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Der Papst in Chile Der Papst in Chile 

Die Papstansprache vor Vertretern von Staat und Regierung

Die erste Ansprache von Papst Franziskus in Chile, gehalten im Sitz der Staatspräsidentin La Moneda bei der Begegnung mit Vertretern von Staat und Gesellschaft sowie mit dem diplomatischen Corps.

Frau Präsidentin,
verehrte Mitglieder der Regierung der Republik und des Diplomatischen Corps,
sehr geehrte Verantwortungsträger und Vertreter des öffentlichen Lebens,
meine Damen und Herren,

es ist mir eine Freude, erneut auf lateinamerikanischen Boden zu weilen und den Besuch in diesem geliebten Land Chile zu beginnen, das mich in meiner Jugend beheimatet und geformt hat. Ich möchte, dass dieser Aufenthalt bei Ihnen auch eine Gelegenheit sei, für so viel Gutes zu danken, das ich hier erhalten habe. Mir kommt wieder jene Strophe Ihrer Nationalhymne in den Sinn: »Rein ist, Chile, dein Himmel, der blaue, / sanfte Lüfte durchweh’n dein Gefild’. Deine Äcker und blumigen Aue / sind fürwahr Edens glückliches Bild.« Es ist ein wahrer Lobgesang auf das Land, das Sie bewohnen. Es ist randvoll mit Hoffnungen und Herausforderungen, aber insbesondere erfüllt von Zukunft.

Danke, Frau Präsidentin, für die Begrüßungsworte, die Sie an mich gerichtet haben. In Ihrer Person möchte ich das chilenische Volk begrüßen und umarmen, von der Region Arica und Parinacota im äußersten Norden bis zum südlichen Archipel »und seiner Zersplitterung in Halbinseln und Kanälen«. Die geographische Verschiedenheit und der Reichtum Ihres Landes lässt uns die Vielfalt der kulturellen Polyphonie erahnen, die Sie auszeichnet.

Ich danke den Mitgliedern der Regierung, den Präsidenten des Senats, der Abgeordnetenkammer und des Obersten Gerichtshofs für ihre Anwesenheit, ebenso den anderen staatlichen Verantwortungsträgern und ihren Mitarbeitern. Ich grüße hier den neu gewählten Präsidenten, Herrn Sebastián Piñera Echenique, der kürzlich vom chilenischen Volk den Auftrag erhalten hat, die Geschicke des Landes für die nächsten vier Jahre zu leiten.

Chile hat sich in den letzten Jahrzehnten durch die Entwicklung einer Demokratie hervorgetan, die ihm einen nachhaltigen Fortschritt beschert hat. Die jüngsten politischen Wahlen haben die Festigkeit und die gesellschaftliche Reife gezeigt, die das Land erreicht hat. Das erhält eine besondere Bedeutung in diesem Jahr, in dem der 200. Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung begangen wird. Es war ein sehr wichtiger Moment, weil er Ihr Geschick als ein auf Freiheit und Recht gegründetes Volk kennzeichnete. Es sollte jedoch verschiedene turbulente Phasen durchmachen, die es – nicht ohne Schmerzen – zu überstehen vermochte. Auf diese Weise konnten Sie den Traum Ihrer Gründerväter festigen und bestärken.

Diesbezüglich erinnere ich an die bedeutungsvollen Worte von Kardinal Silva Henríquez, der bei einem Te Deum sagte: »Wir alle sind Erbauer des schönsten Werkes, des Vaterlands. Das irdische Vaterland kündigt das Vaterland ohne Grenzen an und bereitet es vor. Jenes Vaterland beginnt nicht im Heute mit uns. Aber es kann nicht ohne uns wachsen und Frucht bringen. Daher wollen wir es mit Achtung und Dankbarkeit empfangen, wie eine Aufgabe, die vor vielen Jahren begonnen hat, wie eine Erbschaft, die uns stolz macht und zugleich verpflichtet«.

Jede Generation muss sich die Kämpfe und die Errungenschaften der früheren Generationen zu eigen machen und sie zu noch höheren Zielen führen. Das Gute, ebenso wie die Liebe, die Gerechtigkeit und die Solidarität erlangt man nicht ein für alle Male; sie müssen jeden Tag neu errungen werden. Unmöglich kann man sich mit dem zufrieden geben, was man in der Vergangenheit erreicht hat, und dabei verweilen, es zu genießen, als würden wir nicht merken, dass viele unserer Brüder und Schwestern unter Situationen der Ungerechtigkeit leiden, die uns alle angehen.

