Unser Sonntag: Für wen haltet Ihr mich?
Prof. Dr. Tobias Häner
Mk 8,27–35
„Für wen halten mich die Menschen?“ (Mk 8,29), fragt Jesus die Jünger.
Seit der Taufe durch Johannes im Jordan und nach der Versuchung der Wüste hat Jesus begonnen, in Galiläa öffentlich aufzutreten. „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,14) so lautete seine klare und eindringliche Botschaft.
In Gleichnissen, die mitten aus dem Leben gegriffen sind und die Leute mitten ins Herz treffen stellte er dar, was es mit dem Anbruch der Königsherrschaft Gottes auf sich hat. Aber es blieb nicht bei Worten. Die Heilungswunder, die Jesus tat, versetzte die Menschen in Staunen und Aufregung. Die Antworten der Jünger auf die Frage Jesu, für wen ihn die Menschen halten, widerspiegeln, was Jesu öffentliches Auftreten in der Bevölkerung Galiläas ausgelöst hat.
Johannes, der Umkehrprediger
„Einige für Johannes den Täufer“, lautet die erste Antwort. Johannes, der Umkehrprediger. Jesus hat die Umkehrmahnung des Täufers fortgeführt und nach Galiläa getragen. Für nicht wenige ist Jesus ein prophetischer Mahner, ein „Rufer in der Wüste“ im metaphorischen Sinn, der durch seine eindringlichen Worte und die starken Bilder und Gleichnisse die Herzen der Menschen erreicht.
„andere für Elija“.
Elija
Auch Elija war ein Umkehrprediger. Aber er war – ebenso wie sein Nachfolger Elischa – ein Wundertäter, der sogar Tote wieder zum Leben erweckt hat. Und als Wundertäter tritt auch Jesus auf, und für einige seiner Zeitgenossen sind es vor allem die wundersamen Heilungen, die das Auftreten Jesu ausmachen.
Sonst ein Prophet
„Wieder andere für sonst einen Propheten“. Ja, Jesus wird von der breiten Bevölkerung als eine prophetische Gestalt wahrgenommen. Aber die Jünger, die mit Jesus unterwegs sind, die sein Leben teilen, haben ihn näher kennengelernt. Sie haben eine tiefere Kenntnis von seiner Identität erlangt. Sie haben gesehen und erlebt, wie er zwölf von ihnen ausgewählt und zu seinen Aposteln gemacht hat. Und sie haben verstanden, was es damit auf sich hat:
Die zwölf Apostel stehen für die zwölf Stämme Israels – Jesus stellt das Gottesvolk wieder her. Er ist der endzeitliche Heilsbringer – der Messias.
Als Jesus die Jünger fagt: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ (Mk 8,29), antwortet daher Simon Petrus im Namen aller:
„Du bist der Messias!“ (Mk 8,29)
Ja, die Jünger haben mehr wahrgenommen und erkannt als andere, die Jesus als einen Prediger und Wundertäter – und nichts weiter – erlebt haben. Aber haben sie wirklich schon verstanden, wer er ist? Die Reaktion Jesu auf das Messiasbekenntnis von Simon Petrus kann irritieren:
„Er verbot ihnen, mit jemand über ihn zu sprechen.“ (Mk 8,30)
Messiaserwartungen führen zu Aufständen
Solche Ermahnungen zum Schweigen begegnen uns öfter in den Evangelien, besonders bei Markus. Im Hintergrund dazu stehen die damaligen Messiaserwartungen. Diese waren stark politisch aufgeladen. Schon vor und dann vor allem auch nach dem Auftreten Jesu kam es – vor allem in Galiäa – zu Aufständen unter der jüdischen Bevölkerung gegen die römische Herrschaft. Bei nicht wenigen Zeitgenossen befeuerte das Auftreten Jesu die Hoffnung auf einen siegreichen Kampf gegen die römische Fremdherrschaft.
