Unser Sonntag: Wachsen durch Widerstände
Pfarrer Dr. Volker Hildebrandt
4. Fastensonntag
Joh 9, 1–41
Liebe Schwestern und Brüder.
Heute, am vierten Fastensonntag, hören wir erneut ein sehr langes Evangelium. Wir haben eben gehört, dass ein Blindgeborener vom Herrn Heilung geschenkt bekommt. In diesem Evangelium wird der Weg eines Blinden geschildert, der am Ende nicht nur physisch, der am Ende auch mit seiner Seele sehen kann und zu Jesus findet, der glauben kann.
Und zwar ein Weg gegen viele Widerstände. Vielleicht sind es gerade auch die Widerstände, die ihn besonders herausgefordert haben zu wachsen - in diesem Inneren sehen, zu wachsen in seinem Glauben.
An ihm solle vielmehr das Wirken Gottes offenbar werden. Es besteht kein direkter Zusammenhang zwischen dem Handicap, dass ja jeder in irgendeiner Weise hat und der konkreten Schwäche und Verfehlung. Man kann nicht sagen, der ist blind, also hat er schwer gesündigt. Aber es gibt doch einen allgemeinen Zusammenhang, denn durch die Sünde kam die Krankheit, das Defizitäre, das Unvollkommene in die Welt .
Und durch die Sünde wird es auch immer wieder so sein, dass wir Menschen uns wehtun, verletzen, blind machen, gegenseitig oder uns selbst.
Warum lässt Gott das zu? Warum gerade ich? Diese Behinderung, diese Krankheit, dieses Älterwerden?
Warum gerade ich?
Grundsätzlich lässt Gott eben nach dem Sündenfall es so, wie es ist: Von nun an musst du sterben und du wirst in Mühe deine Arbeit verrichten.
Gott lässt es zu. Weil wir Menschen jetzt offenbar keine andere Chance haben, als daran zu wachsen, und auch durch diese Widerstände hindurch zu werden, was wir wirklich sind. Mit dem Schicksal des Blindgewordenen und was sich ereignet antwortet Jesus uns wie damals dem Blinden: Vertraue auf Gott. Nimm diese Herausforderungen an - im Vertrauen - und du wirst überrascht, wie viel Gutes daraus erwächst. Sei zuversichtlich, Gott wird sich auch in deinem Leben zeigen und auch dich aus der Blindheit, den Blindheiten in deinem Leben, ins Licht führen.
Denn solange ich in der Welt bin, sagt Jesus seinen Jüngern, bin ich das Licht der Welt.
Kurz und prägnant schildert daraufhin der Evangelist: Als Jesus dies gesagt hatte, spuckte er auf die Erde. Und dann macht er mit dem Speichel einen Teig, strich ihn dem Blinden auf die Augen und sagte zu ihm: Geh und wasch dich in dem Teich Shiloach, das heißt übersetzt: der Gesandte.
Der Mann ging fort und wusch sich, und als er zurückkam, konnte er sehen.
Was der Blindgeborene an äußerer Heilung erlebte, das wurde ihm dann auch im Inneren, im Glauben geschenkt. Und gerade dieses Evangelium, die Zeit reicht nicht, um es noch einmal präzise alles nachzugehen, zeigt ja: Der Blinde wuchs am Widerstand seiner Kontrahenten, die nicht glauben wollten, dass er blind geboren war, die nicht glauben wollten, dass er dieses Wunder an ihm, dass er dieses Wunder erlebt hat.
Glaubst du an den Menschensohn?
Und sie kritisieren, dass es ausgerechnet an einem Sabbat war. Er soll sich zum Teufel scheren, wenn wir das mit heutigen Begriffen formulieren wollen. An diesem Widerstand wuchs der sehend Gewordene auch in seinem Inneren. Es stärkte in ihm die Überzeugung, dass Jesus ein Prophet ist.
Und als der ehemals Blinde schließlich von einigen Pharisäern aus der Gemeinschaft der Synagoge ausgeschlossen wurde und Jesus davon erfuhr, traf Jesus ihn erneut und fragte ihn: Glaubst du an den Menschensohn? Hintergrund dieser Frage ist das Wissen Jesu um all das, was sich an Widerstreit bei dem sehend Gewordenen in dieser kurzen Zeit abgespielt hat: Glaubst Du an den Menschensohn?
