Die Papstansprache beim Besuch im Frauengefängnis
Liebe Schwestern und Brüder,
danke, danke, danke für das, was ihr getan habt, und danke für die Gelegenheit, die ihr mir gebt, euch zu besuchen, denn für mich ist es wichtig, diese Zeit mit euch zu verbringen und den vielen Geschwistern noch näher zu sein, die zur Zeit unter Freiheitsentzug leben. Ich danke Sr. Nelly für ihre Worte und insbesondere für das Zeugnis, dass das Leben immer über den Tod siegt, immer. Danke, Janeth, dafür, dass du den Mut gefasst hast, mit uns allen deine Schmerzen zu teilen, und für diese tapfere Vergebungsbitte. Wie viel haben wir von dieser deiner Haltung zu lernen, die voll von Mut und Demut ist! Ich zitiere dich: »Wir bitten alle um Vergebung, die wir mit unseren Straftaten geschädigt haben«. Danke, dass du uns diese Haltung in Erinnerung rufst, ohne die wir entmenschlichen, wir alle müssen um Vergebung bitten, ich als Erster, alle. Dies macht uns menschlich. Ohne diese Haltung, um Vergebung zu bitten, verlieren wir das Bewusstsein, dass wir uns verfehlen und dass wir uns verfehlen können und dass wir jeden Tag eingeladen sind, auf die eine oder andere Weise neu zu beginnen.
Nun habe ich den Satz Jesu im Herzen: »Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie« (Joh 8,7). Und wisst ihr, was ich oft in den Predigten sage, wenn ich darüber spreche, dass wir alle etwas in uns tragen, entweder aus Schwäche oder weil wir immer fallen oder weil wir es ganz versteckt halten? Ich sage den Leuten: „Also, wir alle sind Sünder, wir alle haben Sünden. Ich weiß es nicht: Gibt es hier jemanden, der ohne Sünde ist? Er erhebe die Hand.“ Keiner hat den Mut, die Hand zu erheben. Er, Jesus, lädt uns dazu ein, von der einseitigen Logik zu der Aufteilung der Wirklichkeit in Gute und Böse zu lassen, um in diese andere Dynamik einzutreten, die die Zerbrechlichkeit, die Grenzen einschließlich der Sünde auf sich nehmen kann, um uns zu helfen und weiterzugehen.
Als ich eintrat, erwarteten mich die Mütter mit ihren Kindern. Sie hießen mich willkommen und wie gut kann man dies in zwei Worten ausdrücken: Mutter und Kinder.
Mutter: viele von euch sind Mütter und wissen, was es bedeutet, ein Leben zur Welt zu bringen. Ihr konntet in euren Schoß ein Leben „austragen“ und es zur Welt zu bringen. Die Mutterschaft ist und wird niemals ein Problem sein, sie ist eine Gabe, sie ist eines der wunderbarsten Geschenke, das ihr haben könnt. Und heute steht ihr vor einer sehr ähnlichen Herausforderung: Es geht auch darum, das Leben zur Welt zu bringen. Heute werdet ihr aufgefordert, die Zukunft zur Welt zu bringen. Dass ihr sie wachsen lasst, dass ihr ihr helft, sich zu entwickeln. Nicht nur für euch, sondern für eure Kinder und die ganze Gesellschaft. Ihr, die Frauen, habt eine unglaubliche Fähigkeit, euch an die Situationen anzupassen und voranzugehen. Ich wollte heute an diese Fähigkeit zur Zukunftsgestaltung appellieren, die Fähigkeit zur Zukunftsgestaltung, die einer jeden von euch innewohnt. Diese Fähigkeit ermöglicht gegen die vielen Arten des „versachlichenden“ Determinismus – er macht nämlich die Menschen zu einer Sache und tötet am Ende die Hoffnung – zu kämpfen. Lassen wir nicht zu, dass wir „versachlicht“ werden: Ich bin keine Nummer, ich bin nicht der/die Gefangene Nummer soundso, ich bin Herr/Frau X und trage Hoffnung, weil ich Hoffnung hervorbringen will.
Der Freiheit beraubt zu sein ist, wie es uns Janeth gut gesagt hat, nicht gleichbedeutend mit dem Verlust von Träumen und Hoffnungen. Es ist wahr, es ist sehr hart, es ist schmerzhaft, aber es bedeutet nicht, die Hoffnung zu verlieren, es bedeutet nicht, aufhören zu träumen. Der Freiheit beraubt zu sein ist nicht das Gleiche, wie der Würde beraubt zu sein, nein, es ist nicht das Gleiche. Die Würde wird bei niemandem angetastet, sie wird geachtet, bewahrt, liebkost. Niemand kann der Würde beraubt werden. Ihr seid der Freiheit beraubt. Von daher ist es notwendig, gegen jede Art von Korsett, von Etikette zu kämpfen, die sagt, dass man nichts ändern kann oder es sich nicht lohnt oder dass alles gleichgültig ist. Wie der argentinische Tango sagt: „Los, weiter so, denn es ist alles egal, denn dort im Feuer werden wir uns wieder treffen …“ Es ist nicht alles gleichgültig, es ist nicht alles gleichgültig. Liebe Schwestern, nein! Es ist nicht alles gleichgültig. Jede Mühe, die man auf sich nimmt, um für ein besseres Morgen zu kämpfen, auch wenn sie oftmals erfolglos scheint, wird immer Frucht tragen und belohnt werden.
