Unser Sonntag: "Komm doch mal runter!"
Monsignore Erwin Albrecht
Joh 20, 19-23 Pfingsten (B)
„Komm doch mal runter!“ – Das sagen Kinder manchmal, wenn sie ihren Eltern ein Geheimnis ins Ohr flüstern wollen. Oder wenn sie einfach möchten, dass die Großen mit ihnen am Boden auf Augenhöhe spielen, in ihre Welt eintauchen und zusammen mit ihnen glücklich sind.
Wenn Ehepartner oder Freunde zu einander sagen „Komm doch mal runter!“, dann schwingt da oft schon etwas Sorge mit: „Pass auf, du bist jetzt 50. Nimm die Signale deines Körpers ernst! Mach langsamer! Gönn dir Pausen und geh behutsamer mit dir selber um! Wenn du so weiter machst, riskierst du sonst deine Gesundheit, deine Beziehungen, dein Leben … und dann bist du auf einmal weiter unten, als dir lieb ist!“
„Komm doch mal runter!“ – Das möchte ich manchmal dem einen oder der anderen zurufen, wenn immer mehr Leute das Maß verlieren und in ihrer Gier nicht mehr satt werden, wenn sie immer mehr haben wollen und nie genug kriegen, wenn sie immer höher hinauswollen und sie schließlich in ihrer Überheblichkeit meinen, sie seien Gott und die Welt gehöre ihnen.
„Komm doch mal runter!“ – Manchmal meldet sich diese Aufforderung von selbst und ist nicht mehr zu überhören – in der großen und in der kleinen Welt:
- Wenn plötzlich eine Finanzkrise vor Augen führt, dass weltweit die großen Banktürme ziemlich wackelig dastehen und das Ersparte schnell weg ist, weil irgendwo auf der Welt sich jemand verspekuliert hat.
- Wenn auf einmal der Friede eines Nachbarlandes gefährdet ist, weil dort jemand Grenzen überschreitet und an sich reißt, was ihm nicht gehört.
- Wenn der Arzt plötzlich feststellt: „Da stimmt etwas nicht!“ und mich eine Krankheit von meiner Spirale nach oben herunterholt und mich auf den Boden wirft.
„Herunter zu kommen“ fällt schwer
„Herunter zu kommen“ fällt schwer: unsicheres Terrain zu betreten, keine Kontrolle mehr zu haben, … Was kommt jetzt?
Wer auf dem Weg nach unten ist, kann meistens kaum glauben, dass diese Richtung für ihn heilsam sein kann, dass sich für ihn von unten her auch wieder etwas Neues entwickeln kann, dass er eine neue Perspektive auf den Himmel bekommt, dass er „unten“ dem „Himmelreich“ näher ist, als oben über den Wolken. Für mich ist das ausgedrückt in den Worten Jesu, wenn er sagt: „Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen“ oder „Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.“
Problematisch sind ‚Alles-Macher‘
Dass Menschen lieber hoch hinauswollen, als einen Weg nach unten anzutreten, ist natürlich und an sich auch nicht verwerflich. Problematisch wird es allerdings dann, wenn sie anfangen zu meinen, sie hätten die Macht, alles zu ‚machen‘, was sie können. Schnell fühlen sich nämlich die ‚Macher‘ oft als ‚Alles-Macher‘, als ‚allmächtig‘.
Diese Erfahrung ist uralt. Die Versuchung, den Himmel zu stürmen, war und ist zu allen Zeiten groß. Sie ist schon am Anfang der Bibel mit eindrucksvollen Bildern beschrieben. Da schließen sich in Babel Leute zusammen und sagen: „Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis zum Himmel, und machen wir uns damit einen Namen …“ (Gen 11, 4).
Was heißt das? Was tun sie da? Der „Himmel“ ist biblisch gesehen der Ort, wo Gottes Reich ist, wo ER zuhause ist, wo ER dafür sorgt, dass alles gut ist. Gottes himmlischer Bereich erstreckt sich überall dort hin, wo er selber ‚da‘ ist und unter den Menschen wohnt, wo sein Gesetz der Liebe gilt zum Wohle aller. Im Himmelreich bildet Gottes Liebe den Maßstab für das, was das Leben fördert, was gut und böse ist.
Wenn nun Menschen in diesen Bereich eindringen und den Himmel stürmen wollen, wenn sie Gott verdrängen und sich dafür selber einen Namen machen wollen, wenn andere Maßstäbe als die Liebe handlungsbestimmend werden … führt das dazu, dass – so heißt es in der Bibel – „… keiner mehr die Sprache des anderen versteht.“
Dekadente Gesellschaft
Hier liegt die Wurzel für viele Übel in unserer Welt. Wenn in einer aufsteigenden Gesellschaft sich die ‚Macher‘ an die Stelle Gottes setzen wollen und das Ruder übernehmen, wenn diese nach ihren eigenen Gesetzen willkürlich festlegen, was gut und böse ist, was zu tun und zu lassen ist, was profitabel und lebenswert ist … dann ist diese Gesellschaft schnell ‚dekadent‘. Dann fällt über kurz oder lang alles wie ein Kartenhaus zusammen und die Menschen werden einander nicht mehr verstehen, sich selbst nicht und die Welt nicht. Am Ende ist ihr selbst gebasteltes Himmelreich am Boden.
