D: Adveniat blickt mit Sorge auf Wahlen in Guatemala
Wenn am Sonntag in Guatemala der Präsident gewählt wird, ist auch die Rechtspolitikerin Zury Ríos unter den Kandindaten - obwohl sie eigentlich gar nicht zur Wahl stehen dürfte. Denn sie ist die Tochter des einstigen Diktators José Efraín Ríos Montt, der für die Ermordung tausender Menschen, darunter auch viele Indigene, verantwortlich war. Dazu sagt die Mittelamerika-Referentin des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, Inés Klissenbauer:
„Zury Ríos gilt als Vertraute der Ultrarechten im Land, die in der sogenannten ,Stiftung gegen den Terrorismus' Juristen und Journalisten und viele mehr kriminalisiert, die sich im Land der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet fühlen und an wichtigen Positionen und vor allem auch erfolgreich in der UN-Kommission gegen Korruption und Straflosigkeit CICIG in Guatemala (Comisión Internacional contra la Impunidad en Guatemala - Internationale Kommission gegen die Straffreiheit in Guatemala) gearbeitet haben.
Mehr als 30 Richter, Anwälte und Journalisten mussten das Land verlassen - aus Angst vor Mord, Repressalien und erfundenen Anklagen. Also viele, die sich für Menschenrechte und Umweltrechte einsetzen, vor allem auch oft die einfache Bevölkerung und Menschen aus indigenen Gemeinden, leben mit konstanter Bedrohung und viele sind umgebracht worden.
Auch wird befürchtet, dass die Juristen und Zeugen, die an der Anklage ihres Vaters, also des Diktators Rios Mont mitgewirkt haben, Repressionen und Racheakte zu fürchten haben. Von daher vertritt Zury Ríos das Erbe ihres Vaters und tritt für das Großkapital und die Interessen der Mächtigen in Guatemala an.“
Radio Vatikan: Mit was für Schwierigkeiten sieht sich die Bevölkerung konfrontiert, abgesehen von denen, die wir schon angerissen haben?
Klissenbauer: „Guatemala ist ein Land mit hoher Armut. Der Großteil der Bevölkerung lebt in Armut und extremer Armut und dies vor allem in den ländlichen und vor allem in den von Indigenen bewohnten Gebieten. Indigene machen in Guatemala noch rund 50 Prozent aus und gehören mit zu den Ärmsten. Sie sind oft sehr stark von Analphabetismus betroffen. Der Bildungsstand generell ist gering. Guatemala liegt weltweit mit an oberster Stelle der Länder mit der höchsten Unterernährungsrate - in Guatemala sind 50 Prozent der Kleinkinder unterernährt und ein hoher Bevölkerungsanteil leidet sogar inzwischen Hunger.
Das Gesundheitswesen demgegenüber ist stark defizitär: Viele Menschen haben überhaupt keinen Zugang zum Gesundheitswesen; Medikamente sind oft nicht vorhanden, Fachkräfte sind nicht vorhanden.
Die Arbeitslosigkeit ist extrem hoch. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt von Tätigkeiten im informellen Sektor - das heißt Niedrigstlöhne ohne soziale Absicherung.
Die Kriminalität ist hoch, die Gewalt auch. Das führt zu sehr vielen Emigranten: Jedes Jahr verlassen Tausende von Guatemalteken das Land. Und dann eben noch ein Problem, das sich auch in der letzten Regierungsperiode verschärft hat: Die hohe Korruption, der Abbau demokratischer Strukturen, die hohe Verstrickung der Politik mit dem organisierten Verbrechen.
Es ist ein Land, das hochgradig abhängig ist von Zahlungen der guatemaltekischen Familienangehörigen im Ausland: Die Wirtschaft basiert in hohem Maße auf Zahlungen aus dem Ausland, von denen auch viele Familien inzwischen überleben.
Dann gibt es noch ein anderes großes Thema: der so genannt Extraktivismus, für den eben Guatemala auch ein Land par excellence ist, wo sich viele internationale Konzerne, auch Deutsche, mit deutscher Beteiligung, an der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, also der Edelmetalle, beteiligen - und das unter Missachtung der geltenden und internationalen Rechte und der Menschenrechte im Land.“
Radio Vatikan: 2019 wurde Ríos ja noch von den Wahlen ausgeschlossen, weil Verwandte von Diktatoren nicht antreten durften. Was hat sich geändert und warum?
Klissenbauer: „Im Vorfeld der Wahlen wurden vom Obersten Gerichtshof Entscheidungen getroffen, die nicht rechtsbasiert sind und offensichtlich machen, dass der Oberste Wahlgerichtshof nicht unabhängig agiert, sondern Handlanger der Exekutive geworden ist. So wurde die Tochter des Diktators, also Rios, diesmal zur Wahl zugelassen, obwohl die Verfassung untersagt, dass Familienmitglieder von Diktatoren für die Präsidentschaft kandidieren können. Von daher ist schon im Vorfeld die Transparenz, Nachvollziehbarkeit und das Vertrauen in den Wahlprozess beschädigt. Man spricht seit längerem von einem Pakt der Korrupten, die die Geschicke im Land in der Hand haben.
Andere wichtige Kandidaten, wie Thelma Cabrera für die indigene Partei und ihr Vizepräsidentschaftskandidat - Jordán Rodas Andrade - der ehemalige Ombudsmann für Menschenrechte, Jordan Rogers, wurden aus fadenscheinigen Gründen ausgeschlossen. Auf der anderen Seite sind Kandidaten zugelassen, auch auf Abgeordnetenebene - es finden ja auch Parlamentswahlen statt - die bereits verurteilt sind oder öffentlich der Kooperation mit dem organisierten Verbrechen beschuldigt werden.“
Radio Vatikan: Welche Entwicklung kann man sich nach den Wahlen denn erwarten?
