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Der Bischof von Aachen Helmut Dieser ist ab sofort Vorsitzender der bischöflichen Fachgruppe für Fragen des sexuellen Missbrauchs und von Gewalterfahrungen. Der Bischof von Aachen Helmut Dieser ist ab sofort Vorsitzender der bischöflichen Fachgruppe für Fragen des sexuellen Missbrauchs und von Gewalterfahrungen. 

Missbrauch: „Lernen, das himmelschreiende Unrecht zu benennen“

Die deutschen Bischöfe sind noch lange nicht am Ende in der Frage der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt. Das glaubt der Aachener Bischof Helmut Dieser, neuer Beauftragter der Bischofskonferenz für die Aufarbeitung und Vorbeugung von Missbrauch. „Wir lernen, dass wir das himmelschreiende Unrecht beim Namen nennen müssen“, sagte Dieser am Mittwoch in Fulda.

Gudrun Sailer - Vatikanstadt

Die deutschen Bischöfe haben bei ihrer derzeit laufenden Vollversammlung in Fulda beschlossen, den Themenbereich sexueller Missbrauch an Minderjährigen und erwachsenen Schutzbefohlenen in der Kirche neu zu ordnen. Der bisherige Beauftragte, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, wollte die Aufgabe nach zwölf Jahren abgeben. An seine Stelle tritt der Bischof von Aachen Helmut Dieser und als sein Vize der Erzbischof von Freiburg, Stephan Burger.

Das wesentliche Element der Neustrukturierung ist ein neu einzurichtender, unabhängiger Expertenrat, hieß es bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Fulda. Diesem Gremium, das sich an Vorbildern aus den USA, Irland und Australien orientiert, sollen externe Fachleute sowie Vertreter des weiter bestehenden Betroffenenbeirates angehören. Als Aufgaben des Expertenrates nannte Bischof Ackermann „die Sorge für die Einhaltung von staatlichen und kirchlichen Richtlinien und ein transparentes Berichtswesen - also eine Form von Tätigkeitsbericht zu geben, aber nicht nur über die eigene Tätigkeit, sondern auch im Blick auf die Bischofskonferenz. Es geht um Qualitätssicherung, nicht nur um Feststellung des Ist-Standes, sondern auch um Anregungen zur Weiterentwicklung und um die Verstetigung der Zusammenarbeit mit staatlichen und anderen Stellen.“  

Was in 12 Jahren geschehen ist

In den vergangenen zwölf Jahren seien „wichtige Schritte in der Bekämpfung von sexualisierter Gewalt und Aufarbeitung“ gelungen, sagte Ackermann unter Verweis auf die großangelegte MHG-Studie und das neue System von Anerkennungszahlungen. Der Bischof dankte allen Fachleuten, die sich mit ihrer Expertise eingebracht haben, und allen Betroffenen, die bereit waren, „über das Schreckliche überhaupt zu sprechen und sich am Prozess der Aufarbeitung zu beteiligen“.

„Ich bin mir auch bewusst, dass ich Betroffene in meiner Aufgabe verletzt habe“

Die Aufgabe habe ihn persönlich verändert und seinen Blick auf die Kirche und ihre Strukturen verändert, bekannte Ackermann. „Es ist mir sehr bewusst, dass für die Gruppe der Betroffenen der Kontakt zur Institution Kirche und ihren Vertretern schwierig war und ist, und ich bin mir auch bewusst, dass ich Betroffene in meiner Aufgabe verletzt habe, auch wenn es nicht meine Absicht war.“ Ackermann bat um Vergebung dafür, „wenn ich als Beauftragter Menschen aus der Gruppe der Betroffenen zurückgesetzt, verletzt habe.“

Neue Struktur: „Triangel mit drei Playergruppen“

DBK-Sprecher Matthias Kopp sagte, als Nachfolger Ackermanns hätten die Bischöfe aus ihrer Mitte Helmut Dieser „fast einstimmig gewählt“. Er ist damit Vorsitzender der - neu so benannten - bischöflichen Fachgruppe für Fragen des sexuellen Missbrauchs und von Gewalterfahrungen. Bischof Dieser bezeichnete die neue Struktur als „Triangel mit drei Playergruppen“: die Bischöfe, die Betroffenen und das Expertengremium, „das nicht mehr vor allem aus unserer Logik der Bischofskonferenz her, sondern aus der Fachexpertise, die dort vertreten sein wird, das Thema angeht – und das deshalb eine größere Unabhängigkeit haben wird.“

