Unser Sonntag: Glückseligkeit?
Prof. Dr. Dr. Michael Waldstein
1. Advent 2023
Mk 13, 33–37
Das Ende ist für uns alle Menschen etwas ganz zentral Wichtiges – schon innerhalb unseres Lebens. Wenn wir eine Reise machen, ist das Ziel, das Ende, wo wir hinfahren, ganz entscheidend: Es bestimmt, ob wir bei der nächsten Abzweigung rechts oder links fahren. Der ganze Weg wird bestimmt durch das Ende.
Einerseits ist das Ende unseres Lebens unser Tod. Aber durch die ganze Bibel zieht sich ein Plan Gottes: dass für den Menschen ein größeres Ende in seinem Plan liegt, dass Gott uns bei sich haben will in einem Leben, das glücklich ist. Glücklich im Sinn der alten Philosophie, wo Glück nicht einfach ein Gefühl bedeutet, sondern ein Leben, von dem man sagen kann: Es ist gut. Ich bin angekommen. Es ist gut in einem vollen Sinn - nicht nur in dieser Hinsicht gut und in anderer Hinsicht nicht gut, sondern einfach gut. Das nennen die alten Theologen die Glückseligkeit - das ist das Ziel. Das Ende, auf das Gott in der ganzen Bibel, in seinem Plan hinzielt.
Am Anfang des katholischen Katechismus steht der Satz, dass Gott, der in sich selbst unendlich glücklich ist, aus einer freien Entscheidung Sein Glück mit uns teilen will. Die Stelle im Markusevangelium, das heutige Sonntags-Evangelium, spricht aber nicht hauptsächlich vom Guten, sondern von Drangsal: dass vor dem Ende erst Drangsal kommt. Drangsal ist jetzt in unserem Leben schon da, aber sie scheint sich zu intensivieren, wenn das Ende nahekommt. Eine kosmische Katastrophe beschreibt Jesus: dass die Sterne vom Himmel fallen, die Kräfte des Himmels erschüttert werden. In der Geheimen Offenbarung wird das noch in größerem Detail entfaltet. „Dann wird man den Menschensohn in den Wolken kommen sehen.“
Der Menschensohn ist ein Begriff aus dem Buch Daniel, Kapitel sieben, wo einer „wie ein Menschensohn“ auf den Wolken des Himmels zu Gott kommt. Eine himmlische Figur, also nicht ein Mensch von unten, sondern eine himmlische Figur, der Gott das ganze Gericht anvertraut. Und dieses Bild nimmt Jesus auf: „Dann wird man den Menschensohn in den Wolken kommen sehen mit großer Kraft und Herrlichkeit, als Richter…“
In allen Evangelien sieht man das Paradox, dass der Menschensohn leiden muss. Er ist also nicht nur Richter, der am Ende kommt, sondern der Richter, der am Ende kommt, ist gleichzeitig der, der für die Schuldigen leidet. Das ist für einen Richter ganz ungewöhnlich; ein Richter hat normalerweise Abstand vom Verbrecher… Aber dieser Menschensohn, dieser Richter, ist der Richter, der für uns gelitten hat, also Sünden auf sich genommen hat!
Es ist entscheidend wichtig, wie wir das Ende betrachten. Wir betrachten das Ende nicht als die Begegnung mit einem Richter, der wie ein menschlicher Richter einfach von uns Abstand nimmt und uns von außen beurteilt. Sondern Er ist der, der unsere Sünden auf sich genommen hat. Er wird die Engel aussenden und die von ihm Auserwählten aus allen vier Windrichtungen zusammenführen, vom Ende der Erde bis zum Ende des Himmels. Hier ist von den „Auserwählten“ die Rede; im katholischen Glauben glauben wir nicht an eine doppelte Prädestination, wie das im Calvinismus der Fall ist: dass einige dazu bestimmt sind, in die Hölle zu kommen, und andere von Gott vorbestimmt, in den Himmel zu kommen. Wir wissen nicht, wie das Ende sein wird.
Aber die Kirche betet für alle Menschen mit Hoffnung. Das heißt nicht, dass wir wissen, wie das Ende aussehen wird oder wie viele gerettet werden. Aber die Hoffnung ist da; wir beten dafür. Jesus vergleicht es mit einem Feigenbaum: „Sobald seine Zweige saftig werden und Blätter treiben, erkennt ihr, dass der Sommer nahe ist“. Das Ende bei einem Feigenbaum ist das Tragen der Früchte, die man dann erntet. Die Früchte: ein Bild der Endzeit.
Seltsam allerdings ist das Wort Jesu: „Diese Generation wird nicht vergehen, bis das alles geschieht“. Das scheint eine Schwierigkeit zu sein, schließlich ist das Ende der Welt nicht in der ersten Generation der Christen gekommen, sondern wir warten noch darauf. Das scheint eine Spannung zu sein, ein Widerspruch. Er löst sich vielleicht so, dass Jesus mit seinem Kreuz das ganze Schicksal der Welt umfasst und umgreift. Es dreht sich um das Ganze der Menschheit: In ihm, in seinem Kreuz, ist das Ende schon erreicht und in seiner Auferstehung vorweg sichtbar. Wir allerdings warten und warten schon zwei Jahrtausende, aber immer noch mit Hoffnung, auf dieses Ende…
Die Wachsamkeit bedeutet, dass uns das Ziel, dieses Endziel, bewusst bleibt. Dass wir unsere gegenwärtigen Handlungen darauf schon in diesem Licht betrachten. Nicht einfach dahinleben ins Geratewohl, sondern auf dieses Ziel wachsam hinschauen mit der Erwartung, dass es kommen wird. „Wachsam“ bedeutet: Es wird kommen! Ihr wisst nicht, wann der Hausherr kommt, ob am Abend oder um 00:00… aber er kommt.
(radio vatikan - redaktion claudia kaminski)
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