Ex-Schweizergardist wird Priester: „Diesen Dienst mit Demut ausüben“
Romano Pelosi – Vatikanstadt
Er trage ja „jetzt auch wieder eine Art Uniform, einfach nicht so eine bunte“, witzelt Didier Grandjean, als er sich zum Interview ins Radiostudio setzt. Grandjean befindet sich aktuell wieder in seinem alten vatikanischen Umfeld. Als Aushilfe unterstützt er in diesem Sommer die Schweizergarde und tut wieder Dienst in Uniform. Erst am Vortag war er noch in der bekannten Gala-Uniform in den Loggien des Apostolischen Palastes im Dienst, nun kommt er im dunklen Hemd samt Römerkragen in die Studios von Radio Vatikan.
Grandjean, 34 Jahre, aus der Region Gruyère im Kanton Fribourg, ist Priesterseminarist im diözesanen Priesterseminar Fribourg. Zuvor hatte er von 2011 bis 2019 bei der Schweizergarde gedient. „Ich habe die Garde verlassen, um ins Priesterseminar einzutreten“, präzisiert er gleich zu Beginn. Eigentlich ist er gelernter Landschaftsgärtner.
Die Schweizergarde: Sprungbrett für den Weg der Berufung
Sein familiäres Umfeld sei religiös geprägt gewesen, dies aber auch aufgrund seines Heimatkantons Fribourg. Die Stadt Fribourg beherbergt eine der vier katholischen theologischen Fakultäten der Schweiz (neben Luzern, Chur und Lugano) und wird zuweilen als „Rom der Schweiz“ bezeichnet.
Anlässlich des 500-jährigen Jubiläums der Gründung der Päpstlichen Schweizergarde 2006 geriet Grandjean bei einer der zahlreichen Informationsveranstaltungen der Garde ein Werbeflyer in die Hände: „Diesen Flyer habe ich immer auf meinem Nachttisch aufbewahrt, sodass er mir stets im Gedächtnis blieb. Diese Erinnerung hat mich auf meinem zukünftigen Weg begleitet und nie losgelassen. Diese Informationsveranstaltung war der Auslöser für meinen Eintritt in die Schweizergarde“, erzählt er.
Grandjean hatte zwar die Rekrutenschule der Schweizer Armee absolviert, ein Grundkriterium für die Aufnahme in die älteste Armee der Welt, doch seine Motivation für den Dienst an Papst und Kirche sei vor allem religiöser Natur gewesen.
Kontakt mit Pilgern als Katalysator des eigenen Glaubens
Als Grandjean mit 21 Jahren 2011 in die Garde eintrat, profitierte er von seiner soliden religiösen Sozialisation. Das Eintauchen in die vatikanische Welt ebnete Grandjean den Weg zu Intensivierung und Weiterentwicklung seines Glaubens. Der facettenreiche Dienst bei der Garde, vor allem die Eingangskontrollen bei Sankt Anna oder dem Sant Uffizio sind Kontaktflächen mit der Pilgerschaft aus aller Welt:
„Während meines Dienstes bei der Schweizergarde hatte ich häufig Kontakt mit Pilgern, was mich sehr beeindruckt hat, besonders ihr oft sehr tiefer Glaube, den sie sehr demonstrativ zeigten.“
Andererseits überwiege in gewissen Situation die Einsamkeit und Monotonie, welche alle Sicherheitsdienste der Welt mit sich bringen: „Es gab aber auch Momente, in denen wir allein auf den Dienstposten des Apostolischen Palastes waren. Diese Zeiten nutzte ich für Gebet, Besinnung und Reflexion.“
Der Dreischritt zur Berufung: „Steter Tropfen höhlt den Stein“
Gebet, Besinnung und Reflexion, gepaart mit inspirierenden Begegnungen rund um die Kuppel des Petersdoms, haben Grandjeans Berufung geschärft und ihn auf den Pfad der priesterlichen Berufung geführt. Diese „Erleuchtung“ wie er es nennt, kam aber nicht plötzlich und abrupt, sondern ist allmählich gereift...
Für Laien mag es manchmal schwierig sein, nachzuvollziehen, was unter einer Berufung konkret zu verstehen ist - vor allem in Zeiten säkularisierender Tendenzen und vermeintlicher Abwesenheit des Spirituellen im Alltag der Menschen unserer Zeit.