Es ist gut, wenn heute an Pfingsten bei den Gottesdiensten auf der ganzen Welt neben der Babel-Erzählung mit allen Sprachverwirrungen auch noch eine andere Geschichte zu Wort kommt. Sie handelt in Jerusalem vor 2000 Jahren. Dort sitzen Frauen und Männer eng zusammen. Sie verbindet alle die gleiche Erfahrung: am Boden zu sein. Ihre Welt war zusammengebrochen, als die Mächtigen damals zuschlugen und ihren Freund und Meister Jesus Christus hingerichtet hatten. Trotz vieler Anzeichen, dass der Tote auferstanden ist und lebt, wissen sie immer noch nicht so recht, wie es jetzt weiter gehen soll.
Da kommt „… plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein mächtiger Sturm daher fährt“, Feuerzungen zeigen an, dass der Heilige Geist Licht in ihr Dunkel und Klarheit in ihre Gedanken bringt. Und sie stehen auf - von ganz unten -, sie richten sich auf, sie gehen hinaus ins Freie und – was mich schon als Kind immer fasziniert hat – sie sprechen in fremden Sprachen. Und jeder, der damals aus aller Herren Länder in Jerusalem weilt und miterlebt, was da passiert, kann die Jünger in seiner Muttersprache verstehen. Was sie sagen, geht nahe, geht zu Herzen.
Das Gegenteil von Babel
Was passiert da? - Genau das Gegenteil von Babel! Während in Babel große Sprachlosigkeit herrscht, weil die Mächtigen selbst Gott spielen wollen und ‚abheben‘, löst sich bei den Jüngern ihre Zunge, weil sie sich von Gott führen lassen. Sie sprechen so, dass sie von allen verstanden werden können. Die Worte sprudeln nur so aus ihrem Mund, ‚begeistert‘ von dem, der sie ihnen in den Mund legt. Sie reden nicht von sich selbst, wollen sich nicht selber groß oder einen Namen machen. Sie verkünden Gottes große Taten, sein Evangelium. Ihnen nimmt man ab, dass aus ihrem Mund die gute, heilende Botschaft des Gottessohnes weiter klingt für alle Zeit und Ewigkeit: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben!“
Veni Creator Spiritus
„Komm herab, o Heil’ger Geist!“, „Komm doch mal runter!“, „Veni Creator Spiritus!“ – So beten Christen deswegen seit vielen Jahrhunderten an Pfingsten. „Komm Heiliger Geist dorthin, wo ich bin! Berühre mich! Hauch mir neues Leben ein!“ Wer so betet vertraut darauf, dass nur Gott selbst die Kraft hat, wieder aufzurichten, was am Boden liegt. Sein Reich blüht auch von unten. Gott ist sich nicht zu schade, um uns im ‚Unten‘ menschlicher Existenz nahe zu sein. Niemand kann so tief fallen, dass Gottes Geist ihn nicht wieder beleben könnte. Was ich von Gottes heiligem und heilendem Geist erwarten und erbitten darf, ist für mich in einem alten pfingstlichen Gebet zusammen gefasst, das ich Ihnen, liebe Zuschauerinnen und Hörer, am heutigen Festtag mit auf den Weg geben möchte.
Komm herab, o Heil‘ger Geist,
der die finstre Nacht zerreißt, strahle Licht in diese Welt.
Komm, der alle Armen liebt,
komm, der gute Gaben gibt, komm, der jedes Herz erhellt.
Höchster Tröster in der Zeit,
Gast, der Herz und Sinn erfreut, köstlich Labsal in der Not,
in der Unrast schenkst du Ruh,
hauchst in Hitze Kühlung zu, spendest Trost in Leid und Tod.
Komm, o du glückselig Licht,
fülle Herz und Angesicht, dring bis auf der Seele Grund.
Ohne dein lebendig Wehn
kann im Menschen nichts bestehn, kann nichts heil sein noch gesund.
Was befleckt ist, wasche rein,
Dürrem gieße Leben ein, heile du, wo Krankheit quält.
Wärme du, was kalt und hart,
löse, was in sich erstarrt, lenke, was den Weg verfehlt.
Gib dem Volk, das dir vertraut,
das auf deine Hilfe baut, deine Gaben zum Geleit.
Lass es in der Zeit bestehn,
deines Heils Vollendung sehn und der Freuden Ewigkeit.
Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Pfingstfest!
(radio vatikan - redaktion claudia kaminski)
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