D: Sorge nach Wahl des ersten AfD-Landrats
Die Thüringer Regionalbischöfin Friederike Spengler sieht in der Wahl des AfD-Politikers Robert Sesselmann zum bundesweit ersten Landrat seiner Partei ein wichtiges Warnsignal und ruft zum Gespräch auf. Wer jetzt die Wähler anprangere und sie in eine politische Ecke stelle, sorge nur für zusätzlichen Frust und eine weitere Abschottung, warnte die Regionalbischöfin des Bischofssprengels Erfurt der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland am Montag. Sie verwies auf Studien, denen zufolge drei Viertel der Menschen im südthüringischen Landkreis Sonneberg die AfD aus Protest gewählt hätten.
„Die Menschen empfinden offenbar, dass sie nicht mehr gehört werden und nicht mehr an demokratischen Prozessen beteiligt sind. Diese Gefühle müssen wir ernstnehmen", sagte Spengler. „Weitere Sonntagsreden helfen da ebenso wenig wie Schuldzuweisungen. Stattdessen brauchen wir einen öffentlichen Diskurs, der erst einmal von gegenseitiger Akzeptanz geprägt ist, und bei dem wir uns ausreden lassen."
Zentralrat der Juden erschüttert
„Die - nach dem vorläufigen Ergebnis in Sonneberg - erste Wahl eines AfD-Kandidaten in ein exekutives Amt erschüttert mich“, sagte der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND, Sonntagabend).
Nicht jeder AfD-Wähler habe eine rechtsextreme Gesinnung, unterstrich er. „Aber die Partei, deren Kandidaten sie gewählt haben, ist laut Landesverfassungsschutz rechtsextrem.“ Dass so viele Menschen dem zustimmten, beunruhige ihn zutiefst. „Das ist ein Dammbruch, den die demokratischen politischen Kräfte in diesem Land nicht einfach hinnehmen dürfen“, so der Zentralratspräsident.
Bei der Stichwahl um das Amt des Landrats im thüringischen Kreis Sonneberg hatte sich AfD-Kandidat Robert Sesselmann nach vorläufigem Ergebnis mit 52,8 Prozent gegen Amtsinhaber Jürgen Köpper (CDU) durchgesetzt. Dieser kam demnach nur auf 47,2 Prozent, obwohl er von einer Parteienallianz aus Linken, SPD, Grünen und FDP unterstützt wurde.
Aus Demokratie verabschiedet
Das Internationale Auschwitz Komitee sprach von einem „traurige(n) Tag für den Landkreis Sonneberg, für Deutschland und für die Demokratie“. Exekutiv-Vizepräsident Christoph Heubner weiter: „Eine Mehrzahl der Wählerinnen und Wähler hat sich offensichtlich aus der Demokratie verabschiedet und sich bewusst für eine rechtsextreme, von einem Nazi dominierte Zerstörungs-Partei entschieden.“ Für Überlebende des Holocaust reiße dies im Blick auf Deutschland „brennende Fragen“ auf. „Ihnen bleibt die Hoffnung, dass sich an diesem Wahlergebnis das Bewusstsein der Menschen in Deutschland stärken wird, Gleichgültigkeit zu überwinden und gerade jetzt nach den Erfahrungen aus der Geschichte die Demokratie aktiv zu schützen und zu stärken“, sagte Heubner.
Auch die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, zeigte sich zutiefst besorgt. Zehn Jahre nach Gründung der AfD und sechs Jahre nach dem Einzug „der rechtsextremen Partei in den Bundestag“ sei die Gefahr für die jüdische Gemeinschaft und andere Minderheiten längst real, erklärte sie am Sonntagabend. Mit der ersten Wahl eines AfD-Vertreters zum Landrat schlügen die Menschen „der stabilen Demokratie in Deutschland einen weiteren Stützpfeiler aus“, so die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden.
Viele trügen eine Mitverantwortung für dieses Ergebnis. „Aber allen voran haben die Menschen vor Ort an der Wahlurne diese gefährliche Entscheidung getroffen. Sie haben - mit demokratischen Mitteln - ein Ausrufezeichen gegen die Demokratie gesetzt“, erklärte Knobloch.
Nicht als Protestwahl abstempeln
Die aus Thüringen stammende Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt sprach ebenfalls von Bestürzung. „Die AfD hat ein erklärtes Ziel, sie möchte unserer Demokratie Schaden zufügen“, sagte sie dem RND. „Sie hetzt, sie verunsichert, sie stachelt auf“, so die Grünen-Politikerin. Die Wahl dürfe nicht als Protestwahl abgestempelt werden. „Ich bin überzeugt, dass die Menschen die AfD nicht trotz ihrer Positionen wählen, sondern genau wegen dieser Haltungen.“ Alle demokratischen Parteien seien in der Verantwortung, nicht weiter zu einer Normalisierung beizutragen. „Wer rhetorisch rechts blinkt, darf sich nicht wundern, wenn die Menschen bei Wahlen auch tatsächlich rechts abbiegen“, so Göring-Eckardt.
Extremismusforscher Matthias Quent sprach gegenüber dem RND von einem symbolischen Wert des Wahlsiegs von bundesweiter Bedeutung: „Die realen Gestaltungsmöglichkeiten eines Landrats in einem Kreis mit 54.000 Einwohnern sind begrenzt, aber dieser Wahlsieg gibt der AfD eine zentrale Position für den Angriff auf die Landes- und Bundespolitik.“
Sesselmanns Wahl sei eine „Bestätigung für den rechtsextremen Radikalisierungskurs von Björn Höcke. Sie ist zudem ein Ausgangspunkt für eine nun höchstwahrscheinlich folgende Normalisierung und Legitimierung einer Zusammenarbeit zwischen AfD und CDU“, so der Forscher.
Quent forderte, Landkreistag und andere Gremien dürften sich „nicht zum Erfüllungsgehilfen für extrem rechte Politik machen lassen, sondern müssen einen Schutz vor demokratie- und menschenfeindlichen Bestrebungen schaffen - insbesondere für die diskriminierten Gesellschaftsgruppen, gegen die sich die Agitation der AfD besonders richtet“.
(kna – pr)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.