Klissenbauer: „Wahrscheinlich wird es wie bei fast allen Wahlen zu einer Stichwahl kommen, da die ersten beiden Plätze eng beieinander liegen. Das könnten Zury Ríos und Sandra Torres sein - das ist die ehemalige First Lady unter der Regierung ihres Mannes Álvaro Colom Caballeros, die noch vor allem auf dem Land positiv in Erinnerung ist wegen ihrer Sozialprogramme - die aber auch in Korruptionsfälle verstrickt ist. Dann gibt es noch Edmundo Mulet, zuletzt ehemaliger UNO Botschafter, dem man aber auch Nähe zum ,Pakt der Korrupten' nachsagt.
Man kann also zusammenfassen, dass die drei Kandidaten, die jetzt eine Möglichkeit haben, gewählt zu werden, keinen Systemwechsel bedeuten und die Parteien, die einen Systemwechsel, also weg von Korruption, von Abbau der Rechtsstaatlichkeit und so weiter bedeutet hätten, die wurden im Vorfeld schon ausgeschaltet. Also das Panorama ist düster, es sieht nach einem ,Weiter so' aus und keine wesentlichen Veränderungen hin zu einer Verbesserung sind zu erwarten. Zury Ríos Rios zum Beispiel ist für die Wiedereinführung der Todesstrafe und für ganz starke Repression und hartes Vorgehen gegen alle, die protestieren, die anders denken. Die Devise ist: Mit harter Hand vor allem das große Problem der Gewalt, der fehlenden Sicherheit zu bekämpfen. Und das ist natürlich eine tickende Zeitbombe.“
Radio Vatikan: Generell scheint es in Lateinamerika ja ein Ruck in Richtung autoritär geführte Staaten zu geben. Wenn wir jetzt auch nach Venezuela oder Nicaragua blicken, warum ist das so? Und was kann getan werden, damit das demokratische Bewusstsein insgesamt wieder mehr gefördert wird?
Klissenbauer: „In vielen Ländern gilt seit der Pandemie und auch seit des Russland-Ukraine-Krieges: Generell ist die wirtschaftliche Situation, die soziale Situation in vielen Ländern, vor allem auch Mittelamerikas, prekär geworden in den letzten Jahren. Flüchtlinge, Migranten, die vor Gewalt, vor Armut, vor Hunger fliehen - also ein Drama, welches sich auch in Mittelamerika abspielt. Und das zeigt ja, dass die letzten Regierungen - die zarten Pflänzchen der Demokratie, sage ich mal, auch die, die in den letzten Jahren doch Fortschritte gemacht haben - dass die in einigen Ländern an den großen Problemen nichts geändert haben.
Populisten profitieren von Gewalt und Problemen
Und wie wir weltweit sehen, es sind autokratische Regimes bis zu totalitären, diktatorischen Regimes auf dem Vormarsch. Das machen ja auch die Großmächte vor. Und von daher haben die Fortschritte, die man im Bereich Demokratie gemacht hat, zugunsten der populistischen leichten Lösungs-Angebote, sage ich mal, keine Chance. Die Gewalt zum Beispiel in Guatemala, aber auch in El Salvador ist so hoch, dass das seit vielen Jahren immer das drängendste Problem ist. Und einem Populist, der damit aufräumt, dem wird applaudiert. Das hat sicherlich auch mit der hohen Problemlage zu tun.
Wenn man in die Vergangenheit guckt: Nach dem Abschluss der Friedensverträge in den mittelamerikanischen Ländern, die ja fast alle lange Bürgerkriege hatten, sind die Länder praktisch vergessen worden. Die internationale Gemeinschaft, vor allem auch die USA, die ja die Kriege auch mit befördert hat - das waren ja Stellvertreterkriege im Kalten Krieg - hat nicht in die soziale und wirtschaftliche Entwicklung investiert. Das sind jetzt die Auswirkungen und in einer insgesamt weltweit sehr angespannten und polarisierten Lage befeuern natürlich Trump und Russland die Tendenz wieder mehr hin zu totalitärer Regierungsführung.“
Radio Vatikan: Was tut denn Adveniat konkret in Guatemala um zu helfen?
Klissenbauer: „Ich hatte neulich ein Zoom-Gespräch mit einer Menschenrechtsorganisation aus Guatemala, und die sagten schon, auch im Nachfeld der Wahlen: Mit dem Staat - wer immer gewinnt - kann man nicht kooperieren. Es ist angezeigt, vor allem humanitäre Hilfe zu leisten in Guatemala. Wir als Adveniat unterstützen schon lange die Gesundheitsarbeit der Kirche, vor allem auch im Bereich in Kleinkindergesundheit, wo die Unterernährung so hoch ist. Wir unterstützen also mit Nothilfe - es ist ja auch ein Land, das vulnerabel übel ist angesichts des Klimawandels, das eine ganz restriktive Coronarpolitik verfolgte mit relativ wenig Impfungen, vielen Todesopfern, mit viel zusätzlich produzierter Armut. Wir unterstützen vor allem eben im sozialen, im humanitären Bereich und aber auch im Bereich der Menschenrechtsbewusstseinsbildung, der Jugendarbeit und auch unter den Indigenen.“
Die Fragen stellte Christine Seuss
(vatican news- cs/sst)
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