Das zweite Wort ist Kinder – das heißt, Söhne und Töchter: Sie sind Kraft, Hoffnung, Ansporn. Sie sind die lebendige Erinnerung, dass das Leben vorwärts und nicht rückwärts ausgerichtet ist. Heute seid ihr eurer Freiheit beraubt, dies bedeutet nicht, dass diese Situation das Ende ist. Keineswegs! Immer auf den Horizont blicken, vorwärts, der Wiedereingliederung in das gängige gesellschaftliche Leben entgegen. Eine Verurteilung ohne Zukunft ist keine menschliche Verurteilung, es ist eine Folter. Jede Strafe, die einer verbüßt, um gegenüber der Gesellschaft eine Schuld wiedergutzumachen, muss einen Horizont haben, das heißt den Horizont, sich erneut wiedereinzugliedern und sich auf eine Wiedereingliederung vorzubereiten. Verlangt dies von euch selbst und von der Gesellschaft. Schaut immer auf den Horizont, vorwärts, der Wiedereingliederung in das gängige gesellschaftliche Leben entgegen. Deshalb begrüße ich es und lade dazu ein, alle möglichen Bemühungen zu intensivieren, damit Projekte wie Espacio Mandela und die Fundación Mujer levántate wachsen können und gestärkt werden.
Der Name der Stiftung lässt mich an die Stelle aus dem Evangelium denken, wo viele Jesus auslachen, weil er sagte, dass die Tochter des Synagogenvorstehers nicht gestorben sei, sondern nur schlafe. Sie machten sich über ihn lustig, sie lachten ihn aus. Die Haltung Jesu angesichts des Spottes ist paradigmatisch: Als er bei dem Mädchen eintrat, nahm er sie an der Hand und sprach zu ihr: »Mädchen, ich sage dir, steh auf!« (Mk 5,41). Für alle war es tot, für Jesus nicht. Derartige Initiativen sind lebendiges Zeichen für diesen Jesus, der in das Leben eines jeden von uns eintritt, der über jeden Spott hinweggeht, der keine Schlacht für verloren gibt und uns an den Händen nimmt und uns einlädt aufzustehen. Wie gut, dass es Christen, dass es Menschen guten Willens gibt, dass es Menschen jedweder Glaubensrichtung, jedweder religiöser Lebensentscheidung gibt oder Menschen, die nicht religiös, aber guten Willens sind, die alle den Spuren Jesu folgen und sich entscheiden, einzutreten und Zeichen dieser ausgestreckten Hand zu sein, die aufrichtet. Ich bitte dich darum: Steh auf! Immer aufstehen.
Wir alle wissen, dass die Haft oftmals leider als Bestrafung gedacht oder darauf beschränkt werden kann, ohne angemessene Mittel anzubieten, um Prozesse in Gang zu setzen. Es ist das, was ich euch über die Hoffnung sagte: vorwärts schauen, Prozesse der Wiedereingliederung anstoßen. Dies muss euer Traum sein: die Wiedereingliederung. Und wenn der Weg lang scheint, das Bestmögliche tun, damit er kürzer werde – aber immer der Wiedereingliederung entgegen. Die Gesellschaft hat die Pflicht, die Pflicht, euch alle wiedereinzugliedern. Wenn ich Wiedereingliederung sagte, meine ich damit jede Einzelne, jede Einzelne mit dem persönlichen Prozess der Wiedereingliederung, die eine auf einem Weg, die andere auf einem anderen, die eine länger, die andere kürzer, aber es ist eine Person, die der auf dem Weg der Wiedereingliederung ist. Und setzt euch das in den Kopf und verlangt es. Das heißt es, einen Prozess anzustoßen. Im Gegenzug sind diese Initiativen, die Programme zur Arbeitsbefähigung und Begleitung zur Wiederaufnahme von Beziehungen fördern, Zeichen der Hoffnung und der Zukunft. Helfen wir, damit sie wachsen. Die öffentliche Sicherheit sollte nicht auf Maßnahmen größerer Kontrolle beschränkt werden, sondern sie sollte mit präventiven Vorkehrungen, mit Arbeit, Bildung und mehr Gemeinschaft gestärkt werden.
Ich möchte sagen, dass ich mit diesen Gedanken euch alle gerne segne und ebenso die pastoralen Mitarbeiter, die Volontäre, das Personal und auf besondere Weise die Polizeibeamten und ihre Familien. Ich bete für euch. Ihr habt eine heikle und komplexe Aufgabe, und deshalb lade ich die Verantwortungsträger ein, die notwendigen Bedingungen für euch zu schaffen, um eure Arbeit mit Würde verrichten zu können. Würde, die Würde hervorbringt. Die Würde steckt an, sie ist ansteckender als die Grippe, die Würde steckt an, die Würde bringt Würde hervor.
Maria ist Mutter, und wir sind ihre Söhne, ihr seid ihre Töchter. Sie wollen wir bitten, dass sie für euch Fürsprache einlege, für jedes ihrer Kinder, für die Personen, die euch am Herzen liegen, und über sie alle ihren Mantel ausbreite. Und, bitte, betet für mich, ich brauche es. Danke.
Und diese Blumen, die ihr mir geschenkt habt, werde ich der seligen Jungfrau im Namen von euch allen bringen. Nochmals danke!
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