Advent in Kriegszeiten Advent in Kriegszeiten  (AFP or licensors)

Unser Sonntag: Neuanfang!

Zum 2. Advent mahnt Dr. Ralf Rothenbusch, dass ein Neuanfang die innere Umwandlung braucht. Deutlich macht das die poetische Sprache des alttestamentlichen Propheten: Im Inneren sollen Schluchten angefüllt werden, Berge abgetragen…

Dr. Ralf Rothenbusch

2. Adventssonntag: Lk 3,1-6

Hier zum Nachhören

Am letzten Sonntag hat das Evangelium des Lukas von der zweiten Ankunft des Herrn gesprochen, in der biblischen Gestalt des Menschensohns. Heute redet es von der ersten Ankunft Jesu, vom Beginn seines öffentlichen Wirkens.

Die Betrachtung zum Sonntagsevangelium im Video

Einordnung in die Geschichte 

Dass sich das ganz innerhalb der menschlichen Geschichte abspielt, das macht der Evangelist sehr deutlich, wenn er die damit verbundenen Ereignisse, die sich in bescheidenen Verhältnissen und weitab von jedem nach menschlichem Ermessen wichtigen Ort zugetragen haben, ganz konkret in die „große Geschichte“ der Epoche einordnet. Sowohl in die der damaligen Welt – er nennt den Kaiser Tiberius im fernen Rom – als auch in die des Heiligen Landes, seinerzeit unter römischer Herrschaft – mit den Namen des römischen Präfekten, der Söhne des Herodes als lokale Kleinfürsten und der Jerusalemer Hohenpriester:

Da erging in der Wüste...

1 Es war im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius; Pontius Pilatus war Statthalter von Judäa, Herodes Tetrarch von Galiläa, sein Bruder Philippus Tetrarch von Ituräa und der Trachonitis, Lysanias Tetrarch von Abilene; 2 Hohepriester waren Hannas und Kajaphas.
Da erging in der Wüste das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias. 

Johannes tritt auf wie Elija im AT

Ganz ähnlich beginnen Prophetenbücher des Alten Testaments, an deren Anfang das Wort Gottes, das an den Propheten ergeht, mit der Herrschaftszeit israelitischer und judäischer Könige verbunden wird (z.B. Jer 1,1 u.ö.). Johannes gilt den Evangelisten wie ein Prophet Israels. Bei Markus und Matthäus tritt er auf so wie es das Alte Testament über Elija erzählt, gekleidet in einen Mantel aus Tierhaaren, mit einem ledernen Gürtel um seine Hüfte (vgl. 2 Kön 1,8). Was Johannes sagt und tut, das hat Gewicht und kommt von Gott.

Rufer in der Wüste

Und das Wort Gottes ergeht an Johannes „in der Wüste“. Im Gegensatz zu den Bereichen menschlicher Macht, die gerade mit ihren Herrschern so detalliert aufgerufen wurden, ist das nicht nur ein geographischer Ort. Diese Lokalisierung von Johannes‘ Wirken blickt schon auf das Zitat aus dem Jesaja-Buch voraus, das vom „Rufer in der Wüste“ spricht.

„Gott will erneut um Israel werben“

Die biblische Überlieferung schildert, wie Israel nach dem Tiefpunkt seines Ungehorsams am Gottesberg vierzig Jahre lang durch die Wüste zieht – unter dem Geleit und Beistand Gottes – , bis es bereit ist, den Jordan zu durchschreiten, in das ihm von Gott gegebene Land. Als es dort später fremden Göttern nachläuft, spricht der Prophet Hosea davon – mit dem Bild einer Frau, die sich von ihrem Mann abgewandt hat –, dass Gott erneut um Israel werben will. Da heißt es: „Ich werde sie in die Wüste gehen lassen und ihr zu Herzen reden. … Dort wird sie mir antworten wie in den Tagen ihrer Jugend, wie am Tag, als sie aus dem Land Ägypten heraufzog.“ (Hos 2,16f.)

Die Wüste ist ein Ort des Neuanfangs, aber auch der Entscheidung.

Lukas zitiert das Jesajabuch viel ausführlicher als das die Evangelien des Markus und des Matthäus an derselben Stelle tun. Es geht ihm offenbar nicht nur um ein theologisches Stichwort, das Johannes biblisch als Vorläufer des Messias Jesus auszeichnet, sondern er ruft die Botschaft des großen Jerusalemer Propheten umfassender in Erinnerung:


3 Und er (Johannes) zog in die Gegend am Jordan und verkündete dort überall die Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden, 
4 wie im Buch der Reden des Propheten Jesaja geschrieben steht:
Stimme eines Rufers in der Wüste:
Bereitet den Weg des Herrn!
Macht gerade seine Straßen! 
5 Jede Schlucht soll aufgefüllt
und jeder Berg und Hügel abgetragen werden.
Was krumm ist, soll gerade,
was uneben ist, soll zum ebenen Weg werden. 

