Franziskaner zu Missbrauchsstudie: „Jeder Fall macht mich wütend"
„Jeder einzelne Fall – viele werden in der Untersuchung zum Teil sehr ausführlich geschildert – macht mich wütend und betroffen zugleich. Das ist gegen all das, woran ich glaube, wofür ich in den Orden eingetreten bin", sagt Bruder Andreas. Er gesteht im Interview auch, dass er im Jahr 20120 bei den ersten Berichten über Missbrauchsfälle in katholischen Orden selbst noch geglaubt habe, in seinem Orden könne das nicht geschehen. „Ich habe mich geirrt: Missbrauch gab es auch bei uns. Wir haben diese Unabhängige Untersuchung im Frühjahr 2022 in Auftrag gegeben, aus der Überzeugung heraus, dass Betroffene sexualisierter Gewalt durch Ordensbrüder ein Recht auf die Wahrheit haben. Diese Studie ist ein Schritt in einem längeren Prozess der Aufarbeitung. Wir haben gemerkt, dass das Aufstellen von Verhaltensregeln und Präventionsordnungen allein nicht ausreicht. Wir müssen die Vergangenheit anschauen, um für die Zukunft zu lernen. Jetzt haben wir es Schwarz auf Weiß, was in unserer Gemeinschaft geschehen ist."
Vergangenheit aufarbeiten und für Zukunft lernen
Seit dem Jahr 2010 würden Missbrauchsvorwürfe ernster genommen und mehr Menschen hätten den Mut bekommen, sich nach solchen Verbrechen zu melden. „Leider hat man ihnen erst spät geglaubt, als nach und nach die ganze Dimension dieses Verbrechens sichtbar wurde", bedauert Murk. Er dankt zugleich allen, die den Mut finden, sich zu melden: „Ich bin den Betroffenen dankbar, dass sie uns über ihre Erlebnisse, Erfahrungen und deren Folgen berichten, denn ohne sie käme das alles nicht ans Licht."
Aus dem Kreis der Betroffenen, die an der Untersuchung mitgewirkt haben, kam der Wunsch zu einem Treffen nach der Veröffentlichung. Dazu war auch Bruder Andreas als Provinzialoberer dabei. Es sei hilfreich von Betroffenen zu hören, „wie die Untersuchung angenommen wird, welche offenen Fragen es möglicherweise noch gibt und welche Impulse ich für die Zukunft mitnehmen kann. Denn der Auftrag, Menschen zu schützen und Missbrauch zu verhindern, der bleibt", betont der Ordensmann.
Murk ruft im Interview auch Betroffene und Zeugen dazu auf, sich weiterhin bei den zuständigen Stellen zu melden.
Auch Mitbrüder unter den Opfern
Murk geht auch darauf ein, dass es auch Mitbrüder gibt, die sexuelle Gewalt erlitten. „Ihr Leid war lange nicht im Blick, weil über solche ,Fälle' nicht wirklich gesprochen wurde", so der Ordensmann. Jeder gehe anders mit traumatischen Erfahrungen um. „Es ist mittlerweile aber für alle klar, dass Therapiemöglichkeiten offen stehen und dass niemand sich mit dieser Not schämen oder gar verstecken muss. Die Ordensprovinz macht klar, dass sie nicht auf Seiten der Täter steht."
Hintergrund
Als erster katholischer Orden in Deutschland hatten die Franziskaner-Minoriten Mitte Juni eine extern begleitete, unabhängige Untersuchung zu sexualisierter Gewalt vorgelegt. Der von zwei Rechtsanwältinnen verfasste Bericht dokumentiert und bewertet auf 152 Seiten Vorwürfe gegen neun namentlich bekannte Ordensmänner seit den 1960er Jahren bis in die jüngere Vergangenheit. Von einem Bruder werden Übergriffe auf 20 verschiedene Betroffene geschildert. Es handelt sich um die erste derartige Studie auf Basis der 2021 getroffenen Vereinbarung der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK) mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung.
Die Franziskaner-Minoriten haben in Deutschland 40 Mitglieder in sechs Niederlassungen. Der Chef der Provinz, Bruder Andreas Murk, ist zugleich DOK-Vorsitzender. Würdigung des Mitwirkens von BetroffenenEr würdigte jetzt in dem Interview das Mitwirken von Betroffenen.
(katholisch.de/kna - sst)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.