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Oliver Müller von Caritas Deutschland im Gespräch mit Radio Vatikan Oliver Müller von Caritas Deutschland im Gespräch mit Radio Vatikan 

D/Afghanistan: Christliche Caritas wird nach wie vor akzeptiert

Das Land am Hindukusch gilt als eines der frauenfeindlichsten der Welt und gleichzeitig als eines der ärmsten Länder überhaupt. Die islamistische Taliban-Regierung lässt trotz religiöser Vorbehalte zu, dass auch katholische Organisationen wie Caritas Deutschland humanitäre Hilfe leisten. Der Leiter für die internationale Abteilung bei Caritas Deutschland, Oliver Müller, war jetzt in Afghanistan. Wir sprachen mit ihm.

Müller: Ich bin hierher nach Afghanistan gekommen, um unsere Projektpartner zu treffen und mit den Partnern vom Deutschen Caritasverband zu eruieren, inwiefern wir nach dem Arbeitsverbot für Frauen in der humanitären Hilfe noch weiter tätig sein können. Und so habe ich mich hier mit vielen Menschen getroffen, auch mit Frauen, und habe jetzt einen ganz guten Überblick bekommen.

Hier das Interview mit Oliver Müller zum Nachhören

Afghanistan ist bei uns im Westen als frauenfeindliches Land in den Köpfen präsent. Wie haben Sie das erlebt? Müssen wir unsere Vorurteile ein bisschen zurechtweisen oder ist es wirklich so schlimm für die Frauen in diesem Land?

„Und ja, diese Einschränkungen, auch die beruflichen Einschränkungen machen sich in allen Bereichen bemerkbar.“

Müller: Es gibt eine internationale Studie, die zu dem Schluss kommt, dass Afghanistan weltweit der schlechteste Ort für Mädchen und Frauen ist. Und das kann ich nach meinen Begegnungen hier auch bestätigen. Frauen sind weitgehend aus dem öffentlichen Leben verbannt. Hier in Kabul, in der Hauptstadt, wo ich momentan bin, können sie sich auf der Straße noch frei bewegen. Aber man sieht sehr, sehr wenige Frauen. In vielen Provinzstädten allerdings - wurde mir in Gesprächen gesagt - dürfen Frauen nicht mal mehr alleine zum Einkaufen gehen. Das heißt, sie müssen einen männlichen Begleiter aus ihrer Familie dabei haben. Und das kann nur ihr Mann, ihr Bruder oder ihr Vater sein. Frauen, die darüber nicht verfügen, können überhaupt nicht mehr rausgehen. Und ja, diese Einschränkungen, auch die beruflichen Einschränkungen, machen sich in allen Bereichen bemerkbar. Und dazu kommt eben noch, dass hier bald wieder die Schule öffnen, aber Mädchen nach sechs Jahren Schule nicht mehr dorthin zurückkehren dürfen. Sie dürfen nicht studieren. Und das ist insbesondere für die jungen Frauen hier eine enorm deprimierende Situation, mit der viele nicht klarkommen. Und man kann ihnen da leider auch kaum Hoffnung machen, dass sich das in nächster Zeit ändern wird.

Frauen in Afghanistan
Frauen in Afghanistan

Da ist auch die Frage: Sind diese Einschränkungen eher aus kulturellen oder aus religiösen Gründen? Weshalb ist diese Einstellung gegenüber Frauen, die so frauenfeindlich ist?

Müller: Wir haben es hier in Afghanistan ohnehin mit einer sehr patriarchalisch geprägten Gesellschaft zu tun, in der Männer den Ton angeben. Das ist insbesondere in ländlichen Gegenden ganz extrem ausgeprägt. Diese Situation wurde jetzt noch verschärft durch die Taliban-Regierung, die die Rechte von Frauen nochmals eingeschränkt hat, denn selbst unter den schwierigen Bedingungen der vergangenen Jahre war es ja an vielen Orten möglich, Mädchenschulen aufzubauen, in denen ein Zugang zu Bildung möglich war. Das war zwar nicht flächendeckend der Fall in diesem Land, aber doch in vielen Gegenden. Und jetzt hat sich die Situation für Frauen noch einmal wesentlich verschlechtert. Sie sind auch die, die hier in diesem Land, in dem sehr viel Hunger herrscht, am meisten Not leiden.

Die Caritas ist ein katholisches Hilfswerk. Wie ist denn eure Präsenz in dem Land möglich? Wir wissen ja, dass auch christliche Einrichtungen jetzt nicht unbedingt sehr willkommen geheißen werden von der Taliban-Regierung.

