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 Unser Sonntag Sr. M. Dr. Gabriela Zinkl, Jerusalem Unser Sonntag Sr. M. Dr. Gabriela Zinkl, Jerusalem 

Unser Sonntag: Vom Gehen und Untergehen

Der Gegenwind auf dem See Genezareth beschreibt auch die Nöte der frühen Jüngerschar, so Sr. Gabriela Zinkl, aber das Morgengrauen ist auch die Zeit des rettenden Gottes.

 

Sr. Dr. M. Gabriela Zinkl SMCB, Jerusalem

19. Sonntag im Jahreskreis

Mt 14,22-33


Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,

der Evangelist Matthäus schildert uns heute eine Erzählung, die auf dem See Genesareth spielt, auf dem Wasser, im Boot, im Sturm. Im Zentrum steht der Gang Jesu auf dem Wasser und, davon abhängig, auch der Gang des Petrus auf dem stürmischen See.

Zum Nachhören

Von einem wunderhaften Ereignis wird hier berichtet auf dem „Meer Galiläas“, so lautet bis heute ein anderer Name für den See Genesareth, der im Norden des Heiligen Landes liegt. Er erhält sein Wasser von den Golanhöhen, dem Grenzgebirge zum heutigen Libanon und zu Syrien, aus den Quellen des Jordan. Genau genommen ist der See Genesareth Teil des Flusses – heute eher des Flüsschens – Jordan. Denn an der Südspitze des Sees fließt der Jordan aus dem See heraus und beginnt seinen Lauf, der sich als Jordangraben vom Norden bis in den Süden des Heiligen Landes, über das Tote Meer bis hinein ins Rote Meer zieht. Die Ortsangabe „See Genesareth“ im Evangelium ist nicht nur eine genaue Ortsangabe zu Jesu Gang auf dem Wasser.

Das Wasser des Sees Genesareth

Der See und der Bericht vom Seesturm, in den das Boot der Jünger gerät, stehen auch im größeren Zusammenhang zur Taufe Jesu. Denn Jesus wurde von Johannes dem Täufer im Jordan getauft, also mit Wasser, das durch den See Genesareth hindurch geflossen ist. Das heißt nicht, dass es sich hier um heiliges oder gesegnetes Wasser handelt. Aber der Zusammenhang zwischen dem Element des Wassers im See Genesareth, im Jordan und bei der Taufe Jesu im Jordan soll uns darauf aufmerksam machen, dass Jesus und das Wasser aus diesem Ursprung zu einer heilsamen, wunderbaren Begegnung führen.

Das Vertrauen auf Jesus

Die Handlung vom Sturm auf dem See wird bei Matthäus ist, anders als im Markusevangelium (Mk 6,45-52), erweitert um den Gang Jesu und den Gang – oder sollen wir sagen: Untergang – des Petrus auf dem Wasser. Mit Jesus dominieren wunderhafte Züge die Handlung. Da wird von etwas Unmöglichem erzählt und zugleich wird großes Vertrauen auf Jesus als den Herrn der frühen Christengemeinde, der ersten Hörer und Leser dieses Evangeliums, gelegt.

„Das Boot der Jünger – bei Matthäus auch Sinnbild für die frühe christliche Gemeinde – wird von den Wellen bedrängt, gequält...“

Doch zuerst geht es hier weniger um das Wunder, dass Jesus auf dem Wasser geht, sondern darum, das Jesus den Jüngern im Sturm begegnet. „Sturm“ meint hier nicht nur ein Wetterphänomen. Wenn man die griechische Terminologie des Schrifttextes näher betrachtet, fällt auf, dass die Situation der Jünger auf dem See hier mit Worten beschrieben wird, die auch ganz andere Arten der Bedrängnis beschreiben.