„Der Begriff ,Berufung' stammt von ,vocare', was auf Lateinisch ,rufen' bedeutet. Es ist ein Ruf, etwas, das man innerlich spürt. Für mich hat dieser Ruf sich allmählich entwickelt. Es war kein plötzliches Erleuchten. Ich denke, das ist bei jedem unterschiedlich, aber für mich war es ein schrittweiser Prozess, in dem ich erkannte, dass Gott mich zu etwas anderem rief.“
Man könne in gewisser Weise behaupten, dass bei Grandjean der stete Tropfen den Stein gehöhlt habe. Schon vor seinem Eintritt keimte die Idee auf, die priesterliche Laufbahn einzuschlagen, doch damals sei er noch zu jung und unerfahren gewesen. Er brauchte Zeit für den bedeutenden Freischritt der Berufung: Den Ruf erkennen, den Ruf annehmen und sich schliesslich auf diesen Ruf einzulassen. „Die Schweizergarde war für mich ein Weg des Erkennens und der Reifung, sowohl menschlich als auch spirituell. Ich brauchte Zeit, um menschlich zu reifen, um diesen Ruf zu erkennen, anzunehmen und mich darauf einzulassen“, so Grandjean.
„Geh, das ist dein Weg“
Nachdem er die Entscheidung getroffen hatte, ins Priesterseminar einzutreten, erfuhr er von seiner Familie und seinen Freunden große Unterstützung. „Es war eine immense Gnade, dass mich alle unterstützt haben und niemand mich davon abbringen wollte, diesen Weg einzuschlagen,“ erzählt er bewegt.
Besonders berührend für ihn war, dass er diese Nachricht noch seinem Vater mitteilen konnte, der 2018 verstarb. „Es war sehr schön, denn mein Vater hat mich ermutigt, genauso wie meine Großmutter, zu der ich eine enge Beziehung hatte und die ein Jahr später starb. Ich weiß, dass beide jetzt vom Himmel aus über mich wachen.“
Natürlich habe es auch kritische und skeptische Stimmen gegeben. Einige seien überrascht gewesen, da sie wussten, wie sehr er seinen Dienst bei der Schweizergarde genoss und wie gut er dort zurechtkam. „Auch meine Großmutter war anfangs überrascht von meiner Entscheidung, sagte mir aber später, dass sie stolz auf mich sei,“ erinnert er sich. Sein Vater hingegen hatte bereits eine Ahnung, dass sein Sohn diesen Weg einschlagen würde. „Obwohl wir damals nicht täglich Kontakt hatten, hatte er gespürt, dass ich mich auf diesen Weg vorbereitete,“ fügte er hinzu. Die überwiegend positive Resonanz gab ihm die Kraft und die Zuversicht, die ihm bis heute helfe.
Auf die Frage, ob er Angst hatte, diese Entscheidung seinem Umfeld mitzuteilen, antwortete er ehrlich: „Es ist immer ein bisschen heikel, besonders bei engen Angehörigen.“ Als er seinem kranken Vater die Nachricht überbrachte, reagierte dieser zunächst nicht.
„Er war damals schon krank, und ich dachte, vielleicht war er zu müde, um die Neuigkeit zu verarbeiten. Einige Monate später, kurz vor seinem Tod, fragte ich ihn erneut nach seiner Meinung. Er sagte mir, dass er es bereits geahnt hatte und dass dies mein Weg sei. Diese Bestätigung war eine große Erleichterung für mich. Er sagte: Geh, das ist dein Weg.“
Ein Mikrokosmos umgeben von einem Hauch Ewigkeit
Die Vatikanstadt, speziell das Korps der Schweizergarde, stellt immer noch für viele einen Mikrokosmos zwischen Tradition und Innovation dar. Der Dienst, bestehend aus Sicherheits- und Ehrendienst, findet im Herzen der Kirche statt, in unmittelbarer Nähe des Nachfolgers des Apostelfürsten. Dieser Hauch von Ewigkeit lässt viele besondere Momente entstehen, auch entscheidende Momente in der Karriere eines Schweizergardisten, die seinen zukünftgien Lebensweg formen werden - und so war es auch für Grandjean:
„Ja, während meiner Dienstzeit gab es einen entscheidenden Moment: das Konklave 2013. Es war beeindruckend zu sehen, wie bedeutsam dieses Ereignis sowohl historisch als auch spirituell war. Es geschahen Dinge, die größer waren als wir selbst. Wir waren da, um zu dienen und diesen Prozess zu begleiten, und es war beeindruckend, die Größe der Kirche und ihr übernatürliches Wesen jenseits menschlicher Schwächen zu erleben. Das hat mich tief beeindruckt und getragen. Auch der Kontakt mit den beiden Päpsten, Benedikt XVI. und Franziskus, war sehr prägend. Sie zu sehen, wie sie sich für die Kirche einsetzten, ohne sich zu schonen, immer bereit, ihren Dienst zu tun, war sehr beeindruckend. Das hat mir den Wunsch und die Kraft gegeben, mich ebenfalls zu engagieren.“
Dienstbewusstsein und Disziplin
Lässt sich eine Brücke schlagen zwischen dem Dienst bei der Schweizergarde und dem Seminaristen-Dasein? Wo sind die Parallelen, was nimmt man aus dem Gardisten-Habitus mit? Grandjean weiß hier schnell zu antworten: „Zunächst einmal ist das Dienstbewusstsein wichtig, sei es bei der Schweizergarde, im Priesterseminar oder als Priester. Der Dienst steht im Zentrum, das ist die entscheidende Botschaft.“ Doch auch eine weitere Säule der Schweizergarde dürfe man nicht vernachlässigen: Die Kameradschaft.
