Kardinal Schönborn vor Abschied: „Christentum hat tiefe Ressourcen"
Gudrun Sailer - Vatikanstadt
Den anhaltenden Rückgang bei den Zahlen der Kirchenmitglieder in Österreich und Europa bezeichnete der Kardinal als Schmerzpunkt, an dem es „nichts schönzureden“ gebe. Das habe Ursachen teils in der Kirche selbst, es habe auch insgesamt die Bindung an Institutionen nachgelassen, sagte Schönborn. Alten Zeiten nachzutrauern, habe da aber keinen Sinn: „In dieser Situation die Kirche der 50er Jahre wiederherzustellen, würde kein Reformrezept schaffen.“
Stattdessen sieht der Kardinal die Kirche in der Pflicht, Sinnangebote zu stärken. „Es gibt sehr viele Menschen in unserer Gesellschaft, in ganz Europa ist das spürbar, die auf der Suche sind, auf der Suche nach Antworten auf die großen existenziellen Fragen. Und hier hat das Christentum ein großes Angebot, wir haben tiefe Ressourcen.“
13.000 Erwachsenentaufen in Frankreich
Es sei faszinierend, dass heute Menschen, die nicht mit dem Christentum aufgewachsen seien, den christlichen Glauben als etwas Neues entdeckten. „Ich denke da zum Beispiel an Frankreich, das mir sehr vertraut ist, und wo in diesem Jahr zu Ostern 13.000 Erwachsene um die Taufe gebeten haben. Was bewegt sie? Sie sind auf der Suche nach Sinn. Und ich glaube, wenn wir insgesamt als Religionsgemeinschaft etwas Sinnvolles tun wollen für diese Gesellschaft, dann ist es, die Sinnsucher und die Sinnfrage überhaupt zu stärken.“
Die Kirche steht nach Aussage des Kardinals für eine liberale Demokratie auf der Basis der Menschenrechte und der Freiheit. In diese liberale Gesellschaftsform könne „das Christentum Elemente einbringen, die für ihre Zukunft entscheidend sind", zeigte sich Schönborn überzeugt. Als Beispiele nannte er die Würde und die Transzendenz-Offenheit jedes Menschen. „Diese Dimensionen werden für die Zukunft sehr wichtig sein."
Schönborn, der seit 1995 Erzbischof von Wien ist und zahlreiche Aufgaben am Vatikan innehatte, warb zugleich dafür, die Glaubensüberzeugungen der Kirche nicht zu überdehnen. „Eines ist klar: Die sogenannte Orthodoxie, also die Rechtgläubigkeit, ist nicht ersetzbar durch Beliebigkeit.“
Eine eigene gefestigte Haltung im Glauben sei die Voraussetzung für Dialog, etwa mit Muslimen. „Ich habe ja fünf Jahre intensiv an der Erarbeitung des Katechismus der katholischen Kirche mitgearbeitet, sozusagen ein Kompendium der Orthodoxie: Was glaubt die Kirche? Was lehrt die Kirche? Was sind die die Glaubensüberzeugungen der Kirche? Und ich halte es nach wie vor für sehr wichtig zu wissen, was eigentlich mein Glaube ist. Glauben und Wissen gehören einfach ganz innig zusammen.“ Es habe in dieser Frage viel von Joseph Ratzinger gelernt. Der spätere Papst Benedikt XVI. sei „entgegen dem Bild, das oft von ihm gezeichnet wurde, ein sehr offener und sehr weitsichtiger Mann“ gewesen.
Rückzug Europas und geopolitische Unsicherheiten
Besorgt zeigte sich Schönborn über die zunehmenden globalen Spannungen und die Aufrüstung in Europa. Der Generaldirektor der Österreichischen Bundesbahnen Matthä habe ihm gesagt: „Wir haben Probleme, genügend Waggons zu bekommen, weil es einen Mangel an Stahl gibt. Und der Stahl, der da ist, geht in die Rüstung.“ Die Aufrüstung Europas werde noch weiter voranschreiten, weil die USA sich zurückzögen. Der Kardinal empfahl in dieser Lage die Besinnung auf Gemeinsames.