Müller: Wir verschweigen nicht, dass wir die katholische Caritas sind. Nun gut, wir haben auf unseren Autos nicht das Caritas-Flammenkreuz abgebildet. Das wäre dann vielleicht doch ein Sicherheitsrisiko. Aber genau deshalb, weil wir sagen, was die Grundlage unseres Handelns ist, wird die christliche Caritas hier auch nach wie vor akzeptiert.

„Aber wir können als christliche Organisation auch deshalb arbeiten, weil man uns abnimmt, dass wir ein humanitäres Mandat haben.“

Ich muss ein Visum bei den de facto-Autoritäten der Taliban hier beantragen. Ich habe das auch bekommen. Die wissen, dass ich hier bin und sie respektieren unsere Arbeit auch. Wir können hier sicher arbeiten. Wir haben jedoch die Probleme der Beschäftigung von Frauen, wie sie ja alle im Land haben. Aber wir können als christliche Organisation auch deshalb arbeiten, weil man uns abnimmt, dass wir ein humanitäres Mandat haben. Das ist wichtig, und das stellen wir in unseren Projekten auch unter Beweis. Würden wir in den Bereich pastoraler Ziele gehen, dann hätten wir ein großes Problem. Aber das gehört nicht zum Aufgabengebiet der Caritas hier. Und so machen wir eben aus unseren christlichen Wurzeln keinen Hehl. Dennoch wird dies durchaus auch akzeptiert.

Auf der einen Seite die christlichen Wurzeln, aber schauen wir andererseits in die Zukunft. Wie sehen Sie die Zusammenarbeit und die Arbeit jetzt auch für die Zukunft der Caritas - Caritas Deutschland - in Afghanistan?

Müller: Also, dass wir als Caritas Deutschland in Afghanistan weiterarbeiten können, daran besteht eigentlich kein Zweifel. Unsere Hilfe wird auch dringend benötigt. Das ist das, was uns auch die Dorfgemeinschaften, die Projektpartner hier widerspiegeln. Afghanistan ist eines der ärmsten Länder und braucht dringend Hilfe. 28 Millionen Menschen sind hier auf Hilfe angewiesen. Das ist eine enorme Zahl. Und von daher ist die Hilfe notwendig. Die Frage, vor der wir stehen, ist, wie wir auch die Frauen erreichen können. Es gibt keinen Zweifel daran: ohne Frauen können wir nicht arbeiten. Und das zu sehen, wie es gehen kann, war jetzt der Inhalt meines Besuchs hier. Was sich abzeichnet ist, dass es wohl enorme regionale Unterschiede gibt. Es gibt Provinzen, in denen wirklich das Frauenverbot, das Arbeitsverbot, zu 100 Prozent durchgeführt wird. Es gibt aber auch Provinzen, in denen kleinere Freiheiten herrschen, in denen mündliche Zusagen von Ortsverantwortlichen gegeben werden. Und es geht jetzt darum, diese Situation zu nutzen und zu sehen, wo man wie das Maximum auch für die Frauen erreichen kann, denn die werden wir nach wie vor im Zentrum unserer Aktivitäten stehen.

Armut in Afghanistan
Armut in Afghanistan

Gibt es ein Anliegen, etwas das Sie, wenn Sie jetzt nach Deutschland zurückkehren, mitnehmen und das Sie mit unseren Hörerinnen und Hörer teilen wollen?

Müller: Ich habe den Eindruck, dass bei uns in Europa Afghanistan jetzt oftmals als ein Reich der Dunkelheit wahrgenommen wird. Hinzu kommt, dass das Land in Vergessenheit zu geraten droht, auch weil es andere Krisengebiete gibt, den Krieg in der Ukraine beispielsweise, der uns jetzt in Beschlag nimmt. Und mein Eindruck hier ist wirklich, dass die Menschen die Solidarität weiter verdienen und viele sich diese Situation, die sie jetzt haben, auch nicht ausgesucht haben. Wahrscheinlich sogar die meisten. Und von daher meine inständige Bitte, dass wir sie nicht vergessen. Und das ist auch das, was ich versucht habe, hier zu tun. Aber das hängt natürlich auch letztlich dann von unseren Spenderinnen und Spendern und auch unseren Partnern wie der deutschen Regierung ab, inwieweit sie uns dabei unterstützen. Aber da bin ich eigentlich ganz zuversichtlich.

Das Interview führte Mario Galgano.

(vatican news)

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07. März 2023, 10:44