Papst in Abu Dhabi: „Keine Gewalt kann religiös rechtfertigt werden“
Christine Seuss - Vatikanstadt
Die Vereinigten Arabischen Emirate haben für 2019 das „Jahr der Toleranz“ ausgerufen – eine Toleranz, die Franziskus in seiner langen Ansprache immer wieder einforderte. Er habe gerne die Gelegenheit ergriffen, zum achthundertsten Jahrestag des Treffens zwischen dem heiligen Franz von Assisi und Sultan al-Malik al-Kāmil als nach „Frieden dürstender Glaubender“ und „Bruder“ hierher zu kommen, sagte Franziskus. Und er unterstrich den interreligiösen Charakter seiner Reise: „Den Frieden wollen, den Frieden fördern, Werkzeuge des Friedens sein: dafür sind wir hier.“
Allen Überlegungen zugrunde liegen müsse jedoch die Einsicht, dass „Gott der Ursprung der einen Menschheitsfamilie ist“ und somit die Geschwisterlichkeit als „Berufung“ im Schöpfungsplan Gottes enthalten sei: „Sie sagt uns, dass wir alle die gleiche Würde haben und dass niemand der Herr oder Sklave anderer sein kann.“
Es stelle eine „schwere Entweihung des Namens Gottes“ dar, „ihn zur Rechtfertigung von Hass und Gewalt gegen den Bruder zu missbrauchen. Es gibt keine Gewalt, die religiös gerechtfertigt werden kann“, stellte Franziskus klar. Kurz vor seiner Ansprache hatte er mit den Mitgliedern des Muslimischen Ältestenrates, dessen Vorsitz Großscheich Ahmed al-Tayyeb aus Kairo innehat, konferiert. Der Rat mit Sitz in Abu Dhabi hat es sich zum Ziel gesetzt, für Frieden und Toleranz innerhalb der islamischen Gemeinschaft zu wirken. In diesem Zusammenhang würdigte der Papst das Engagement der Emirate, die „freie Ausübung der Religion zu tolerieren und zu garantieren sowie Extremismus und Hass zu bekämpfen“. Das bedeute einen wichtigen Schritt, um den Missbrauch von Religion zu verhindern.
Zu einem echten Dialog brauche es den Respekt vor dem anderen, aber durchaus im Bewusstsein der eigenen Identität, die nicht aufgegeben werden dürfe fuhr der Papst fort. Wichtig seien auch der Mut zum Anderssein und die Akzeptanz der Rechte des anderen, darunter die Religionsfreiheit: „Freiheit ist ein Recht jedes Menschen: Jeder genießt die Freiheit des Glaubens, des Denkens, der Meinungsäußerung und des Handelns. Der Pluralismus und die Vielfalt von Religion, Hautfarbe, Geschlecht, Rasse und Sprache sind ein weiser göttlicher Wille, mit dem Gott die Menschen geschaffen hat. Diese göttliche Weisheit ist der Ursprung, aus dem sich das Recht auf Glaubensfreiheit und auf Freiheit, anders zu sein, ergibt," zitierte der Papst aus dem Dokument über die Geschwisterlichkeit zwischen den Menschen, das er im Anschluss an seine Ansprache gemeinsam mit dem Großimam von al-Azhar, Ahmed al-Tayyeb, unterzeichnete.
„Es gibt keine Alternative“, fuhr Franziskus eindringlich fort: „Entweder wir bauen die Zukunft gemeinsam oder es gibt keine Zukunft. Vor allem die Religionen können nicht auf die dringende Aufgabe verzichten, Brücken zwischen Völkern und Kulturen zu bauen. Die Zeit ist gekommen, dass die Religionen sich aktiver, mutig, kühn und aufrichtig, dafür einsetzen, der Menschheitsfamilie zu helfen, ihre Fähigkeit zur Versöhnung, ihre Vision der Hoffnung und konkrete Wege zum Frieden weiterzuentwickeln.“
Bildung und Gerechtigkeit ermöglichen Frieden
Bildung und Gerechtigkeit seien die Mittel, die letztlich zum Frieden befähigten, unterstrich der Papst. Er ermunterte seine Zuhörer dazu, nicht der Versuchung zu erliegen, sich auf sich selbst zurückzuziehen. In die Kultur und Bildung zu investieren, fördere im Gegenzug „einen Rückgang des Hasses und ein Wachstum der Zivilisation und des Wohlstands“, und es befähige junge Menschen, sich in Zeiten von „negativen Botschaften“ und „Fake News“ selbst ein Bild von der Wirklichkeit und richtigen Verhaltensweisen zu machen - ein Feld, auf dem auch die katholischen Einrichtungen der Region einen wichtigen Beitrag leisteten, so Franziskus, der vor Jahrzehnten selbst als Lehrer an Jesuitenschulen gearbeitet hat.
