D: Autor der MHG-Studie zieht nach fünf Jahren negatives Fazit
Mit der MHG-Studie wurde der Kirche in Deutschland 2018 ein verheerendes Zeugnis ausgestellt, was den Umgang mit Missbrauchsfällen durch Kirchenvertreter angeht. In der Zwischenzeit hat sich die Situation aber nicht unbedingt verbessert: die Kirche habe eine „große Möglichkeit“ vertan, eine „wirklich transparente, authentische Aufarbeitung“ zu beginnen, klagt der Verantwortliche Koordinator für die MHG-Studie, der forensische Psychiater Harald Dreßing, im Interview mit dem Kölner Domradio.
Es fehlt an Einigkeit bei der Aufarbeitung
Die Bistümer hätten mit dem Auftrag für die gemeinsame Studie Einigkeit bewiesen, doch diese habe sich bedauerlicherweise nicht in einer einheitlichen Regelung für die Aufarbeitung niedergeschlagen. Jede Diözese habe „nach eigenem Gusto“ gehandelt, bemängelt Dreßing, der auch die Sinnhaftigkeit von einzelnen, diözesanen Untersuchungen infrage stellt, in denen „alle Ergebnisse der Studie mehr oder weniger eins zu eins immer wieder repliziert worden“ seien. Weder sei die „völlige Unabhängigkeit von der katholischen Kirche“, die es für eine sinnvolle Aufarbeitung brauche, sichergestellt, noch habe bislang überhaupt jede Diözese eine Unabhängige Aufarbeitungskommission eingerichtet beziehungsweise in dieser auch eine gleichberechtigte Mitwirkung von Laien oder Betroffenen sichergestellt.
Einflussnahme der Kirche
Er hoffe nach wie vor, dass sich die Kirche nach dem Beispiel der Beauftragung für die Studie auf ein einheitliches Vorgehen einigen werde, so der Wissenschaftler, der allerdings darauf hinweist, dass bereits bei der Konzeption des Fragebogens, auf dessen Basis die wissenschaftliche Studie erstellt wurde, einiger Einfluss durch die Kirche ausgeübt wurde, um Verantwortliche nicht klar mit ihrem hierarchischen Rang zu benennen.
Große Hoffnungen habe er wie viele andere auf das Reformprojekt Synodaler Weg gelegt, da die dort implementierten vier Themenfeldern zu klerikalem Machtmissbrauch, priesterlicher Lebensform, der Sexuallehre und der Stellung der Frau in der Kirche diejenigen seien, „die wir anhand unserer Ergebnisse auch empirisch als systemische spezifische Risikofaktoren für die katholische Kirche herausgearbeitet hatten.“ Doch bislang hätte der Reformdialog nicht die erhofften Ergebnisse gezeitigt.
Wahrheitskommission nötig
Unverständnis äußerte Dreßing auch für das Zögern des Staates, eine unabhängige nationale Wahrheitskommission zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang habe er stets eindringlich zu einer Dunkelfeldstudie geraten, deren Finanzierung durch den Staat trotz aller Bemühungen bisher jedoch stets fehlgeschlagen sei. Anerkennenswert seien jedoch die – wenn auch bislang unzureichenden und auf Druck entstandenen – Bemühungen der katholischen Kirche, das Problem von Missbrauch und Vertuschung in den eigenen Reihen aktiv anzugehen.
Doch es sei dringend nötig, die künftige Aufarbeitung extern anzusiedeln, so Dreßing, für den die katholische Kirche sich selbst „nichts Gutes“ tue, alles unter Kontrolle behalten zu wollen: „Je mehr diese Bestrebung da ist – und das ist natürlich auch ein Stück weit Klerikalismus – umso mehr entgleitet ihr eigentlich der Prozess."
Das Interview führte Johannes Schröer.
(vatican news – cs)
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