Das Bewusstsein zu dienen, sich einzusetzen für den Anderen oder die Anderen, sei nicht alles: „Da ist auch noch die Disziplin. Disziplin spielt nicht nur im militärischen Kontext wie bei der Schweizergarde eine Rolle, sondern auch im Gebetsleben eines Priesters. Ein Priester betet das Stundengebet, und manchmal gleicht das Gebet einem Kampf. Es ist nicht jeden Tag einfach, sich Zeit für das Gebet zu nehmen.“
Das Gardisten-Dasein verlangt einem eine routinisierte Disziplin ab: Sauberes Auftreten, tägliche Rasur, makellose Uniform, freundliches Auftreten. Die Disziplin: ein Grundpfeiler der Schweizergarde, verkörpert die unerschütterliche Hingabe, die strenge Selbstkontrolle und den eisernen Willen zum loyalen Dienst – die persönlichen Bedürfnisse hinter diejenigen des Dienstes an Papst und Kirche zu stellen.
Doch die wahre Essenz der Disziplin liege im uneigennützigen Dienst, die zentrale Parallele zwischen Uniform und Talar, gibt Grandjean zu bedenken. Schließlich müsse der Priester, neben seiner Gebetsroutine, einen uneigennützigen Einsatz leisten.
Grandjean nennt einen Titel des Pontifex, aus dem er Inspiration schöpfe: Servus servorum Dei, Diener der Diener Gottes: „Aber ich denke, es geht darum, sich ohne Erwartung einer Gegenleistung zu engagieren, diesen uneigennützigen Einsatz. Wir stellen uns in den Dienst des Papstes, der Kirche, aber auch der Gläubigen insgesamt. Bei der Schweizergarde sagten sie oft, dass wir die Diener des Dieners der Diener Gottes sind, wie der Papst es gerne nennt; einer seiner Titel lautet ja Diener der Diener Gottes. Und ich denke, das ist genau das, was zählt: Wir müssen diesen Dienst mit großer Demut ausüben."
Die Krux der priesterlichen Einsamkeit
Der Priester widmet der Glaubensgemeinschaft sein ganzes Leben: er ist Diener, er ist Fürsprecher, kurzum: Er tut alles immer für die Anderen. Wie sieht es da mit der Einsamkeit aus? Hier schöpft der Fribourger Seminarist einen wertvollen Vorteil aus seiner Gardistenvergangenheit.
Grandjean hat acht Jahre lang gedient, was über die obligatorische Dienstzeit hinausgeht. Dies wiederum bedeutet, dass er sich ein umgreifendes Netzwerk aufbauen konnte. Der Priester sei selber verantwortlich für sein soziales Netzwerk, außerdem habe ein Priester doch eine Familie: Diejenige der Gemeindemitglieder.
„Ich denke, ein Priester, der glücklich lebt, ist niemals allein. Natürlich bringt die Tatsache, nicht zu heiraten, eine gewisse Einsamkeit mit sich, die man nicht leugnen kann. Aber ich glaube, dass wir eine Familie unter den Gemeindemitgliedern und Gläubigen haben. Außerdem sollte man das Netzwerk von Freunden, das man vor der Weihe hatte, pflegen. Das bleibt wichtig. Der soziale Aspekt des Priesterlebens ist essenziell, besonders in der heutigen Zeit, in der die Gesellschaft uns nicht unbedingt in dieser Wahl unterstützt. Ohne ein soziales Netzwerk, Freunde und nahestehende Personen, auf die man zählen kann, ist es schwierig, voranzukommen."