Der zweite unerlässliche Pfeiler für Frieden sei Gerechtigkeit, und es sei nicht hinnehmbar, wenn diese nicht für alle gleichermaßen gelte, fuhr der Papst in seiner Ansprache fort. Das war ein Passus, der im arabischen Raum für Unbehagen sorgen könnte, sind doch die Arbeitsmigranten in der Region von vielen Rechten ausgeschlossen: „Eine Gerechtigkeit, die nur für Familienmitglieder, Landsleute und Gläubige desselben Glaubens gilt, ist eine hinkende Gerechtigkeit, sie ist verschleierte Ungerechtigkeit!“ Franziskus wies darauf hin, dass es eine Aufgabe der Religionen sei, den Blick über die materielle Kurzsichtigkeit hinaus zu weiten und Wächter über die Geschwisterlichkeit unter den Menschen zu sein.
Der Papst würdigte die Kraftanstrengungen, mit denen in den Emiraten Wüstenland zum Blühen gebracht wurde, warnte jedoch davor, das Potential der Region durch Gleichgültigkeit zu unterminieren. „Tatsächlich bringt eine rein utilitaristische Entwicklung keinen echten und dauerhaften Fortschritt“, mahnte er nur kaum verhohlen mit Blick auf Umwelt, Migranten und Kinder.
Lobend hob er in diesem Zusammenhang das erste Forum der Interreligiösen Allianz für sicherere Gemeinschaften über die Würde der Kinder im digitalen Zeitalter hervor. Die internationale und interreligiöse Jugendschutzkonferenz hatte im vergangenen November in Abu Dhabi stattgefunden, nach dem Beispiel einer ähnlichen Konferenz, die ein Jahr zuvor in Rom organisiert worden war.
Die katholische Kirche werde auch weiterhin dieser Art von Initiativen jede erdenkliche Art von Unterstützung und Solidarität zukommen lassen, versprach der Papst, bevor er sich einem weiteren heiklen Thema, nämlich den Christen in der Region, zuwandte. Diese seien teilweise schon seit Jahrhunderten in der Region präsent und hätten einen „wesentlichen Beitrag zum Wachstum und Wohlstand des Landes geleistet“, gepaart mit einem festen Glauben, betonte Franziskus.
„Der Respekt und die Toleranz, der sie begegnen, sowie die notwendigen Gottesdienstorte, an denen sie beten, erlauben ihnen jene geistliche Reife, die dann der gesamten Gesellschaft zugutekommt. Ich ermutige dazu, diesen Weg fortzusetzen, damit diejenigen, die hier leben oder auch nur für kurze Zeit hier sind, nicht nur das Bild der großen, in der Wüste errichteten Bauwerke bewahren können, sondern auch das Bild einer Nation, die alle einbezieht und annimmt.“
Derzeit gibt es in den Vereinigten Arabischen Emiraten für rund eine Million Christen insgesamt etwa 40 Kirchen, oftmals sind diese in abgeschotteten Compounds in der Nähe zu Kulteinrichtungen anderer Religionen oder Konfessionen eingerichtet.
„Ein brüderliches Zusammenleben, das auf Bildung und Gerechtigkeit beruht; eine menschliche Entwicklung, die auf einer bereitwilligen Inklusion und auf gleichen Rechten aller beruht: Das sind Samen des Friedens, die aufkeimen zu lassen die Religionen aufgerufen sind“, fasste Franziskus seine Anliegen nochmals zusammen. „Wie vielleicht nie zuvor“ hätten die Religionen in „dieser heiklen geschichtlichen Situation“ eine Aufgabe, die nicht mehr aufgeschoben werden könne: „einen aktiven Beitrag zur Entmilitarisierung des menschlichen Herzens zu leisten.“
Denn Kriege wie im Jemen (die Emirate sind dort an vorderster Front an der Seite Saudi-Arabiens involviert) und andernorts im Nahen Osten, die nichts als Elend und Tod mit sich brächten, müssten in allererster Linie durch die Religionen geächtet werden, mahnte der Papst eindringlich, bevor er die Anwesenden abschließend nochmals auf den gemeinsamen, religions- und länderübergreifenden Einsatz für Arme, Frieden und Dialog einschwor.
(vatican news)
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