Papst in Aglona/Lettland: „An der Seite der Leidenden stehen“
Stefan von Kempis – Vatikanstadt
Aglona: Früher, im 17. Jahrhundert, stand hier nur eine kleine Holzkirche neben einem Kloster, in einem Tannenwald. Heute erhebt sich in der südlettischen Kleinstadt Aglona (der Name bedeutet übrigens „Tannenbaum“) eine barocke Wallfahrts-Basilika in strahlendem Weiß, die meistbesuchte katholische Kirche des Landes. „Terra Mariana“ ist das hier, „Land Mariens“ – 1215 gab Papst Innozenz III. der Region diesen Titel.
Aglona ist ein internationaler Marienwallfahrtsort, idyllisch zwischen Seen und Burgen gelegen; aus dem ganzen Baltikum, ja sogar aus Weißrussland und Russland pilgern Menschen hierher, vor allem Mitte August zum Fest Mariä Himmelfahrt. An der Messe, die der heilige Papst Johannes Paul II. 1993 hier feierte, soll eine halbe Million Menschen teilgenommen haben.
Auch Pilger aus Weißrussland und Polen
Sicher waren es an diesem regnerisch-grauen Montag bei der Messe von Franziskus vor der Basilika nicht so viele wie damals; doch der Enthusiasmus war sehr groß. Den Papst erinnerte das Bild, das er vor sich sah, an die Schilderung der frühen christlichen Gemeinde, die die Apostelgeschichte zeichnet: „Wir sind innig vereint, im Gebet und in der Gemeinschaft mit Maria, unserer Mutter (vgl. 1,14)“, sagte er. Viele der Teilnehmer an der Messe kamen aus anderen Ländern der Region, darum gab es Fürbitten auch auf Russisch und Polnisch.
Die Predigt des Papstes kreiste um den Bericht des Johannesevangeliums, dass Maria unter dem Kreuz ihres sterbenden Sohnes stand (19, 25-27). Wobei: „Sie steht nicht einfach herum“, so Franziskus. „Sie weicht nicht, sie ist nicht verzagt. Sie steht dort standhaft, wie ‚angenagelt‘ am Fuß des Kreuzes und drückt mit ihrer Körperhaltung aus, dass nichts und niemand sie von diesem Ort wegbringen kann.“ Mehr als einfaches Stehen also.
Angenagelt an das Kreuz des Unverständnisses
So entschieden wie unter dem Kreuz Jesu stehe Maria auch heute an der Seite der Leidenden, an der Seite aller, die sich „außerhalb des Systems“ wiederfänden. Sie sei mit ihnen „zusammen angenagelt an dieses Kreuz des Unverständnisses und des Leidens“.
„Maria zeigt uns auch einen Weg, dieser Wirklichkeit zu begegnen; dieser Weg ist weder ein Spaziergang oder ein Kurzbesuch und auch kein „Solidaritätstourismus“. Es geht darum, dass die, welche eine leidvolle Wirklichkeit erleben, spüren können, dass wir fest und zuverlässig an ihrer Seite und auf ihrer Seite stehen.“ Und zwar „fest und aufrecht“ wie Maria: „mit einem Gott zugewandten Herzen und dem Mut, den Gefallenen aufzuhelfen…“
Nebeneinander stehen reicht nicht
Dann weitete Franziskus den Blick auf die Szenerie unter dem Kreuz: Auch der Lieblingsjünger Jesu, der Ungenannte, habe dort gestanden. Und Jesus habe Maria und den Jünger gebeten, sich umeinander zu kümmern – weil er erkannt habe, dass das Nebeneinanderstehen der Beiden noch nicht reichte.
„Denn man kann neben vielen Menschen stehen, man kann dabei sogar dasselbe Haus, dasselbe Wohnviertel oder den gleichen Arbeitsplatz teilen; man kann denselben Glauben teilen, die gleichen Geheimnisse betrachten und sich an ihnen erfreuen, ohne den anderen dabei wirklich anzunehmen, ohne ihm liebevolle Annahme zuteilwerden zu lassen. Wie viele Ehepaare könnten ihre Geschichten ‚einsamer Zweisamkeit‘ erzählen; wie viele Jugendliche fühlen eine schmerzliche Distanz zu den Erwachsenen, wie viele alte Menschen werden steril versorgt, fühlen sich dabei aber kaum liebevoll umsorgt und angenommen.“
Auf universale Geschwisterlichkeit setzen
Franziskus lud die Gläubigen dazu ein, sich umeinander zu kümmern und dabei wie Maria „offen“ zu sein „für Vergebung“, „Groll und Misstrauen beiseitezulassen“. „Die Beziehungen, die uns heilen und befreien, sind jene, die uns zur Begegnung und Brüderlichkeit mit den anderen öffnen, weil sie im anderen Gott selbst entdecken… In Zeiten, in denen scheinbar Gesinnungen wiederaufleben, die Misstrauen gegenüber den anderen säen und mithilfe von Statistiken belegen wollen, dass es uns besser ginge, dass es größeren Wohlstand und mehr Sicherheit gäbe, wenn wir allein wären, laden Maria und die Jünger dieses Landes uns ein, den anderen aufzunehmen, wieder auf den Bruder und die Schwester, auf universale Geschwisterlichkeit zu setzen.“
Das war Franziskus‘ Appell von Aglona: Die Menschen sollten sich „alle verpflichten, einander ohne Diskriminierung anzunehmen“. „Jeder in Lettland soll wissen, dass wir bereit sind, den Armen einen besonderen Platz einzuräumen, den Gefallenen aufzuhelfen und die anderen so anzunehmen, wie sie zu uns kommen und vor uns stehen.“
(vatican news)
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