„Die Krise des Engagements“
Es gestalte sich als ein erklärungsbedürftiges Vorhaben, die fortschreitende Säkularisierung in Mitteleuropa, also unter anderem in der Schweiz, zu leugnen. Die Anzahl der Priesterseminaristen sinkt, es müssen Kirchengemeinen fusionieren, damit sonntags mindestens eine Messe stattfinden kann. Die Themenschwerpunkte, bei denen die Kirche die Phänomene der modernen Gesellschaft spüre, drehten sich um die Tatsache, dass die Menschen sich nicht mehr lange binden würden: „Ich glaube, dass wir derzeit eine gewisse ,Krise des Engagements' erleben. Der Sinn für langfristiges Engagement hat stark nachgelassen, und viele haben Angst, sich langfristig zu binden. Das gilt nicht nur für das Priestertum, sondern auch für die Ehe. Beide sind Formen des Dienens und des Engagements. Es bedeutet auch eine Art von Verzicht, bei dem man bereit ist, materielle oder familiäre Sicherheiten aufzugeben. Das erfordert Mut.“
Die abnehmende Bereitschaft, zu dienen, sich langfristig diszipliniert für seine Überzeugungen zu engagieren, habe eine Kultur der Bequemlichkeit geschaffen, eine „Gesellschaft der Bequemlichkeit", wie Grandjean es bezeichnet. Opfer zu bringen scheint überholt, nicht mehr erstrebenswert zu sein, fernab des zeitgenössischen Habitus unserer Generationen. Wenn aber ein angehender Priester genügend Mut aufbringe, den Weg des Glaubens zu gehen, dann könne er sich glücklich schätzen, mit Christus an der Seite, so dass man niemals alleine sei: „Unsere Gesellschaft ist heute oft eine Gesellschaft der Bequemlichkeit, in der alles sofort verfügbar ist. Es ist daher schwierig, sich von dieser Haltung zu lösen und Opfer zu bringen. Aber ich denke, es ist wichtig zu sagen: Als Seminarist bin ich glücklich. Ich glaube, man kann glücklich sein, wenn man den Mut hat, diesen Schritt zu gehen. Man findet darin Freude, und Christus ist immer an unserer Seite.“
Bereits der Patron des Klerus, der heilige Johannes Maria Vianney, meinte: „Wenn wir gut verstehen würden, was ein Priester auf Erden ist, würden wir sterben: nicht aus Angst, sondern aus Liebe.“
„Die Menschen freuen sich trotzdem, Priester in ihrer Mitte zu haben“
Auch wenn mit Blick auf Europa die Geweihten eher eine Seltenheit sind, sollten sich angehende Seminaristen - junge Männer, die eine Berufung fühlen - nicht abschrecken lassen, sondern dem Ruf Gottes Raum geben. Ein bedeutender Schritt sei es, das Gespräch mit erfahrerenen Priestern zu suchen. Außerdem bedeute Säkularisierung nicht, dass die breite Masse der Gesellschaft nicht glücklich darüber sei, Priester in ihrer Mitte zu haben: „Es ist wichtig, Rat zu suchen und besser zu verstehen, was das Leben eines Priesters ausmacht, und die Schönheit dieser Berufung, dieses Engagements zu erkennen. Wir sehen, dass die Zahl der Berufungen zurückgeht, aber die Menschen brauchen trotzdem Priester und freuen sich, Priester in ihrer Mitte zu haben. Was man vielleicht aus seinem vorherigen Leben aufgibt, wird einem hundertfach zurückgegeben. Denn Gott ist großzügig und gibt immer mehr, als man erwartet. Es geht also nichts verloren.“
Es werde einem von den Menschen viel zurückgegeben, wenn man ihnen diene und für sie da sei, wenn man sie begleite und auch an die Ränder gehe - übrigens eine Maxime des aktuellen Papstes. Und genau auf diese zukünftigen Tätigkeiten freut sich Grandjean am meisten: „Ich denke, es ist wichtig, für die Menschen da zu sein. Darauf freue ich mich am meisten: die Sakramente zu spenden, verfügbar und aufmerksam zu sein, die Menschen zu begleiten, besonders die Kranken, Schwachen und Armen. Das bedeutet, mitten unter den Menschen zu sein, ihnen Christus zu bringen und die freudige Botschaft der Kirche zu verkünden.“
(vatican news)
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