Das Boot: frühe christliche Gemeinde

Das Boot der Jünger – bei Matthäus auch Sinnbild für die frühe christliche Gemeinde – wird von den Wellen bedrängt, denn „der Wind stand ihm entgegen“, heißt es im Bibeltext. Starkem Gegenwind ist das Boot oder die Gemeinschaft hier also ausgesetzt, bis heute ist die Rede vom Gegenwind ein sprechendes Bild für große Herausforderungen. Das Boot der Jünger wird von den Wellen „bedrängt“, wörtlich übersetzt eigentlich „gequält“. In der Seenot der Jünger auf dem See klingt also auch die Not der frühen christlichen Gemeinde an, in die sie allzu leicht gerät, wenn ihr von Seiten ihres Umfeldes Gegenwind entgegenschlägt, wenn man ihr misstrauisch und ablehnend gegenüber steht. Was für ein aussagekräftiges Bild!

„Es weht einem Gegenwind ins Gesicht, das Leben als Christ ist hart und mühsam“

Diese Situation kannten die ersten Jünger Jesu wie auch die frühen Christen nur zu gut: Es weht einem Gegenwind ins Gesicht, das Leben als Christ ist hart und mühsam, es wird gefährlich, man kommt an seine Grenzen, man hat Angst und ist unsicher, ob man das Ganze durchsteht. So sind wir mitten unter den Jüngern im Boot, übrigens von Jesus selbst hinausgesandt, um auf die andere Seite des Sees vorauszufahren (vgl. Mt 14,22), während er sich zurückzog, um Kraft zu schöpfen aus dem Gebet.

Habt keine Angst! 

Und dann passiert so etwas: Während Jesu auf einem Berg am Seeufer betet, geraten die Jünger in größte Seenot, in einen Sturm, obwohl doch vorher alles noch ganz friedlich war. Es ist nicht das einzige Mal, dass die Jünger in einen Sturm geraten. In einer anderen Perikope schläft Jesus mitten im Sturm, als würde es Jesus gar nicht interessieren, dass seine Gefährten um ihr Leben kämpfen. Man kann sich als Jünger Jesu schon fragen, warum sie überhaupt immer wieder in Stürme geraten, wo sie doch Jesus nachfolgen und an ihn glauben. Sollte der Glaube nicht davor schützen? Oder warum ist es so, dass Jesus entweder zu schlafen scheint, wenn ich selbst in einen Sturm gerate, oder dass er gar nicht erst dabei ist. Und am Ende erscheint Jesus und sagt: „Habt keine Angst.“ Diesen Satz hören wir im Evangelium mehrfach.

Morgengrauen als die Zeit des rettenden Gottes

Doch bis diese Botschaft bei den Jüngern im vom Sturm umkämpften Boot ankommt, dauert es noch eine Weile. Die Gefahren- und Angstsituation der Jünger auf dem See hält lange an: bis zur vierten Nachtwache, das ist in den frühen Morgenstunden zwischen drei und sechs Uhr. Diese Zeitangabe begegnet uns schon im Alten Testament an Schriftstellen, die das Morgengrauen als Zeit des helfenden, rettenden Gottes beschreiben, so zum Beispiel in Psalm 46,6: „Gott hilft ihr, wenn der Morgen anbricht“ (vgl. auch Ex 14,24 LXX; Jes 17,14). Wir dürfen auch an die frühen Stunden des Ostermorgens denken, in denen die Frauen das Grab leer finden.

Der forsche Petrus

Stundenlang sind die Jünger auf dem See Genesareth also dem Sturm ausgesetzt, sicher in einem unsicheren, wackligen Boot. Da kann man schon die Hoffnung verlieren. Und dann kommt Jesus ihnen auf dem Wasser entgegen und beruhigt sie mit den Worten „Habt Mut. Ich bin es. Fürchtet euch nicht!“ (Mt 14,27). Doch so einfach funktioniert das mit dem Beruhigen nicht. Kennen wir das nicht auch aus unserer eigenen Erfahrung? – Ein Teil der Jünger hält Jesus für ein Gespenst. Petrus dagegen, der uns oft als forsch vorgestellt wird und dem Jesus später eine Führungsrolle im Jüngerkreis zuspricht, dieser Petrus macht den ersten Schritt aus dem Boot heraus, Jesus entgegen.