Hier zum Hören:

Bischof Dieser: „nur im Gottvertrauen angehen"

Er könne, sagte Bischof Dieser, seine neue Aufgabe nur angehen „im Gottvertrauen auf den Gott Jesu Christi, der in seiner Verkündigung eindeutig parteiisch auf der Seite der Armen steht, derer, deren Schicksal totgeschwiegen wird, die nicht zu ihrem Recht kommen können, denen Unrecht angetan wurde bis in die Bedrohung der eigenen Existenz hinein. Der Gott, an den wir glauben, ist der Gott dieser Menschen zuerst.“

Insgesamt müssten die deutschen Bischöfe darauf hinarbeiten, „dass in der Kirche und in der Gesellschaft eine Atmosphäre entsteht, in der Betroffene den Mut finden, aus der Dunkelheit herauszutreten“. Dieser benannte zwei Schwierigkeiten auf diesem Weg für die Kirche.

„Das ist neu": Sich-Distanzieren-Müssen vom Vorgänger

„Das ist neu. Eine solche Kultur haben wir noch nicht entwickelt.“

„Eine kleine Schwierigkeit liegt darin, dass wir gegen das katholische Lebensgefühl agieren, wenn wir unsere Vorgänger belasten. Das ist etwas Fremdes für einen katholischen Bischof. Wir stehen auf ihren Schultern, wir wollen das, was sie gut gemacht haben, weiterführen, Punkt. Jetzt müssen wir aber in der Öffentlichkeit sagen, da ist aber vieles überhaupt nicht gut, ich muss mich davon distanzieren. Das ist neu. Eine solche Kultur haben wir noch nicht entwickelt.“

Die noch größere Schwierigkeit sieht der neue Missbrauchs-Beauftragte der Bischofskonferenz in der verborgenen und zerstörerischen Tragweite von sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch, die zu der immer noch nicht überwundenen „Unkultur des Verschweigens“ in der Kirche führe.

Missbrauch so giftig wie Radioaktivität

„Und wir lernen, dass wir das himmelschreiende, von keinem zu verantwortende Unrecht beim Namen nennen müssen“

„Ich bin überzeugt davon, dass das ganze Thema höchst giftig ist. Im sozialpsychologischen Sinn mindestens so sehr wie Radioaktivität. Es wirkt unendlich nach, und es zerstört soziale Beziehungen, nicht nur in der Kirche, in der Gesellschaft im Ganzen. Und weil das so ist, gibt es einen Grundreflex des Verschweigens. Den gibt es nun einmal, denn wenn man es ausspricht, können wir morgen nicht mehr weiter so miteinander leben und umgehen, wie wir das heute noch getan haben. Weil das so zerstörend ist und im Fall der Kirche extrem zerstörend, weil es an das Gottesverhältnis rührt, weil es die Heiligkeit des Lebens, für die wir eigentlich stehen, verletzt, weil es die Schwachen und die Schutzbefohlenen ausnutzt. Das sind alles so himmelschreiende Dinge und so giftige Sachen, die anzuschauen ganz schwer ist, aber unerlässlich. Das lernen wir gerade. Und wir lernen, dass wir das himmelschreiende, von keinem zu verantwortende Unrecht beim Namen nennen müssen.“

„Wir leiden alle, aber am meisten leiden die Betroffenen“

Das sei schwer, dennoch vertraue er darauf, dass die Kirche diese Aufgabe aus ihrer Glaubensbotschaft und ihrem Gottesbild heraus meistern könne, sagte Dieser.

„Wir leiden entsetzlich, die Kirche leidet, es gibt viele Gläubige, die das kaum aushalten, wir leiden alle, aber am meisten leiden die Betroffenen. Es ist aber auch so, dass die Kirche daran kaputt gehen kann. Ja, aus rein menschlichem Ermessen können wir das eigentlich gar nicht schaffen. Ich glaube aber, dass wir dennoch die Kraft von Gott her haben, weiterzugehen im Sinn der Betroffenen, und uns zu erneuern.“

(vatican news – gs)

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28. September 2022, 15:55