„Es hilft niemandem, wenn wir verrohen in der Sprache und im Umgang miteinander. Das wird uns nicht weiterbringen. Was war das Rezept nach dem Zweiten Weltkrieg? Der Zusammenhalt. Auch wenn er nicht immer bestens funktioniert hat, hat man gewusst: Aufbauen können wir dieses Land nur gemeinsam. Auch die heutige Krise bewältigen wir nur gemeinsam.“ Das sei auch die Linie von Papst Franziskus in der Kirche und in der Welt.
Schönborn und Bergoglio: Seit 30 Jahren miteinander bekannt
Papst Franziskus habe er Mitte der 1990-er Jahre in Buenos Aires kennengelernt, verriet Kardinal Schönborn. Der Jesuitenpater Bergoglio war damals noch Weihbischof, er habe in Argentinien die Niederlassung der geistlichen „Gemeinschaft vom Lamm“ gefördert, die stark auf die Gemeinschaft mit den Armen orientiert ist und der der Dominikanerkardinal sehr verbunden ist. „So hat es sich ergeben, dass ich zu Franziskus schon vor seiner Wahl eine Beziehung hatte, und die hat sich dann ausgeprägt“, so Schönborn.
Er habe aber auch mit den beiden Vorgängern von Franziskus gut gekonnt. Johannes Paul II. ernannte ihn zum Bischof und Kardinal, während Benedikt XVI. sein Lehrer in Regensburg und langjähriger Wegbegleiter war. Schönborn, der viele Jahre selbst als „papabile“ galt, betonte, er bewundere alle drei Päpste. „Das hat mich aber nicht daran gehindert, bei allen dreien auch da und dort Bauchweh zu haben.“
Genauer wollte er sich dazu auf Nachfrage nicht äußern, er erwähnte aber, dass die „Ostpolitik“ unter Papst Paul VI. ihm mitunter Sorgen gemacht habe. Österreich habe den Kommunismus am Eisernen Vorhang aus unmittelbarer Nachbarschaft erlebt. Die Entspannungspolitik des Heiligen Stuhles im Kalten Krieg war vielleicht „zu blauäugig. Aber wer bin ich, das zu beurteilen?“
Russische Orthodoxie: „Wird wieder bessere Zeiten geben“
Dass der Dialog mit der Russisch-orthodoxen Kirche derzeit brachliegt, bedauert Kardinal Schönborn nach eigenen Angaben sehr. Er habe früher über die in Wien ansässige kirchliche Stiftung Pro Oriente gute Kontakte mit Patriarch Kyrill unterhalten. Die anhaltende russische Attacke auf die Ukraine sei „auch innerhalb der Orthodoxie eine große Wunde“. Trotz der schwierigen Lage zeigte er sich zuversichtlich: „Ich denke, es wird auch wieder bessere Zeiten geben.“
Zölibat und Frauen
Zum Priesterzölibat und zur Rolle der Frau, zwei auch weltkirchlich stark debattierte Themen der katholischen Kirche, wiederholte Schönborn seinen schon öfter erklärten Standpunkt: „Die Möglichkeit, verheiratete Priester zu haben, ist eine Möglichkeit, die es in der Kirche gibt, auch in der katholischen Kirche. Ich habe schon Verheiratete zum Priester geweiht, mit der Erlaubnis von Rom. Und die Frauenfrage ist weltweit sicher eine der brennenden Fragen für die Kirche und für die Gesellschaft insgesamt. Und sie ist nicht vom Tisch. Sie wird auch nicht vom Tisch sein, weil Geschlechtergerechtigkeit ein nach wie vor berechtigtes und notwendiges Thema ist.“
(vatican news)
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