Papstbuch: Es gibt keine Christen zweiter Klasse
„In einigen Ländern und Ortskirchen scheint es ein gewisses Überlegenheitsgefühl zu geben – aber wenn man dann auf ihre konkrete Geschichte schaut, erkennt man, dass da auch nicht alles Gold ist, was glänzt.“ Das schreibt Franziskus im Vorwort zu einem Interviewband mit ihm zum Thema Lateinamerika; das Buch wurde jetzt in seiner Heimat Argentinien auf Spanisch veröffentlicht.
Schon im ersten Satz des Vorworts kommt der Papst unverblümt mit der Statistik: Berücksichtige man auch USA und Kanada, dann müsse man zur Kenntnis nehmen, dass Amerika „fast die Hälfte der Katholiken“ weltweit stellt. „Ich sehe, dass es manchen Mühe macht, zu begreifen, dass es in der Kirche nicht Regionen erster oder zweiter Klasse gibt“, fährt der erste Papst aus Lateinamerika fort. Auch Länder „mit weniger wirtschaftlicher Entwicklung“ könnten in kirchlicher Hinsicht durchaus „einen Reichtum an Kultur und Werten“ aufweisen: „Dass ihre Logik eine andere ist, dass ihre Ausdrucksform der Wahrheit eine andere ist, bedeutet nicht, dass sie minderwertige Christen wären.“
Volksfrömmigkeit nicht wie Aschenputtel behandeln
In den Gesprächen, die Franziskus für das Buch mit einem argentinischen Journalisten geführt hat, geht er zunächst auf die Generalkonferenz ein, die lateinamerikanische Bischöfe unter seiner Beteiligung vor zehn Jahren im brasilianischen Wallfahrtsort Aparecida gehalten haben. Von den Beschlüssen von Aparecida habe Lateinamerikas Kirche „den über die seelsorgliche Umkehr“ am wenigsten umgesetzt: „Da ist sie noch sehr auf halbem Weg“, vor allem wegen des „in Lateinamerika sehr starken Klerikalismus“. Auch die Volksfrömmigkeit dürfe nicht länger „wie Aschenputtel behandelt“ werden.
Der Papst präzisiert, dass seine Forderung, die Kirche solle „an die Peripherien gehen“, nicht nur geografisch oder soziologisch zu verstehen ist. „Es gibt auch Peripherien des Denkens“, mit denen sich die Auseinandersetzung lohne. „Wir sollten keine Angst haben, mit jemandem zu sprechen, der auf andere Weise denkt.“ Für ihn selbst sei kürzlich die Beschäftigung mit dem Denken des 2016 verstorbenen polnischen Soziologen Zygmunt Bauman sehr fruchtbar gewesen.
Die Frauenfrage: Gegen den Machismo im Rock
Zur Rolle von Frauen in der Kirche bemerkt Franziskus, man dürfe die Debatte nicht „mit Blick auf Ämter instrumentalisieren“: „Das ist gefährlich und verformt die Wirklichkeit.“ Stattdessen müsse sich die Kirche, hier dem Schweizer Theologen Hans Urs von Balthasar folgend, neu bewusstmachen, dass sie „eine doppelte Mission“ habe, nämlich „die des Petrus und die der Maria, die mütterliche, die weibliche Mission“. „Das alleinige Fordern von Ämtern mindert die Frau herab und kann zu einer Art Machismo im Rock werden. Wenn man zu einer Frau sagt: Ja, wir werden dir erlauben, dass du dasselbe machen kannst wie die Männer. – Und damit zerstört ihr die Kirche. Das ist nicht die Kirche… Man muss den Machismo im Rock vermeiden und darf die Rolle der Frau in der Kirche nicht funktionalisieren.“
Mit Blick auf die Bischofssynode zum Thema Jugend im Herbst 2018 sagt der Papst, zu jungen Leuten müsse man „in ihrer eigenen Sprache sprechen“. „Die Sprache ändert sich, und man muss die Sprache benutzen, die er verstehen kann.“ Er wisse, dass Kritiker manche seiner Äußerungen für zu salopp hielten: „Die sagen, dass ich ein bisschen wie auf der Straße rede. Ich bemühe mich, da nicht zu weit zu gehen.“ Dass er der Staatsmann mit den meisten Followern auf Twitter sei, bedeute ihm nicht viel, gibt Franziskus zu verstehen. „Es ist seltsam. Ich kann nicht mitmachen bei diesem Spiel.“
In der Welt gibt es nicht nur die Wahrheit
Der Papst verwahrt sich in dem Gesprächsband dagegen, ein Populist zu sein. Anhänger „ultraliberaler Projekte“ stellten heute „jeden, der versucht, die Rechte der Schwächsten zu verteidigen“, mit „deutlich negativem Unterton“ als Populisten hin. „Zu fordern, dass alle mit ihrer Arbeit die Möglichkeit zu einem Leben in Würde haben sollten, kann doch nicht als populistisch gekennzeichnet werden – es sei denn, wir sprechen aus der Perspektive eines extremen ideologischen Liberalismus.“
Franziskus warnt die Kirche, auf das Predigen angesprochen, davor, zu sehr auf dem Thema Wahrheit zu bestehen. „In der Welt gibt es nicht nur die Wahrheit – das ist nicht menschlich. Was einem Menschen Einheit gibt, ist seine Fähigkeit, die Wahrheit zu erkennen, das Gute zu lieben und das Schöne zu betrachten. Das sind die drei transzendenten Elemente des Seins: das Wahre, Schöne, Gute. Und so geschieht die Einheit. Also, wenn du dich menschlich ausdrücken willst, dann tue es mit diesen drei transzendenten Elementen des Seins.“
Mehr tun für die Demokratie
Ohne einzelne Länder (Venezuela wäre ein Kandidat gewesen) namentlich zu erwähnen, betont der Papst: „Eine der Pflichten des lateinamerikanischen Katholiken heute besteht darin, die Demokratie zu stärken. Denn wenn man es nicht pflegt, dann erlebt dieses wie jedes politische System einen Niedergang.“ In einigen Ländern gebe es „nur noch eine nominelle, keine reale Demokratie“ mehr, und zwar „wegen Korruption oder wegen einer Verwirrung zwischen den einzelnen Gewalten – weil sie untereinander nicht hinreichend getrennt sind, oder weil eine die Oberhand über andere gewinnt“.
Auf seine Enzyklika Laudato si‘ zur Bewahrung der Schöpfung angesprochen sagt Franziskus, das sei „keine grüne Enzyklika“. „Nein, es ist eine soziale Enzyklika. Sie richtet sich auf das Soziale. Sie drückt die unauflösliche Beziehung zwischen Umweltschutz und sozialer Gerechtigkeit aus – denn alles hängt mit allem zusammen.“
Über die wachsende Zahl von Latinos in den USA sagt der Papst, Einwanderung sei „ein Segen, wenn man den Einwanderern hilft, sich zu integrieren“. Für eine Gesellschaft bedeute das „eine Aufforderung zum Wachstum“. „Viele in den USA anerkennen diesen Beitrag durch die lateinamerikanische Einwanderung- andere nicht so sehr.“
(sk)
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