Kommentar: Wenn eine Großbank das Vertrauen verliert
P. Martin Werlen* - Propstei St. Gerold im Großen Walsertal
Die Credit Suisse: Diese große Bank ist ein besonderes Merkmal für die Schweiz. Und zwar ist diese Bank entstanden durch einen Menschen, der genial war im 19. Jahrhundert. Er hat gemerkt, wie in England die Eisenbahnen das Land immer mehr erschließen. Klar, das soll auch in der Schweiz passieren, so Alfred Escher. Er war damals in verschiedenen Regierungen auf Bundesebene, auf kantonaler und für die Stadt Zürich aktiv. Und für ihn war klar: Die Schweiz muss mit der Bahn erschlossen werden.
Aber das zu schaffen, war nicht einfach. Der Widerstand war groß. Viele haben gesagt: Wie kann man in der Schweiz diese Bahn bauen, wenn so hohe Berge dastehen? Dann hat er gesagt: Wir bauen Tunnels. Um das zu machen, gründete er die ETH, die Eidgenössische Technische Hochschule, um dort Ingenieure auszubilden, die das Werk in Gang bringen können.
Und wie sollte das finanziert werden? Dazu hat er eine Bank gegründet, die bis heute die Credit Suisse ist. Und darum ist diese Bank nicht einfach eine Bank der Schweiz, sondern sie ist ein Aushängeschild, etwas, was zutiefst mit der Schweiz verbunden ist.
Es hat also mit dem öffentlichen Verkehr zu tun, mit der ETH, an der sogar Albert Einstein Professor war und die eine der großen Ausbildungsstätten für Technik überhaupt in der Welt ist. Und die Credit Suisse wurde in der Zwischenzeit eine der 30 wichtigsten Banken in der Welt.
Dass ein solches Banksystem zusammenbricht, das berührt alle in der Schweiz. Wie ist das möglich? Interessant ist, dass es nicht so sehr am Geld hängt, sondern am Vertrauen, das immer mehr verschwunden ist. Also, wenn wir das Vertrauen in eine große Institution verlieren, wenn wir da kein Vertrauen mehr haben, dann zerbricht das. Das zeigt uns einmal mehr, wie wichtig es ist, dass wir einander vertrauen können.
Dass wir einander vertrauen können, bedeutet, dass wir versuchen, unsere Verantwortung in dem Bereich, wo wir Verantwortung tragen, auch gut wahrzunehmen. Offenbar ist das bei dieser Bank in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten nicht passiert. Und es ist auch nicht geschehen in den vielen Institutionen, die verantwortlich sind, das Ganze zu kontrollieren, von der Politik über die Finanzaufsicht. Man hat offenbar nicht ernst genommen, dass da große Schwierigkeiten sind.
Der Staat hat interveniert und die zweite große Bank in der Schweiz, UBS, hat Credit Suisse übernommen. Das ist natürlich ein sehr riskantes Geschäft, weil dann plötzlich eine Bank, die sehr große Macht hat, dieses große Geld macht. Umso wichtiger ist natürlich, dass in Zukunft die Kontrolle tatsächlich auch geschieht. Jetzt suchen natürlich viele nach den Verantwortlichen und das ist wichtig, dass man das macht. Aber es ist nicht so einfach, wie viele Menschen sich das vorstellen. Diese Großbank ist ein sehr komplexes Gebilde. Und da wahrzunehmen, wo der Fehler ist, wo die Fehler passiert sind...? Das sind wahrscheinlich sehr, sehr viele. Wir als Einzelne können das kaum durchschauen.
Aber was wir können, ist uns herausgefordert fühlen, dass wir dort, wo wir verantwortlich sind, versuchen, unsere Verantwortung auch wahrzunehmen. Und etwas, was auch sehr wichtig ist, und das habe ich gerade bei dieser Bank sehr vermisst, dass die heute Verantwortlichen auch klar sagen, es ist etwas passiert, was nie hätte passieren dürfen. Und wir setzen jetzt alles daran, unsere Verantwortung wahrzunehmen.
Da sind verschiedene Menschen, die jetzt sehr betroffen sind. Da sind die Mitarbeitenden, die darum bangen müssen, dass ihre Arbeit, ihren Arbeitsplatz weg ist. Da sind auch die vielen Kundinnen und Kunden. Ich kann verstehen, dass das vom Staat so geregelt wurde und so ja in Gang gebracht wurde, dass die Credit Suisse von der UBS übernommen wird, denn wenn diese Bank einfach zusammengebrochen wäre, dann hätte das katastrophale Auswirkungen gehabt. Nicht nur für die Wirtschaft und für die Menschen in der Schweiz, sondern auch weltweit. Denn wenn so ein System zusammenbricht, hat das Auswirkungen in der ganzen Welt. Und diejenigen, die diese Auswirkungen am meisten darunter zu leiden haben, sind gerade wieder diejenigen, die am Rande der Gesellschaft sind.
Papst Franziskus hat mehrmals gesagt: Diese Wirtschaft tötet - und etwas von dem erfahren wir immer, wenn so etwas Großes zusammenbricht. Ich hoffe, dass das, was passiert ist, uns alle dazu veranlasst, unser Wirtschaftssystem kritisch zu begleiten und auch kreativ neue Wege zu suchen, die den Menschen gut tun.
* Der Benediktiner Martin Werlen (60) war von 2001 bis 2013 Abt des Klosters Einsiedeln und des Klosters Fahr. Seit 2020 steht er der Propstei St. Gerold im Grossen Walsertal in Vorarlberg vor.
(vatican news – mg)
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