Jesaja: Wendepunkt im 40. Kapitel

Im Jesajabuch ist das 40. Kapitel ein Wendepunkt. Von da an dominieren in ihm nicht mehr Ansagen des Gerichts, sondern des Heils für Israel.
Und, dieses Kapitel beginnt mit einer eindringlichen Aufforderung Gottes: „Tröstet, tröstet mein Volk! … Redet Jerusalem zu Herzen!“ (Jes 40,1f.) So wie bei Hosea / Gott selbst / Israel in der Wüste zu Herzen redet, um es zurückzugewinnen, soll es nach den katastrophalen Erfahrungen der Zerstörung Jerusalems und des Ersten Tempels nun erfahren, dass es getröstet sein soll.

 Tröstet, tröstet!

Der intensive doppelte Aufruf: Tröstet, tröstet! lässt fast an eine therapeutische Dimension dieser Verkündigung denken. Die Traumata sollen geheilt werden, die tiefen Wunden, die brutale Gewalt, Tod, Zerstörung und Vertreibung hinterlassen haben. Die Grundlage dafür ist: Gott hat Israels Schuld bereits vergeben (Jes 40,2)! Auch Johannes verkündet im Auftrag Gottes „eine Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden“.
Das kommt also zuerst: Gott vergibt die Schuld und macht einen neuen Anfang. Aber wie in jeder Beziehung kann das nicht nur einseitig sein. Es fordert eine Antwort Israels, wie es bei Hosea heißt: „Ich werde sie in die Wüste gehen lassen … Dort wird sie mir antworten.“ (Hos 2,16f.) Den „Weg des Herrn“ zu bereiten – und zwar „in der Wüste“, wie es eigentlich bei Jesaja heißt – das ist eine Aufforderung!

Neuanfang braucht innere Umwandlung

Gerichtet an die Leser und Hörer des Jesaja-Buchs, an die des Lukas-Evangeliums und auch an uns. Für den Neuanfang braucht es eine innere Umwandlung der Menschen: die Umkehr, metánoia, von der Johannes (Lk 3,3.8) und auch Jesus sprechen. Wie radikal diese Umwandlung vorgestellt ist, macht die poetische Sprache des alttestamentlichen Propheten deutlich: Im Inneren sollen Schluchten angefüllt und Berge abgetragen werden, das Höckrige soll zur Ebene und das Bucklige zum Tal werden. Das ist nicht billig. Wenn der Täufer Johannes bei Lukas von den „Früchten“ redet, „die der Umkehr entsprechen“ (Lk 3,8), geht es nicht etwa nur um die pünktliche Erfüllung kultischer Pflichten. Er fordert ein ganz konkretes ethisches Verhalten seiner Zeitgenossen, das dem biblischen Maßstab von Recht und Gerechtigkeit entspricht (Lk 3,10-14).

„Bürokraten der Macht, gefangen in der Logik ihrer eigenen Interessen und vermeintlichen Sachzwänge.“

Dazu bilden die am Anfang des Textes genannten Personen einen unausgesprochenen Kontrast: Sie werden fast alle eine Rolle spielen beim Prozess gegen Jesus und bei seiner Hinrichtung, auch wenn Lukas sie dabei nicht alle namentlich nennt: die Hohenpriester Hannas und Kajaphas, der Landesherr Jesu, Herodes Antipas, der zuständige römische Präfekt Pontius Pilatus – Bürokraten der Macht, gefangen in der Logik ihrer eigenen Interessen und vermeintlichen Sachzwänge.

Nicht vor der Gewalt kapitulieren 

Das lenkt den Blick hierher ins Heilige Land, wo ich diese Gedanken spreche. Ich habe es schon erwähnt und es lässt mich nicht los: In Israel und Palästina, mittlerweile auch darüber hinaus, vor allem im Libanon, herrscht seit über einem Jahr Krieg. Wir erfahren täglich vom Leiden so vieler Opfer von Gewalt und Hass, Tod, Vertreibung und Geißelnahme, von Kindern, Frauen und Männern. Der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Kardinal Pierbattista Pizzaballa, hat Ende Oktober, beim Fest Unserer Lieben Frau, der Königin von Palästina und dem Heiligen Land, dazu aufgerufen, nicht aufzugeben und zu kapitulieren vor der Gewalt des Krieges und dem schier grenzenlosen Hass, der die Herzen vergiftet. Dafür braucht es die sehr aktive Umwandlung des Inneren, von der Lukas mit dem Propheten Jesaja spricht. Sich innerlich nur von Gewalt, Hass und Leiden zu distanzieren, wäre bloße Resignation.

Und alle Menschen werden das Heil Gottes schauen

Wie beim Kommen des Menschensohns im Evangelium des ersten Adventssonntags ist auch die versprochene Rettung durch Gott, von der Lukas im heutigen Sonntags-Evangelium spricht, nicht exklusiv gemeint, nicht für die eine oder die andere Seite gedacht. Angesichts menschlicher Selbstsucht und menschlichen Hasses ist das kaum zu glauben:

Und alle Menschen werden das Heil Gottes schauen.

(Radio Vatikan - Redaktion Claudia Kaminski)

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07. Dezember 2024, 10:30