Unser Sonntag: Das Reich Gottes
Prof. Dr. Stephan Kampowski
3. Sonntag im Jahreskreis
Mk 1,14-20 Lesejahr B
Johannes der Täufer wurde ins Gefängnis geworfen. Er wurde „ausgeliefert“. Der Evangelist Markus wird dieses Verb, griechisch paradidonai, später auch im Zusammenhang mit Jesus verwenden.
So lesen wir im 10. Kapitel des Markusevangeliums das Wort Jesu: „Siehe, wir gehen nach Jerusalem hinauf; und der Menschensohn wird den Hohepriestern und den Schriftgelehrten ausgeliefert“ und im 15. Kapitel erfahren wir, dass Pilatus wusste, „dass die Hohepriester Jesus aus Neid an ihn ausgeliefert hatten.“ Johannes der Täufer ist in der Tat der Vorläufer, der durch seine Predigt und seinen Taufdienst dem Herrn den Weg bereitet hat und der darüber hinaus durch sein Schicksal das Schicksal Jesu schon symbolisch vorwegnimmt.
Jesus beginnt sein öffentliches Wirken
Aber zunächst, nachdem Johannes, die Stimme in der Wüste, verstummt ist, tritt der, von dem die Stimme sprach, voll in Erscheinung. Jesus beginnt sein öffentliches Wirken. Markus beschreibt kurz und knapp, worin dieses Wirken besteht. Jesus verkündet das Evangelium Gottes. Das hier verwendete griechische Verb kerussein ist, wie in der Lesung geschehen, sehr gut mit „verkündigen“ übersetzt. Die Verkündigung, das kerymga, ist keine katechetische Unterweisung, sondern die Bekanntmachung eines Ereignisses.
Was ist das Evangelium Gottes?
Und was ist das Ereignis, das Jesus gleich zu Beginn seines öffentlichen Wirkens verkündet? Was ist das Evangelium Gottes, das Jesus öffentlich bekannt macht? „Die Zeit ist erfüllt. Das Reich Gottes ist nahe“, sagt Jesus. Die Zeit, von der hier die Rede ist, ist nicht die chronologische Zeit, in der eine Minute auf die andere folgt, in der Stunde um Stunde vergeht. Im Griechischen benutzt der Evangelist das Wort kairos: Ein kairos ist ein günstiger Augenblick, eine gute Gelegenheit; es ist die Zeit der Entscheidung, die Zeit des Handelns Gottes. Dieser kairos ist jetzt da, es ist der kairos des Kommens des Reiches Gottes. Das ist der Inhalt des Evangeliums Gottes: Das Reich Gottes kommt, ja es ist schon da: Gott handelt, er greift ein in diese Zeit und in diese Welt.
In der Lesung heißt es: „Das Reich Gottes ist nahe.“ Im Griechischen steht das Verb „nahekommen“ und es steht im Perfekt. Wörtlich müsste es also heißen: „Das Reich Gottes ist nahegekommen“. Der Unterschied scheint gering, aber er ist wichtig. Das Reich Gottes ist nicht bloß etwas Zukünftiges. Es ist schon etwas geschehen: Das Reich Gottes ist bereits „nahegekommen“. Der Evangelist baut hier wohl sehr bewusst eine Spannung auf. Das Verb selbst - „nahekommen“ - lässt uns an etwas Zukünftiges denken. Die Zeitform, in der das Verb steht, ist jedoch die Vergangenheit, die gerade abgeschlossene Vergangenheit, das Perfekt. Das Reich Gottes steht in der Spannung zwischen dem „schon jetzt“ und dem „noch nicht“.
Was aber ist das Reich Gottes, das den Kern der Frohen Botschaft Jesu ausmacht? Benedikt XVI. schreibt in seinem Buch über Jesus von Nazareth, dass Jesus mit dem Reich Gottes gerade Gott selbst verkündet. „Er [Jesus] sagt uns: Gott gibt es. Und: … er hält die Fäden der Welt in Händen“ (S. 85). Das Reich Gottes ist dort, wo Gott seine Herrschaft ausübt. Es ist der Herrschaftsbereich Gottes. Der Grund, warum das Reich, warum diese Herrschaft nahe ist, liegt darin, dass Jesus gekommen ist: „Er selbst ist der Schatz, die Gemeinschaft mit ihm die kostbare Perle“ (S. 90).
Wir sind berufen zur Umkehr...
Auf dieses Ereignis, auf das in Jesus bereits geschehene sich Nahen des Reiches Gottes, sind wir nun berufen zu reagieren. „Kehrt um und glaubt an das Evangelium“. Das Wort vom Kommen des Reiches fordert eine Antwort des Menschen, die in Umkehr und Glauben besteht. Die μετάνοια, ein Wort, das gewöhnlich und zu Recht mit „Umkehr“ übersetzt wird, ist im wörtlichen Sinn eine Verwandlung der Geisteshaltung, eine tiefgreifende Veränderung in der Art und Weise, wie wir denken, fühlen und urteilen.