Doch der Weg Jesu ist ein ganz anderer. Unmittelbar auf das Messiasbekenntnis der Jünger folgt die erste Leidensankündigung Jesu. Offen spricht er aus, was ihn erwartet: Er wird von den eigenen Leuten, den Hohenpriestern und Schriftgelehrten, verfolgt werden, und diese werden sogar dafür sorgen, dass er getötet wird. Aber „nach drei Tagen werde er auferstehen“ (Mk 8,31).
Wir befinden uns im heutigen Evangelium in Cäsarea Philippi, im äußersten Nordosten Galiläas am Fuße des Hermon. Philippus, einer der Söhne Herodes’ des Großen, war von seinem Vater die Herrschaft über das Gebiet übertragen worden, und er hatte den Ort zu seiner Hauptstadt gemacht.
Von Cäsarea Philippi geht es auf die Passion zu
Geographisch ist es einer der von Jerusalem entferntesten Punkte, den Jesus erreicht. Von dort aus beginnt er, sich in Richtung Judäa und Jerusalem zu bewegen. Er weiß, das Eigentliche seiner Sendung steht noch bevor: Sein Leiden, Sterben und Auferstehen in Jerusalem. Auch dramaturgisch stellt die Unterredung Jesu mit seinen Jüngern in Cäsarea Philippi daher einen Wendepunkt dar. Von jetzt an beginnt er, sich nach Jerusalem zu orientieren und den Jüngern seine Passion anzukünden.
Die Frage „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ ist eine Aufforderung Jesu an die Jünger, ihm auf diesem Weg zu folgen. Bereit zu sein, die eigenen Vorstellungen und Erwartungen loszulassen, um tiefer zu sehen. Unmittelbar vor dem Gespräch in Cäsarea Philippi erzählt uns das Markusevangelium von einer Blindenheilung in Betsaida. Der Geheilte sieht zunächst nur unscharf, er sieht statt der Menschen „etwas, das wie Bäume aussieht und umhergeht“ (Mk 8,24) Erst, nachdem Jesus ihm ein zweites Mal die Hände aufgelegt hat, sieht der Mann scharf und deutlich. Auch die Jünger haben Jesus bisher erst in Umrissen erkannt.Der Weg mit Jesus nach Jerusalem, seine Passion und Auferstehung, steht ihnen noch bevor.
Ihr aber, für wen haltet ihr mich?
„Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Diese Frage stellt sich auch uns heute. Sind wir bereit, uns von Gott immer tiefer in die Erkenntnis führen zu lassen, uns von vertrauten Vorstellungen zu lösen, damit sich Gott uns immer wieder neu zeigen kann?
„Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“
Die Frage hallt nach durch die ganze Geschichte des Christentums. Sie fand Antwort in den verschiedenen Bildern und Darstellungen von Jesus Christus.
Das Bild „der Leichnam Christi im Grabe“ von Hans Holbein zeigt Jesus, wie er tot daliegt, aufgebahrt auf einer Grabplatte. Papst Franziskus schreibt in der Enzyklika Lumen Fidei über das Bild: „Gerade in der Betrachtung des Todes Jesu wird der Glaube gestärkt und empfängt ein strahlendes Licht, wenn er sich als ein Glaube an Jesu unerschütterliche Liebe zu uns erweist, die fähig ist, in den Tod zu gehen, um uns zu retten. An diese Liebe, die sich dem Tod nicht entzogen hat, um zu zeigen, wie sehr sie mich liebt, kann man glauben.“
Die unerschütterliche Liebe Gottes zu uns. Darum geht es Jesus. Darum kündet er an, er werde leiden und sterben – und auferstehen. Franziskus spricht vom „strahlenden Licht“, dem Licht des Glaubens – Lumen Fidei. Auch uns ist dieses Licht gegeben, das uns vom Tod bis zur Auferstehung sehen lässt, das uns im Leiden Christus begegnen, ihn umarmen lässt.
(radio vatikan - redaktion claudia kaminski)
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