Der Schrei von Bari
Stefan von Kempis – Vatikanstadt
Papst Franziskus hat sich an diesem Samstag mit Kirchenführern aus dem Nahen Osten in Bari getroffen, um um Frieden zu beten. Es gehe um den Frieden, „den die Mächtigen auf Erden noch nicht gefunden haben“, sagte der Papst, von Patriarchen und Metropoliten umringt, an der Uferpromenade der Stadt.
„Vom Nil bis zum Jordantal und weiter über den Orontes bis zum Tigris und Euphrat ertöne der Ruf des Psalms: ‚In dir sei Friede‘ (122,8). Für die leidenden Brüder und Schwestern und für die Freunde jedes Volkes und jeden Glaubensbekenntnisses wiederholen wir: In dir sei Friede! Mit dem Psalmisten bitten wir darum besonders für Jerusalem, die Heilige Stadt, die von Gott geliebt und von Menschen verletzt wird, über die der Herr immer noch weint: In dir sei Friede!“
Eindringliche Friedensgesänge auf Arabisch
In vielerlei Sprachen – allerdings, Hebräisch war nicht darunter – beteten die Teilnehmer des Gipfels um ein Ende der Konflikte und der Zerrissenheit in Nahost. An der Seite des Papstes standen der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. aus Istanbul und der koptische Patriarch Tawadros II. aus Kairo. Mehr als zwanzig Spitzenvertreter von orientalischen und orthodoxen Kirchen waren der Einladung des Papstes gefolgt. Besonders eindringlich klangen die Friedensgesänge auf Arabisch.
„Es sei Frieden: Das ist der Schrei vieler Menschen, der Abels von heute, der zum Thron Gottes aufsteigt“, so Franziskus. „Um ihretwillen können wir es uns – im Nahen Osten wie auch sonst überall auf der Welt – nicht mehr erlauben zu sagen: Bin ich der Hüter meines Bruders? (Gen 4,9). Gleichgültigkeit tötet, und wir wollen eine Stimme gegen diese todbringende Gleichgültigkeit sein.“
Denen eine Stimme geben, die keine haben
Dass sich der Papst auf die Geschichte von Kain und Abel bezog, erinnert an seine erste Reise nach der Papstwahl vor genau fünf Jahren. Sie führte ihn zu Migranten und Flüchtlingen auf die Insel Lampedusa auf Sizilien; auch dort ging er in seiner Predigt von Kain und Abel aus und bekräftigte, dass jeder Mensch sehr wohl „Hüter seines Bruders“ sei.
„Wir wollen denen eine Stimme geben, die keine Stimme haben, denen, die nur Tränen schlucken können, weil der Nahe Osten heute weint, leidet und schweigt, während andere auf der Suche nach Macht und Reichtum auf ihm herumtrampeln. Für die Kleinen, die Einfachen, die Verwundeten, für die, auf deren Seite Gott steht, bitten wir: Es sei Frieden! Möge der »Gott allen Trostes« (2 Kor 1,3), der die gebrochenen Herzen heilt und die Wunden verbindet (vgl. Ps 147,3), unser Gebet erhören.“
Als Pilger seien sie alle zusammen nach Bari gekommen, in diese Stadt, die sich „wie ein Fenster zum Nahen Osten hin“ öffne, so Franziskus. „Im Herzen tragen wir unsere Kirchen, die Völker und die vielen Menschen, die in Situationen großen Leids leben. Ihnen sagen wir: Wir sind euch nahe.“
Franziskus erklärte auch, warum er sich gerade die Hauptstadt der süditalienischen Region Apulien als Schauplatz seiner Initiative ausgesucht hatte: „Hier ruhen die Reliquien des heiligen Nikolaus, des Bischofs aus dem Osten, dessen Verehrung über die Meere reicht und die Grenzen zwischen den Kirchen überschreitet.“
St. Nikolaus und seine orthodoxen Verehrer
Die Reliquien des Nikolaus wurden im 11. Jahrhundert aus dem kleinasiatischen Myra geraubt und nach Bari gebracht; die Krypta der Nikolausbasilika, wo sie ruhen, wird jedes Jahr von Zehntausenden von orthodoxen Gläubigen besucht, vor allem von Russen. Umso auffallender war, dass Metropolit Hilarion vom Moskauer Patriarchat zwar zum Friedensgebet angereist war, aber nicht mit auf dem Podium saß und dem Programm entgegen auch keine Fürbitte verlas.
Eine „dicke Decke der Dunkelheit“ liege derzeit über dem Nahen Osten, formulierte Papst Franziskus: „Krieg, Gewalt und Zerstörung, Besetzungen und Formen des Fundamentalismus, zwangsmäßige Migration und Flucht. All das geschah unter dem Stillschweigen und der Mitschuld vieler. Der Nahe Osten ist zu einem Land von Menschen geworden, die ihre Heimat verlassen. Und es besteht die Gefahr, dass die Präsenz unserer Brüder und Schwestern im Glauben ausgelöscht wird. Dies würde das Gesicht der Region selbst entstellen, denn ein Naher Osten ohne Christen wäre nicht mehr der Nahe Osten.“
Friedenslicht entzündet
Papst und Kirchenführer entzündeten ein Friedenslicht: „eine Flamme der Hoffnung“, „damit das göttliche Licht die Dunkelheit der Welt vertreibt“.
Am Morgen vor dem Friedensgebet hatte Franziskus die Patriarchen und Metropoliten an der Nikolausbasilika einzeln begrüßt; gemeinsam entzündeten sie in der Krypta vor den Reliquien des heiligen Nikolaus eine Lampe. Nach dem Friedensgebet kehrten die Kirchenmänner – auch ein lutherischer Bischof war übrigens darunter – in die Nikolausbasilika zu einer Aussprache hinter verschlossenen Türen zurück.
(vatican news)
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