Schweiz: 1.002 Fälle sexuellen Missbrauchs identifiziert
Mario Galgano – Vatikanstadt
Das Quellenkorpus beinhaltete hauptsächlich Geheimarchivbestände sowie die Archive der Fachgremien „Sexuelle Übergriffe“ der Schweizerischen Bischofskonferenz und der einzelnen Diözesen. Nicht oder nur ergänzend berücksichtigt wurden staatliche und private Archive (Staatsarchive, Archivbestände zu Schulen und Heimen etc.).
Demnach war die Mehrheit der Betroffenen männlich (56 Prozent), in 39 Prozent der Fälle war die betroffene Person weiblichen Geschlechts. Bei 5 Prozent der Fälle ließ sich das Geschlecht in den Quellen nicht eindeutig feststellen. Die Beschuldigten waren bis auf wenige Ausnahmen Männer.
Fast Dreiviertel der Fälle (74 Prozent) zeugen von sexuellem Missbrauch an Minderjährigen. In 12 Prozent der Fälle war das Alter nicht eindeutig feststellbar. Mit 14 Prozent betraf mindestens jeder siebte Fall eine erwachsene Person.
Zusätzlich zu den 1.002 Fällen wurden 30 Fälle sexuellen Missbrauchs identifiziert, in denen die beschuldigten Personen einen Bezug zu einer Schweizer Institution der katholischen Kirche haben oder hatten, die Tat selbst aber im Ausland stattgefunden hat.
Erst ein kleiner Teil der Fälle erfasst
Das Forschungsteam betont, dass über das Pilotprojekt erst ein kleiner Teil der Fälle erfasst werden konnte. Das Spektrum reiche von problematischen Grenzüberschreitungen bis hin zu schwersten, systematischen Missbräuchen. Die Studie hebt auch hervor, dass „in der Regel überführte Täter durch die Kirche äußerst milde oder gar nicht bestraft“ worden seien.
Ein grundsätzlicher Wandel dieses Vorgehens lasse sich erst im 21. Jahrhundert feststellen, „als der Umgang der katholischen Kirche mit Missbrauchsfällen immer häufiger für Skandale sorgte“. So erließ die Schweizer Bischofskonferenz erst nach der Jahrtausendwende Richtlinien zum Umgang mit und zur Prävention von Fällen sexuellen Missbrauchs und gründete diözesane Fachgremien, die sich mit gemeldeten Fällen befassen sollten. Was die 6 Schweizer Bistümer betrifft, so würden die diözesanen Fachgremien bis heute unterschiedliche „Professionalisierungsgrade“ aufweisen. Zum Teil fehle es an klaren Abläufen, in manchen Fällen scheitere auch deren Umsetzung.
Was die Zukunft betrifft und zu den möglichen weiteren Untersuchungswege schlägt das Forschungsteam vor, „sich diverse inhaltliche und methodische Forschungsfragen“ zu stellen, die weiterverfolgt werden sollten.
Die 136-seitige Studie sei der erste systematische Versuch, sexuellen Missbrauch im Umfeld der katholischen Kirche der Schweiz wissenschaftlich zu fassen und zu umreissen. In zukünftigen Projekten sollen weitere Archivbestände konsultiert werden. Auf diese Weise werden sich detailliertere Aussagen über die Häufigkeit sexuellen Missbrauchs sowie zeitliche und geografische Häufungen machen lassen.
(vatican news)
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