Die Papstpredigt in Campo Lobito bei Iquique
»So tat Jesus sein ersten Zeichen, in Kana in Galiläa« (Joh 2,11).
Damit endet das eben gehörte Evangelium, welches uns das Auftreten Jesu in der Öffentlichkeit vor Augen führt – und das bezeichnenderweise im Rahmen eines Festes stattfindet. Das kann auch gar nicht anders sein, da doch das Evangelium eine dauerhafte Einladung zur Freude ist. Schon ganz am Anfang sagt der Engel zu Maria: »Chaire – Freue dich!« (Lk 1,28). Freut euch, sagte er zu den Hirten; freue dich, sagte er zu Elisabeth, einer alten und unfruchtbaren Frau ...; freue dich, sprach Jesus zu dem Verbrecher, denn heute noch wirst du mit mir im Paradies sein (vgl. Lk 23,43).
Die Botschaft des Evangeliums ist ein Quell der Freude: »Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird« (Joh 15,11). Eine Freude, die sich ausbreitet von Generation zu Generation und deren Erben wir sind. Weil wir Christen sind.
Wie gut ihr das wisst, liebe Brüder und Schwestern in Nordchile! Wie gut ihr es doch versteht, den Glauben und das Leben in einer Atmosphäre des Festes zu leben! Ich komme als Pilger, um mit euch diese schöne Weise des Glaubenslebens zu feiern. Eure Patronatsfeste, eure religiösen Tänze – die sich manchmal über eine Woche erstrecken –, eure Musik und eure Kleidung machen diese Gegend zu einem Heiligtum der Volksfrömmigkeit und -spiritualität. Denn eure Feste bleiben nicht im Inneren des Gotteshauses, sondern ihr schafft es, das ganze Dorf in Feststimmung zu versetzen. Ihr versteht es, singend und tanzend »seine Vaterschaft, seine Vorsehung, seine ständige, liebende Gegenwart« zu feiern. Diese Volksfrömmigkeit »führt zu inneren Haltungen, die man sonst kaum in diesem Maße findet: Geduld, das Wissen um die Notwendigkeit, das Kreuz im täglichen Leben zu tragen, Entsagung, Wohlwollen für andere, Respekt.«[1]
Die Worte des Propheten Jesaja erwachen zum Leben: »Dann wird die Wüste zum Garten und der Garten wird zum Wald« (32,15). Dieses Land, umgeben von der trockensten Wüste der Welt, versteht es zu feiern.
In dieser Feststimmung führt uns das Evangelium Marias Handeln vor Augen, damit die Freude überwiegt. Aufmerksam nimmt sie als gute Mutter alles wahr, was um sie herum geschieht, sie ist nicht untätig, und so bemerkt sie, dass bei dem Fest, in der gemeinsam geteilten Freude, etwas passierte: etwas, das das Fest „verwässerte“. Und an ihren Sohn gewandt, spricht sie nur diese Worte: »Sie haben keinen Wein mehr« (Joh 2,3).
Genauso geht Maria durch unsere Dörfer, Straßen, Plätze, Häuser und Krankenhäuser. Maria ist die Jungfrau von La Tirana; die Jungfrau von Ayquina in Calama; die Jungfrau von Las Peñas in Arica, die all unsere gewohnten Probleme wahrnimmt, die uns im Herzen bedrücken, um sich dann an Jesus zu wenden und ihm zu sagen: Schau, »sie haben keinen Wein mehr«.
Aber dann bleibt sie nicht still, sie geht zu den Dienern und sagt ihnen: »Was er euch sagt, das tut!« (Joh 2,5). Maria, eine Frau weniger aber konkreter Worte, kommt auch zu einem jeden von uns und sagt nur: »Was er euch sagt, das tut!« Und auf diese Weise kommt es zum ersten Wunder Jesu: als seinen Freunden gesagt wird, dass sie an diesem Wunder teilhaben. Denn Christus »ist nicht in diese Welt gekommen, um sein Werk allein zu vollbringen, sondern zusammen mit uns« – das Wunder vollbringt er mit uns –, »mit uns allen, um das Haupt eines Leibes zu sein, dessen lebendige, freie und aktive Zellen wir sind«.[2] So vollbringt Jesus das Wunder: mit uns.
Das Wunder beginnt, als sich die Diener zu den für das Reinigungsritual bestimmten Wasserbehältern begeben. So kann auch ein jeder von uns das Wunder initiieren, mehr noch, ein jeder von uns ist eingeladen, sich zu beteiligen am Wunder für die anderen.