...nicht kosmetische Eingriffe
Es geht nicht um kosmetische Eingriffe: hier ein bisschen zuvorkommender zu sein, dort ein bisschen geduldiger zu werden, und nicht immer gleich dem Ärger Luft zu machen. Nein, es geht um eine tiefgreifende Veränderung des Seins und des praktischen Verhaltens. Mit dem Glauben an das Evangelium ist wiederum etwas gemeint, das über ein bloßes Fürwahrhalten hinausgeht. Glaube setzt Umkehr voraus, geht mit ihr einher und bedeutet, sich dem Evangelium anzuvertrauen und es zur Mitte des eigenen Lebens zu machen.
Antwort auf die Verkündigung...
Auf die Beschreibung der Verkündigung Jesu folgt im Markusevangelium unmittelbar die Schilderung der Berufung der ersten Jünger. Wir können also davon ausgehen, dass die Berufungsgeschichten im Sinne des Verfassers als konkrete Beispiele dafür dienen sollen, wie die Antwort auf die Verkündigung des Reiches Gottes aussieht, wie Umkehr und Glaube konkret aussehen können und sollen. Markus erzählt, wie Jesus zwei Brüderpaare beruft, zuerst Simon und Andreas, dann Jakobus und Johannes.
...im Alltag
In beiden Fällen geschieht die Berufung im Alltag. Alle vier gehen ihrer Arbeit nach; sie sind Fischer und arbeiten an ihren Netzen. Jesus geht am See entlang; er sieht sie; er spricht sie an und lädt sie ein, ihm zu folgen. Er ist es, der die Initiative ergreift. Das ist zunächst erstaunlich, denn normalerweise – nicht nur in der Antike, sondern auch heute noch – ist das Verhältnis zwischen Jünger und Meister genau umgekehrt. Normalerweise sucht sich der Jünger seinen Meister aus, von dem er lernen will, um dann selbst Meister zu werden. Hier ist es anders. Der Herr ist es, der ruft. Ebenso radikal wie der Ruf ist die Antwort der Jünger. In der Berufungsgeschichte des Elischa im ersten Buch der Könige hat der von Elija Gerufene noch Zeit, sich in Ruhe von seiner Familie zu verabschieden (1 Könige 19).
Hier dagegen, bei aller erzähltechnischen Anspielung auf eben diese alttestamentliche Episode, ist es in dieser Hinsicht ganz anders: „Sogleich ließen sie ihre Netze liegen und folgten ihm nach“. „Sogleich rief er sie, und sie ließen ihren Vater Zebedäus mit seinen Tagelöhnern zurück und folgten Jesus nach“. Die Jünger verlassen sofort ihre Arbeit und im Falle von Jakobus und Johannes ausdrücklich auch ihre Familie, ihren Vater, den sie allerdings mit den Tagelöhnern wussten, was bedeutet, dass er sich in einer finanziell abgesicherten Situation befand. Alles, was ihnen bisher wichtig war, tritt nun in den Hintergrund, denn sie sind dem begegnet, der wirklich zählt. Ihm nachzufolgen heißt nun nicht mehr nur, seine Lehre zu lernen, wie es bei anderen jüdischen Meistern der Fall gewesen wäre. Insofern Jesus ein Wanderprediger ist, bedeutet Nachfolge für die Jünger zunächst einmal buchstäblich, mit ihm zu gehen, mit ihm zu „wandern“, mit ihm zu wandeln, die Zeit, ja das ganze Leben mit ihm zu teilen.
Menschenfischer
Und mit der Berufung - „Folgt mir nach, werdet mir ähnlich“ – kommt dann auch eine Sendung: „Ich werde euch zu Menschenfischern machen“. Die Berufung der Jünger, ganz aus Gnade und völlig unverdient, beinhaltet eine Sendung. Die Berufenen sind wenige. Aber diese Wenigen sind, wie Joseph Ratzinger einmal gesagt hat, der Ausgangspunkt, „durch den Gott die Vielen retten will“ (Christliche Brüderlichkeit, 127). „Die Jünger Jesu sind wenige, aber so wie Jesus der eine «für die Vielen» war, so ist und bleibt es auch ihr Auftrag, nicht gegen, sondern für die Vielen zu sein“ (141).
Das erste Wort, das Jesus im Markusevangelium an seine Jünger richtet, lautet: „Folgt mir nach!“ (1:16). Es ist die Berufung der Wenigen. Das letzte Wort, das Jesus im Markusevangelium an die Jünger richtet, lautet: „Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium der ganzen Schöpfung!“ Es ist die Sendung zu den Vielen. Der Herr ruft in die Nachfolge und in die Gemeinschaft mit ihm und damit auch in die Gemeinschaft mit allen anderen, die diesen Ruf in die Nachfolge annehmen. Aus der Kraft dieser Gemeinschaft, dieser Nähe zum Herrn und zu den Brüdern und Schwestern im Herrn kann der Jünger dann auch die Sendung leben, die er vom Herrn empfangen hat: die umsonst empfangene Gnade weiterzugeben, das empfangene Licht nicht unter den Scheffel zu stellen, sondern es leuchten zu lassen, das Reich Gottes in sich wirken zu lassen und so auch Sauerteig in der Welt zu werden, damit das Reich wachse und die ganze Welt von innen her durchdringe. Verbringen auch wir Zeit mit dem Herrn, hören wir auf seinen Ruf, richten wir unser Leben nach ihm aus und lassen wir uns von ihm senden, wohin er will.
(radio vatikan - redaktion claudia kaminski)
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