Papst am Welttag der Armen: „Gott wird uns fragen, ob wir Gutes getan haben“
„Wie gerne hätte ich eine arme Kirche, und für die Armen!“ Das war eine der ersten spontanen Äußerungen dieses Papstes kurz nach seiner Wahl im März 2013. Mittlerweile hat Franziskus begonnen, der Kirche in dieser Hinsicht seinen Stempel aufzudrücken; wohl auch noch in hundert Jahren wird man im liturgischen Jahreslauf diesen Welttag der Armen feiern, den er letztes Jahr (als Erbe des von ihm durchgeführten „Heiligen Jahres der Barmherzigkeit“) eingeführt hat.
Bei der Predigt des Papstes schien es anfangs, als hätte ihm Martin Luther die Feder geführt: „Wir sind Bettler, das ist wahr“, sollen die letzten Worte des Reformators vor seinem Tod 1546 gelautet haben, und „Wir sind alle Bettler“ sagte auch Franziskus an diesem Sonntag: „Bettler des Unabdingbaren, Bettler der Liebe Gottes“. „Deswegen strecken wir ihm auch heute unsere Hand entgegen, um seine Gaben zu empfangen.“
Von Gaben spricht das Evangelium dieses Sonntags: Es ist das Gleichnis Jesu vom Herrn, der seinen Dienern während seiner Abwesenheit unterschiedlich viele Talente hinterlässt und erwartet, dass sie damit gut umgehen.
„Zunächst einmal sehen wir: wir haben Talente, in den Augen Gottes sind wir „talentiert“. Deswegen kann niemand sich für unnütz halten, niemand kann von sich sagen, er sei so arm, dass er nicht irgendetwas den anderen geben könnte. Wir sind von Gott erwählt und gesegnet. Er möchte uns mit seinen Gaben überhäufen, mehr noch als ein Papa oder eine Mamma dies für ihre Kinder tun möchten.“
Wir alle sind Bettler, wir alle sind „talentiert“, Gott lässt keines seiner Kinder „aus den Augen“ – soweit der Einstieg des Papstes. Doch dann kam er zum Unbequemen, zum Sperrigen dieses Gleichnisses, nämlich zur Unzufriedenheit des Herrn mit dem Diener, der mit seinen Talenten nicht gewuchert, sondern sie stattdessen einfach vergraben hat. Was denn das Üble an diesem Diener sei, fragte Franziskus – und gab sich selbst die Antwort: „das Unterlassen“.
„Das Schlechte an ihm war, dass er das Gute nicht getan hat. Auch wir meinen oft, wir hätten nichts Schlechtes getan, und geben uns damit zufrieden. Wir meinen, wir seien gut und gerecht. So aber laufen wir Gefahr, uns wie der schlechte Diener zu verhalten: Auch er hat nichts Böses getan, er hat das Talent nicht verloren, er hat es sogar gut bewahrt unter der Erde. Aber es reicht eben nicht aus, nichts Böses zu tun.“
Gott sei nämlich – und das ist eine für diesen Papst sehr typische Formulierung – „kein Kontrolleur, der nach nicht abgestempelten Fahrkarten fahndet“. Nein, er sei „ein Vater auf der Suche nach Kindern, denen er seine Güter und seine Pläne anvertrauen kann“. „Und es ist traurig, wenn der liebevolle Vater keine großzügige Antwort der Liebe von seinen Kindern erhält, und diese sich allein darauf beschränken, die Regeln zu respektieren und die Gebote zu erfüllen wie die bezahlten Knechte im Haus des Vaters“.
Gott will, dass wir unsere Talente nicht „eifersüchtig bei uns behalten“, sondern dass wir sie „teilen“ und „vervielfältigen“, fuhr Franziskus fort. Wer sich nur aufs Verwalten und Verwahren beschränke, der sei „Gott nicht treu“. „Das Gleichnis sagt uns vielmehr, dass derjenige wirklich treu ist, der neue Talente hinzugewinnt, weil er die gleiche Mentalität hat wie Gott und nicht unbeweglich bleibt: Er riskiert etwas um der Liebe willen, er setzt sein Leben aufs Spiel für andere, er gibt sich nicht damit zufrieden, alles so zu belassen, wie es ist.“
Das Unterlassen sei auch „die große Sünde gegenüber den Armen“, mahnte Franziskus. Man nenne sie: „Gleichgültigkeit“. „Sie besteht darin zu sagen: „Das betrifft mich nicht, das geht mich nichts an, da ist die Gesellschaft schuld“. Sie besteht darin, sich abzuwenden, wenn der Bruder in Not ist, sie besteht darin, das Fernsehprogramm zu wechseln, sobald ein ernstes Thema uns belästigt, oder auch darin, sich über das Schlechte zu entrüsten ohne etwas dagegen zu tun. Gott aber wird uns einmal nicht fragen, ob wir zurecht entrüstet waren, sondern danach, ob wir Gutes getan haben.“
Damit blätterte der Papst sozusagen eine Seite weiter im Evangelium: Denn gleich nach dem Tagesevangelium dieses Sonntags findet sich bei Matthäus die berühmte Rede Jesu über das Jüngste Gericht, mit den Worten: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan (Mt 25,40).