Liebe Schwestern und Brüder! Widerstände in unserem Leben sind gut. Sie geben uns die Chance, uns Gott noch mehr anzuvertrauen. Sie geben uns die Chance, noch mehr über uns hinauszuwachsen. Wer ist das, Herr? Fragt der sehend Gewordene, sag es mir, damit ich an ihn glaube. So groß ist in der Zwischenzeit in den Widerständen sein Vertrauen auf den, der ihm sagte ‚Geh und wasch dich‘ gewachsen, dass er so vertrauensvoll bittet: „Sag es mir, damit ich glaube.“ „Du siehst ihn vor dir. Er, der mit dir redet, ist es.“ „Ich glaube, Herr“, und er warf sich vor ihm nieder. So ist das auch heute. Wer sich dem Wirken Gottes nicht verschließt, wird überraschend erfahren, dass Gott durch mancherlei Widerstände, auch durch scheinbar Belangloses, in uns wieder sichtbar wird.
Zeit besonderer Umkehr
Wir sind jetzt in der Fastenzeit, eine Zeit besonderer Umkehr. Es gibt diese schöne Geschichte von einer Spinne, die frühmorgens beginnt, ihr Netz zu spinnen. Sie lässt sich an einen Faden herunter bis zu dem Punkt, wo sie sagt: Hier muss jetzt das Netz von mir gebaut werden. Sie ist emsig und fleißig und spinnt und spinnt. Und am Ende des Tages schaut sie beglückt auf ihr Tagewerk: ein wunderbar gelungenes Nest. Und sie sagt sich - jetzt wird es Abend, wird ein reicher Fang eingehen?
Aber dann sieht sie diesen einen Faden, der nach oben geht, an den sie sich am Morgen heruntergelassen hatte, was sie längst nicht mehr vor Augen hatte. Und sie sagt: der stört und sie beißt diesen Faden ab.
Und schon fällt das Netz in sich zusammen - und lassen Sie die Geschichte gut ausgehen: Die Spinne, die sich dann darin verfangen hat, konnte sich mit Glück befreien.
Sich Gott öffnen
Die Fastenzeit ist eine Zeit, den Faden nach oben wiederzuentdecken.
Zu entdecken, dass gerade auch in den Schwierigkeiten Gott besonders zu begegnen ist, dass er sie zulässt, uns herausfordert, dass wir uns ihm öffnen, dass wir begreifen, das Leben ist nicht aus sich Gesundheit und pure Kraft und ewiges Leben: Das ist nur bei Gott, dem Herrn, zu finden.
Liebe Schwestern und Brüder! Bekehrung, den Faden wiederzufinden ist mehr, als irgendwie seine Meinung zu revidieren, ich muss jetzt mal was besser machen. Der heilige Hieronymus hat einmal gesagt nicht nur in Zeiten der Verfolgung oder wenn sich die Möglichkeit zum Martyrium bietet, oder wenn besondere Schwierigkeiten da sind, sondern in jeder Situation, mit jedem Werk, mit jedem Gedanken und in jedem Wort müssen wir verneinen, was wir vorher waren und bekennen, was wir jetzt sind: wiedergeboren in Christus.
Jeder Gedanke. Jedes Tun. Stopp! Den Faden wiederfinden und das, ohne Gott zurücklassen, das noch irdisch Gedachte beiseite schieben.
Verneinen, was wir bis dahin waren und zu bejahen, was wir jetzt sind: Kinder Gottes – mit unserem Tun, unserem Schaffen, mit diesem Faden nach oben.
Und unser verstorbener Papst Benedikt hat als Theologe einmal gesagt: Bekehrung ist viel radikaler als die Revision einer Meinung, einer Einstellung. Bekehrung ist ein Todesvorgang: Der alte Mensch hört auf zu sein, was er bis da war und er lebt als neuer Mensch weiter.
Zeit des Innehaltens
Die Blindheit unseres Lebens, wo wir sie erkennen mögen uns dazu führen: Entdecke den Faden nach oben wieder. Lass deine irdische Einstellung zurück, öffne dich dem Herrn und du wirst sehend, du wirst glaubend und reich beschenkt, was Gott dir geben möchte.
Die Fastenzeit ist eine Zeit des Innehaltens. Wozu tue ich das alles? Was macht das am Ende alles für einen Sinn? Herr, schenke mir deine Perspektive, denn in dir wird am Ende alles vollendet. Die Fastenzeit ist eine wunderbare Chance, uns erneut mit dem Herrn zu verbinden, erneut mit Gott durch dieses Leben zu gehen.
Es wird reicher, lichtvoller, beglückender und erfüllender.
(radio vatikan - redaktion claudia kaminski)
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