Brüder und Schwestern, Iquique ist ein „Land der Träume“ (dies bedeutet der Name auf Aymara); ein Land, das Menschen verschiedener Völker und Kulturen beherbergte, die ihre Lieben verlassen und von zu Hause weggehen mussten. Ein solcher Weggang gründet immer in der Hoffnung auf ein besseres Leben, aber wir wissen, dass er immer auch begleitet ist von Angst und Unsicherheit im Blick auf die Zukunft. Iquique ist ein Einwanderungsgebiet, das uns an die Größe von Männern und Frauen erinnert, ganzer Familien, die sich trotz aller Hindernisse nicht geschlagen geben und ihren Weg gehen auf der Suche nach Leben. Diese – besonders jene, die ihr Land verlassen müssen, weil sie unterhalb des Existenzminimums leben – sind Bilder der Heiligen Familie, die Wüsten durchziehen musste, um überleben zu können.
Dieses Land ist ein Land der Träume. Sorgen wir dafür, dass es auch ein Land der Gastfreundschaft bleibt – einer feierlichen Gastfreundschaft, weil wir gut wissen, dass es keine christliche Freude gibt, wenn man die Türen verschließt; es gibt keine christliche Freude, wenn man den anderen das Gefühl gibt, sie seien überzählig oder es gäbe keinen Platz für sie (vgl. Lk 16,31).
Lernen wir von Maria in Kana, und versuchen wir aufmerksam zu sein, damit wir auf unseren Plätzen und in unseren Dörfern die Menschen erkennen, denen das Leben „verwässert“ ist, diejenigen, die keinen Grund zum Feiern mehr sehen oder die dieser Gründe beraubt worden sind; die von Herzen traurig sind. Und haben wir keine Angst davor, unsere Stimmen zu erheben und zu sagen: »Sie haben keinen Wein mehr«. Das ist der Schrei des Volkes Gottes, der Hilferuf des Armen, der die Form eines Gebetes annimmt und das Herz weitet und uns lehrt, achtsam zu sein. Seien wir aufmerksam auf alle Situationen der Ungerechtigkeit und die neuen Formen der Ausbeutung, die vielen Brüdern und Schwestern die Freude des Festes verderben. Seien wir aufmerksam angesichts der Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse, die viele Leben und Familien zerstört. Seien wir aufmerksam auf jene, die die Irregularität vieler Migranten ausnutzen, weil sie die Sprache nicht kennen oder keine ordnungsgemäßen Papiere besitzen. Seien wir aufmerksam auf den Mangel an Unterkünften, Grundstücken und Arbeitsplätzen, die so viele Familien dringend bräuchten. Und sagen wir wie Maria: Herr, sie haben keinen Wein mehr.
Bringen wir wie die Diener auf dem Fest das, was wir haben, auch wenn es wenig erscheinen mag. Und haben auch wir, wie diese, keine Angst davor „mitanzupacken“, so dass unsere Solidarität und unser Einsatz für die Gerechtigkeit zu einem Teil des Tanzes und Gesanges werden, den wir unserem Herrn anstimmen. Nutzen wir diese Chance, etwas zu lernen und uns von den Werten, der Weisheit und dem Glauben, die die Migranten mitbringen, erfüllen zu lassen. Verschließen wir uns nicht vor den „Wasserkrügen“ voller Weisheit und Geschichte, die jene mitbringen, die auch weiterhin in diesem Land ankommen. Berauben wir uns nicht all des Guten, das sie uns anzubieten haben.
Und lassen wir dann zu, dass Jesus dann das Wunder vollenden kann, indem er unsere Gemeinschaften und unsere Herzen in ein lebendiges Zeichen seiner Gegenwart verwandelt, die freudig und festlich ist, weil wir erfahren haben, dass Gott-mit-uns ist, weil wir gelernt haben, ihn in unserer Mitte, in unserem Herzen aufzunehmen. Eine ansteckende Festfreude, die uns dazu bringt, niemand von der Verkündigung dieser Guten Nachricht auszuschließen, und die uns alles, was zu unserer einheimischen Kultur gehört, mitteilen lässt, um die Verkündigung auch mit dem Unsrigen zu vertiefen, mit unseren Traditionen, mit unserer uralten Weisheit, damit er, der kommt, auf Weisheit trifft und Weisheit schenkt. Das heißt Fest. Das ist in Wein verwandeltes Wasser. Das ist das Wunder, das Jesus wirkt.
Maria, die in diesem gesegneten Land des Nordens mit verschiedenen Titeln angerufen wird, möge ihrem Sohn Jesus auch weiterhin zuflüstern: »Sie haben keinen Wein mehr«; und uns ihre Worte mögen immer mehr in Fleisch und Blut übergehen: »Was er euch sagt, das tut«.
[1] Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi, 48.
[2] Sant’Alberto Hurtado, Meditation für Jugendliche in der Karwoche (1946).
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