steht jemand auf und holt sich ein neues. Bücher überall: Rundherum stehen sie in den hohen Regalen, im angrenzenden kleinen Bibliothekssaal sogar in zwei Reihen hintereinander und auch in Nebenräumen, gestapelt auf Gängen und in Kartons. Alles in allem sind es etwa 25.000 Bände, die hier im Rahmen eines universitären Praktikums erfasst werden. Viele Bücher sind schon katalogisiert, andere warten noch auf ihre bibliografische Erfassung – Halbzeit im Projekt, erklärt die Historikerin Christine Grafinger, die in Augsburg lehrt und ihre Studierenden beim Praktikum im Stift Lambach unterweist.
„Wir haben seit drei Jahren ein Projekt mit der Universität Augsburg, um die Bestände der Bibliothek aufzuarbeiten. Und zwar deswegen, weil die Bücher im Krieg ausgelagert worden sind und nach ihrer Rückkehr nicht mehr ordnungsgemäß in die Regale eingeordnet worden sind. Daher ist die Bibliothek seit 70 Jahren unbenutzbar. Wir wollen mit dieser Aufarbeitung die Bibliothek wieder zugänglich machen.“
Schöne Funde
Klarerweise macht man so seine Entdeckungen in einer alten Klosterbibliothek, die gerade aus 70 Jahren Dornröschenschlaf erwacht. Michael Rössle, 23, fand gleich am ersten Tag im Praktikum „einen Kupferstich von Assisi, sehr schön gemacht, ausklappbar.“ Ein Buch von 1721 mit dem Titel „Die Liebligkeit des Paradeis-Hügels“, es geht um Orden, und je mehr man blättert, desto mehr dieser ausklappbaren Kupferstiche findet man. „Ich konnte das nicht ahnen“, erklärt der Student, „es ist mir aufgefallen, weil in der Mitte eine Spalte in dem Buch drin war. Dann habe ich es überhaupt erst gesehen, aufgeschlagen und gleich so etwas Schönes gefunden.“
„Mit den alten Büchern arbeiten zu können, macht richtig Spaß“, stimmt die 20jährige Lara Bolz ein. „Wenn man diese ganz alten Bücher rausholt und den Staub erstmal wegpustet: Man freut sich jedes Mal auf das Geheimnis in dem Buch drin.“ Stefan Neumann, 31, findet dieses Praktikum so spannend, dass er schon zum dritten Mal dabei ist. „Ich habe mich oft dabei erwischt, dass ich mich ein bisschen auch in dem Buch verliere, gerade bei älteren Sachen, die seltener sind, Frühdrucke zum Beispiel mit Stichen und Holzschnitten, das ist auch handwerklich schön. Und man lernt dann auch vieles dabei.“
Erfasst werden Bücher bis zum 18. Jahrhundert, die ältesten sind aus dem 16. Jahrhundert. Letztes Jahr entdeckten die Kloster-Praktikanten in den ungeordneten Beständen auch Inkunabeln, also Wiegendrucke aus der Frühzeit des Buchdrucks vor 1500. „Es sind sehr viele Bücher aus dem 16. Jahrhundert da, vor allem juristische Bücher, theologische Schriften, auch Predigtsammlungen“, so Christine Grafinger. „Überraschenderweise auch viele jesuitische Predigten gegen Luther und die lutherische Lehre und auch philosophische Schriften aus dem 18 Jahrhundert.“
Lambach, wichtige Schreibstube des Mittelalters
An sich ist das oberösterreichische Stift, gegründet 1056, berühmt für seine Handschriften. Lambach war ein wichtiges Skriptorium, eine Schreibstube, in der über Jahrhunderte kundige Mönche Texte nach alten Vorlagen kopierten und manchmal auch ergänzten. Bekannt ist das Rituale von Lambach, Christine Grafinger gerät ins Schwärmen: „Das hat wunderbare, ganz feine Federzeichnungen aus dem 13. Jahrhundert, das ist ganz was Tolles!“
Zum Studium dieser Kostbarkeiten hat die Gmundnerin seinerzeit mit ihren Augsburger Studierenden die Stiftsbibliothek angesteuert – und dabei von der ungeordneten Sammlung der gedruckten Bücher erfahren. Ob sie da nicht helfen könnte?, fragte sie den Lambacher Abt Maximilian Neulinger. Der sagte freudig „Ja“. „Wir Benediktiner gehen ja gerne mit der Flagge durch das Land, mit dem Wahlspruch ora et labora et lege (bete, arbeite und lese). Da sind eben auch Buchstaben gemeint und Bücher“, erklärt der Abt. „Ein Benediktinerkloster ohne Bücher, das ist eigentlich nicht vorstellbar. So gesehen ist es auch gut, wenn hier wieder Ordnung einkehrt.“
Für alle ein Gewinn
Es ist für alle ein Gewinn: Vier Wochen lang beherbergt und verköstigt das Kloster die Studierenden gratis, untergebracht sind sie in der Klausur bei den Mönchen, weil im Gästetrakt, der bei den Benediktinern nie fehlen darf, derzeit 19 Flüchtlinge aus der Ukraine wohnen. Die Augsburger katalogisieren Stück für Stück die Bücher und sammeln unschätzbare praktische Erfahrungen. „Es ist eine tolle Gelegenheit, hier leben zu können, diesen Mönchs-Alltag auch mitzuerleben“, sagt der 22-jährige Noah Barthelmes, „und gleichzeitig dann noch auf der Arbeit eben auch noch mal so einen Einblick in wirklich historische Objekte zu bekommen.“
Die Lambacher Mönche werden 2024 auf eine wohlgeordnete und katalogisierte Bibliothek stolz sein können, Forschende haben Aussicht auf einige neue Entdeckungen. Und Christine Grafinger hat mal wieder geholfen. Übrigens hat Papst Franziskus die Historikerin, die fast alle ihre Berufsjahre an der Vatikan-Bibliothek zubrachte, dort Hunderten desorientierten Gelehrten beistand und zu deren Kummer vor vier Jahren in Pension ging, kürzlich zum Mitglied des päpstlichen Historikerkomitees ernannt.
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