Sie haben demnach eine große und spannende Aufgabe vor sich: weiter dafür zu arbeiten, dass die Demokratie, der Traum Ihrer Vorfahren, über die formalen Aspekte hinaus wirklich ein Ort der Begegnung für alle ist. Dass sie ein Ort ist, in dem sich alle – ohne Ausnahme – aufgerufen fühlen, ein Haus, eine Familie und eine Nation zu errichten. Ein Ort, ein Haus, eine Familie, genannt Chile: großherzig, gastfreundlich – ein Land, das mit Liebe auf seine Geschichte schaut, sich für das Zusammenleben in der Gegenwart einsetzt und mit Hoffnung in die Zukunft blickt. Es tut uns gut, hier die Worte des heiligen Alberto Hurtado zu bedenken: »Mehr als durch ihre Grenzen, mehr als ihre Landschaften, Gebirgsketten und Meere, mehr als ihre Sprache und ihre Traditionen ist eine Nation eine Sendung, die es zu erfüllen gilt«. Sie ist Zukunft. Und diese Zukunft liegt großenteils in der Fähigkeit des Zuhörens, über die das Volk und seine Verantwortungsträger verfügen.

Einer solchen Fähigkeit des Zuhörens kommt in dieser Nation eine hohe Bedeutung zu. Denn hier muss die ethnische, kulturelle und historische Pluralität vor jedem Versuch einer Parteinahme oder Vormachtstellung geschützt werden und vielmehr unsere Fähigkeit zur Geltung bringen, ausschließende Dogmatismen abzulegen und sich dem Gemeinwohl unvoreingenommen zu öffnen (das nie ein Gut wird, wenn es nicht einen gemeinschaftlichen Charakter hat). Man muss zuhören: den Arbeitslosen zuhören, die ihre Familien nicht in der Gegenwart und noch weniger in der Zukunft versorgen können; den autochthonen Völkern zuhören, die oft vernachlässigt wurden. Ihre Rechte müssen beachtet und ihre Kultur geschützt werden, damit nicht ein Teil der Identität und des Reichtums dieser Nation verloren geht. Man muss den Migranten zuhören, die an die Türen diese Landes klopfen auf der Suche nach einem besseren Leben, doch ebenso mit der Kraft und der Hoffnung, eine bessere Zukunft für alle zu schaffen. Man muss den jungen Menschen zuhören in ihrem Streben, bessere Chancen zu erhalten – besonders auf dem Gebiet der Bildung – und sich so als Hauptakteure des Chile, von dem sie träumen, zu fühlen. Sie sind unbedingt vor der Geißel der Droge zu schützen, die ihnen das Beste ihres Lebens wegnimmt. Auch den älteren Menschen ist Gehör zu schenken mit ihrer so notwendigen Weisheit und der Last ihrer Gebrechlichkeit. Wir dürfen sie nicht allein lassen. Wir müssen den Kindern zuhören, die sich mit ihren Augen voll von unschuldigem Staunen der Welt zuwenden und von uns echte Antworten für eine Zukunft in Würde erwarten. Und hier kann ich nicht umhin, den Schmerz und die Scham zum Ausdruck zu bringen, die ich angesichts des nicht wieder gutzumachenden Schadens empfinde, der Kindern von Geistlichen der Kirche zugefügt worden ist. Ich möchte mich mit den Mitbrüdern im Bischofsamt vereinen; denn es ist recht, um Verzeihung zu bitten und mit allen Kräften die Opfer zu unterstützen. Zugleich müssen wir uns dafür einsetzen, dass sich dies nicht wiederholt.

Mit dieser Fähigkeit des Zuhörens sind wir eingeladen – heute in besonderer Weise –, eine vorrangige Aufmerksamkeit unserem gemeinsamen Haus zu widmen: eine Kultur wachsen zu lassen, die sich der Sorge um die Erde anzunehmen weiß und die sich diesbezüglich nicht zufrieden gibt, nur spezifische Antworten auf die auftretenden schweren Öko- und Umweltprobleme zu geben. Hier ist eine Kühnheit gefordert, die »einen anderen Blick« schenkt, »ein Denken, eine Politik, ein Erziehungsprogramm, einen Lebensstil und eine Spiritualität, die einen Widerstand gegen den Vormarsch des technokratischen Paradigmas bilden«, eines Paradigmas, das das Eindringen mächtiger wirtschaftlicher Interessen in unsere natürlichen Ökosysteme und folglich in das Gemeinwohl unserer Völker privilegiert. Die Weisheit der autochthonen Völker kann hier einen großen Beitrag liefern. Von ihnen können wir lernen, das es keine Entwicklung für ein Volk gibt, das der Erde den Rücken kehrt und allem und allen, die sie umgeben. Chile besitzt in seinen eigenen Wurzeln eine Weisheit, die dazu beitragen kann, über eine rein konsumistische Lebensauffassung hinauszugehen und eine weisheitliche Haltung gegenüber der Zukunft anzunehmen.

Die chilenische Seele äußert sich als Berufung zum Sein, als jener störrische Wille zum Leben. Eine Berufung, zu der alle aufgefordert sind und der gegenüber sich keiner ausgeschlossen oder entbehrlich fühlen kann. Eine Berufung, die eine radikale Option für das Leben verlangt, besonders in allen Formen, wo es bedroht wird.

Nochmals danke ich für die Einladung, hierherzukommen und Ihnen zu begegnen, der Seele dieses Volkes. Ich bete darum, dass Unsere Liebe Frau vom Berge Karmel, die Mutter und Königin Chiles, diese gesegnete Nation weiter begleite und ihre Träume Wirklichkeit werden lässt.

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16. Januar 2018, 12:30