„Diese von ihm bevorzugten geringsten Brüder, sind der Hungernde und der Kranke, der Fremde und der Gefangene, der Arme und der Verlassene, der hilflos Leidende und der Ablehnung erfahrende Bedürftige. Auf ihren Gesichtern können wir uns sein Angesicht eingezeichnet vorstellen, aus ihren, wenn auch vom Schmerz verschlossenen, Lippen können wir seine Worte vernehmen: Das „ist mein Leib“ (Mt 26,26).“
Ein theologisch aufregender Gedanke, den Papst Franziskus immer wieder einmal vorbringt: Begegnung mit den Armen ist Eucharistie, ist also Begegnung mit dem „Leib“, mit dem „Fleisch“ Christi. Das Berühren der Armen ist für diesen Papst „Kommunion“. Damit findet Eucharistie also nicht nur in unseren Kirchen statt, sondern auf den Straßen dieser Welt.
„In den Armen klopft Jesus dürstend nach unserer Liebe an die Tür unseres Herzens. Wenn wir die Gleichgültigkeit besiegen und uns im Namen Jesu für seine Brüder und Schwestern verwenden, sind wir seine guten und treuen Freunde, bei denen er gerne verweilt... Dort in den Amen zeigt sich die Gegenwart Jesu, der reich war und unseretwegen arm wurde (vgl. 2 Kor 8,9). Deswegen liegt in ihnen, in ihrer Schwäche, eine „Heilkraft“. Und auch wenn sie in den Augen der Welt wenig Ansehen genießen, so sind sie doch die, die uns den Weg zum Himmel öffnen, sie sind unser „Reisepass für das Paradies“.“
Es sei die „evangeliumsmäßige Pflicht“ aller Christen, sich der Armen anzunehmen, drängte Franziskus: Sie seien „unser wahrer Reichtum“. Wir sollten ihnen nicht nur „Brot geben“, sondern auch „mit ihnen das Brot des Wortes teilen, dessen natürlichste Empfänger sie sind“.
„Den Armen zu lieben heißt, gegen alle Armut zu kämpfen, sowohl gegen die geistigen als auch gegen die materiellen Nöte. Und das wird auch uns guttun. Die Nähe zu denen, die ärmer sind als wir, wird unser Leben nicht unberührt lassen. Wir werden erinnert an das, was wirklich zählt: Gott zu lieben und den Nächsten. Nur dies hat Bestand für immer, der Rest vergeht und deswegen bleibt nur das, was wir in die Liebe investieren.“
An den Schluss seiner Predigt stellte der Papst eine Gewissenserforschung.
„Was zählt für mich in meinem Leben, wo investiere ich? In den Reichtum, der vergeht und von dem die Welt nie genug haben kann, oder in den Reichtum Gottes, der das ewige Leben schenkt? Wir stehen vor dieser Entscheidung: leben, um hier auf Erden zu haben, oder geben, um den Himmel zu verdienen. Denn für den Himmel zählt nicht, was man hat, sondern was man gibt. Wer „für sich selbst Schätze sammelt, [ist] aber bei Gott nicht reich“ (Lk 12,21).“
Wenn wir „nicht den Überfluss für uns“ suchten, „sondern das Wohl der anderen“, dann werde uns „nichts Wertvolles fehlen“, insistierte Franziskus. „Der Herr, der Mitleid hat mit unserer Armut und uns mit seinen Talenten ausstattet, schenke uns die Weisheit, das zu suchen, was wirklich zählt, und den Mut, nicht mit Worten zu lieben, sondern mit Taten.“
(rv 19.11.2017 sk)
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