„Wieder einmal dieser Petrus: große Worte, nichts dahinter?“

Er glaubt nicht an ein Gespenst, doch er will wissen, ob das wirklich Jesus ist, der sie so auf die Probe stellt. Wieder einmal dieser Petrus: große Worte, nichts dahinter? Den Schritt des Petrus aus dem Boot heraus auf das Wasser kann man unterschiedlich verstehen. Die einen sehen darin eine Geschichte des Scheiterns, denn Petrus schafft es ja nicht, auf dem Wasser zu gehen. Also doch große Worte, nichts dahinter? Petrus macht große Worte, er wagt sich auf das Wasser, aber als er den Wind sieht und die Wellen, schrumpft sein Glaube in sich zusammen und er geht unter. Der sinkende Petrus also, dem Untergang geweiht? Ist das die Botschaft an alle Kleingläubigen: „O du Kleingläubiger, du Zweifler?“ (Mt 14,31).

Evangelium des Glaubens: Petrus geht auf dem Wasser

So könnte man die Geschichte lesen. Man kann sie aber auch anders lesen, nicht als Geschichte des Scheiterns, sondern als ein Evangelium des Glaubens. Und so wird es auch in den ersten Jahrhunderten der frühen Christengemeinden verstanden. Denn Petrus geht ja zunächst tatsächlich einige Schritte auf dem Wasser. Das ist sagenhaft, unglaublich! Es klappt doch, wenn auch nur für eine Weile. Es funktioniert für kurze Zeit – bis Petrus sich ablenken lässt vom Sturm auf dem See. Petrus fängt genau dann an, unterzugehen, als er den Blick von Jesus abwendet. Plötzlich sieht er den Wind und die Wellen. Er sieht die Umstände und denkt sich: Oje, das überstehe ich nicht!

Untergang durch falschen Fokus

Der Fokus verändert sich, es geht für ihn jetzt darum, gegen den Sturm anzukämpfen und nicht unterzugehen. Es geht ihm in diesem Moment also nicht mehr darum, auf Jesus zu schauen und auf ihn zuzugehen. Und genau in diesem Augenblick geht er unter.
Das bedeutet es also, an Jesus zu glauben: Auf Jesus zu schauen. Auf das zu schauen, was Gott mir in Jesus versprochen hat. Auf das zu vertrauen, was Jesus mir zeigt, nämlich: Gott mit mir – in allem, Gott für mich – in allem, Gott in mir – egal, was passiert. Das vor Augen zu haben, das bedeutet glauben. Deshalb ist die biblische Erzählung vom Sturm auf dem See und dem Gang bzw. Untergang auf dem Wasser eine Glaubensgeschichte. Meine Glaubensgeschichte?

„Es lohnt sich, das Schauen auf Jesus Christus jeden Tag wieder zu üben, denn der nächste Sturm kommt bestimmt. Und ich sage nur: Kopf hoch, mit Blick auf Jesus“

Das ist für mich heute die Botschaft dieses Sonntagsevangeliums: Schau nicht auf den Sturm, aber schau auch nicht auf dich selbst. Schau nicht auf deinen Glauben, frage dich nicht, wie du ein noch besserer Christ, eine noch eifrigere Christin werden kannst. Wenn der Sturm kommt, dann zählt nur eines: schau auf Jesus. Ich denke an das kleine Lied „Im Anschauen deines Bildes …“ Es lohnt sich, das Schauen auf Jesus Christus jeden Tag wieder zu üben, denn der nächste Sturm kommt bestimmt. Und ich sage nur: Kopf hoch, mit Blick auf Jesus.

(radio vatikan - redaktion claudia kaminski)

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12. August 2023, 11:24