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Franziskus an der Gedenkstele im ehemaligen Ghetto in Vilnius, Litauen Franziskus an der Gedenkstele im ehemaligen Ghetto in Vilnius, Litauen 

Litauen: Früher Terror des Holocaust

Eindringlich hat Papst Franziskus in Litauen am nationalen Holocaust-Gedenktag an die Ermordung zahlloser Juden in dem baltischen Land erinnert. Die Judenvernichtung setzte in Litauen früher als anderswo ein und lief überaus glatt ab – Litauen war ein Testfeld, erklärt der Historiker Arunas Bubnys in unserem Interview.

Gudrun Sailer – Vilnius

Mehr als 200.000 Juden lebten vor dem Zweiten Weltkrieg in Litauen. Als die Wehrmacht das Nachbarland in den späten Junitagen 1941 schnell und rasch besetzte, konnten sich rund 12.000 Juden nach Russland retten. Für die übrigen begann das Inferno fast sofort.

„Die ersten antijüdischen Exzesse begannen schon Ende Juni 1941, in drei vier Tagen in Kaunas, das war vor dem Weltkrieg Kaunas die Hauptstadt von Litauen“, resümiert Arunas Bubnys, Leiter der Forschungsabteilung Genozid und Widerstand in einer staatlichen Forschungseinrichtung von Litauen. Dabei hatten die Nationalsozialisten lokale Helfer, der Antisemitismus in Litauen war massiv. Wer genau diese Mittäter der Nazis waren, ist bis heute nicht ganz klar. „Man spricht am meisten von einer Gruppe rund um den Journalisten Algirdas Klimaitis. Aus seinen Anhängern gelang es, die Gruppe zu rekrutieren, etwa 300 Leute, die diese ersten grausamen jüdischen Pogrome durchführten.“

„Die Ausführung dieser jüdischen Massenmorde war gut organisiert und geschah intensiv, radikal und schnell“

Mehr als 1.000 Juden starben schon in diesen ersten Tagen des Holocaust in Litauen. „Es waren zuerst die Männer, dann ab Mitte August auch jüdische Frauen und Kinder, die in Kaunas und anderen Städten massiv ermordet wurden.“ Die große Welle der Massenexekutionen begann. Und sie begann mit System: „Die Juden wurden erst in kleine Ghettos oder Isolierungslager übersiedelt und dann nach einer Woche oder zwei am Rand der Wälder erschossen. Die Ausführung dieser jüdischen Massenmorde war gut organisiert und geschah intensiv, radikal und schnell.“

Hier zum Hören:

Von den mehr als 200.000 litauischen Juden überlebten nur fünf bis zehn Prozent den Holocaust. Die Nationalsozialisten gingen deshalb so gründlich ans Werk, weil Litauen „als Vorbereitung der Endlösung des ganzen europäischen Judentums gesehen“ wurden. Und es gab noch andere nazideutsche Pläne für das Baltikum.

„Litauen war damals Nachbarn von Deutschland. Das war ein wichtiger Faktor. Der Generalplan Ost des Dritten Reiches sah das Baltikum, Litauen, Lettland, Estland, als deutschen Lebensraum, als Kolonisierungsgebiet von Deutschen, und in diesem Gebiet durften keine „rassenfremden“ Elemente oder politische Feinde leben - sie mussten schnell und radikal entfernt werden.“

„Wenn der Papst so spricht, ist es für das litauische Volk wichtig und wird anders angenommen als von Politikern“

Die Ereignisse liegen rund ein Dreiviertel Jahrhundert zurück. Papst Franziskus warnte in Kaunas vor einem Wiedererstarken einer menschenfeindlichen Haltung. Litauen ist derzeit wenig anfällig für Extremismus, hält der Historiker Bubnys fest. Aber wichtig sind die Papstworte doch: „Wenn der Papst so spricht, ist es für das litauische Volk wichtig und wird anders angenommen als von Politikern.“

(vatican news)

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24. September 2018, 07:27