Die Märtyrerinnen von Compiègne
Von Sr. Bernadette Mary Reis FSP
Beim Blättern in den Annalen der Geschichte stößt man auf entscheidende Momente, in denen Ordensfrauen in den Lauf der Ereignisse eingreifen. Ein Beispiel dafür sind die Karmelitinnen von Compiègne. Viele haben schon von ihnen gehört, wissen aber vielleicht nicht, dass ihr Opfer dazu beigetragen hat, die Schreckensherrschaft in Frankreich zu beenden.
Alles begann 1693 mit dem Traum einer 29-jährigen behinderten Laiin, die im Karmel von Compiègne wohnte. Sie sah Jesus, der von seiner Mutter Maria begleitet wurde, außerdem von der heiligen Teresa von Avila und zwei anderen mit dem Kloster verbundenen Karmelitinnen. Nachdem sie Hinweise über ihre eigene Berufung erhalten hatte, hatte sie eine Vision, in der einige Karmelitinnen auserwählt wurden, „dem Lamm zu folgen“.
Ein Zeitsprung von fast 100 Jahren: 1786 fand Mutter Teresa vom heiligen Augustinus, die neu gewählte Oberin des Klosters, einen Bericht über diese Vision, die Schwester Elisabeth Baptiste vor der Ablegung ihrer Gelübde als Karmelitin empfangen hatte. Mutter Teresa spürte, dass sie eine Prophezeiung für ihre eigene Gemeinschaft war.
Kurze Zeit später erlebte Frankreich die Französische Revolution, und die sogenannte „Schreckensherrschaft“. Im Februar 1790 wurde die vorläufige Aufhebung der Ordensgelübde endgültig bestätigt. Am 4. August wurden die Besitztümer des Karmelitinnenklosters inventarisiert. Einen Tag später wurden die Schwestern einzeln verhört und erhielten die Möglichkeit, sich von ihren Gelübden loszusagen. Zum Leidwesen der mit dieser Aufgabe Betrauten brachte jede einzelne Karmelitin ihre feste Absicht zum Ausdruck, ihren Gelübden bis zum Tod treu zu bleiben.
Ordensverbot
An Ostern 1792, zwei Tage nach jenem 6. April, an dem das Tragen des Ordensgewands verboten worden war, sprach man in der Gemeinschaft über die erwähnte Vision. Die Ereignisse begannen sich zu überstürzen. Im August wurde die Schließung und Räumung aller Frauenklöster angeordnet; die Beschlagnahmung ihrer Güter folgte bald darauf.
Die 20 Karmelitinnen von Compiègne verließen ihr Kloster am 14. September, dem Fest der Kreuzerhöhung. Dank der Hilfe von Freunden fanden sie an vier verschiedenen Orten Unterschlupf und konnten sich Zivilkleidung beschaffen. Allerdings konnten sie es sich nicht leisten, Kleidung zum Wechseln zu kaufen, und ihre Bitte um entsprechende Mittel von der Regierung blieb unbeantwortet.
Ein ungewöhnlicher Vorschlag
Kurze Zeit später machte die Oberin den vier ältesten Chorschwestern, mit denen sie zusammenlebte, einen Vorschlag: die gesamte Gemeinschaft sollte aufgefordert werden, ihr Leben für die Rettung Frankreichs aufzuopfern, in Anlehnung an die heilige Teresa von Avila, die den Karmel reformiert hatte. Verständlicherweise stieß sie sofort auf Widerstand. Denn wer würde sich bei klarem Verstand freiwillig der sofortigen Enthauptung durch die neu eingeführte Guillotine unterwerfen?
Bemerkenswerterweise baten die beiden ältesten Nonnen jedoch innerhalb weniger Stunden ihre Oberin um Vergebung für ihren mangelnden Mut. Damit war der Weg frei für Mutter Teresa, den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft einen Akt der Selbsthingabe vorzuschlagen. Nach dem 27. November sprach jede Nonne täglich einen von der Priorin verfassten „Akt der Aufopferung für die Rettung Frankreichs“. Später wurden die Anliegen der Freilassung der Verhafteten und für durch die Guillotinen Hingerichtete hinzugefügt.
Am 21. Juni 1794 durchsuchten Soldaten die Wohnräume der Nonnen. Am nächsten Tag wurden sie aufgrund von Beweisen verhaftet, die bei der Durchsuchung aufgetaucht waren, denn diese bestätigten nach Meinung der Behörden, dass sie weiterhin ein geweihtes Leben führten und dass ihre Sympathien der Monarchie galten. Die nunmehr 16-köpfige Karmelitinnengemeinschaft wurde zusammen mit 17 englischen Benediktinerinnen in einem ehemaligen Kloster der Salesianerinnen inhaftiert. Am 12. Juli stürmte der Bürgermeister von Compiégne in Begleitung von Soldaten in das Kloster und war völlig überrascht, sie in ihren Ordensgewändern zu sehen, die sie angelegt hatten, weil das einzige Paar Zivilkleidung, das sie besaßen, durchnässt war. Ihre Abreise nach Paris, wo sie vor Gericht gestellt werden sollten, konnte jedoch nicht aufgeschoben werden.
Am 17. Juli wurden die 16 Karmelitinnen zusammen mit 24 anderen Gefangenen unter anderem als „Volksfeinde“ beschuldigt und zum Tod verurteilt. Jede der Nonnen bereitete sich nun auf die Erfüllung der prophetischen Vision vor. Sie würden dem Lamm bald folgen.
Noch am selben Abend waren in den Straßen von Paris, durch die sie geführt wurden, ihre Stimmen zu hören, als sie das Offizium sangen. Der Henker erlaubte ihnen, die Gebete für die Sterbenden zu beenden, zu denen auch der Gesang des Te Deum gehörte. Nachdem sie anschließend das Veni Creator Spiritus gesungen und ihre Gelübde erneuert hatten, gingen die Nonnen eine nach der anderen zum Schafott, erhielten von ihrer Priorin einen letzten Segen und küssten eine kleine Marienstatue. So folgten sie dem Opferlamm.
Seligsprechung
Zehn Tage später wurde Robespierre verhaftet und am nächsten Tag hingerichtet, so dass es kaum Zweifel daran gab, dass der Herr die Aufopferung ihres Lebens angenommen hatte. Die Märtyrerinnen von Compiègne wurden 1909 von Papst Pius X. seliggesprochen. Derzeit läuft ein Verfahren zur äquipollenten Heiligsprechung.
(vatican news - sm)
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