Sechs Jahre Franziskus: „Georg wer?“
Wir haben mit Vatican-News-Chefredakteur und Papstkenner Pater Bernd Hagenkord gesprochen und ihn gefragt, wie er den Moment erlebt hat, in dem der neue Papst angekündigt wurde.
P. Hagenkord: Wenn ich mich jetzt zurückerinnere, bleibt mir noch dieser Moment im Gedächtnis, als ich dachte: Wer? Georgium? Wer heißt hier Georg? Ich kam überhaupt nicht auf Bergoglio. Und auch, als der Name fiel, musste ich erst nachdenken bis ich darauf kam, dass er ja sogar einer von uns Jesuiten war. Das kam daher, weil ihn ja keiner wirklich auf der Liste hatte, zwei, drei Journalisten hatten ihn vorher überhaupt erwähnt. Erst einmal also die Überraschung, dann aber auch die Spannung, was passieren würde, denn es war ja auch mein erstes direkt miterlebtes Konklave. Sehr viel mehr Spannung als Erkenntnisgewinn sozusagen.
Vatican News: Was hat man sich denn nach der ersten Schocksekunde von diesem Papst, der ja auch in einer sehr schwierigen Situation angetreten ist, erwartet?
P. Hagenkord: Der Papst hat ja selbst dafür gesorgt, dass die Erwartungen kanalisiert wurden durch die Art und Weise, wie er auftrat. Für uns heute ist das normal, dass er ohne diese rote Mozzetta, also das Mäntelchen, und andere Machtinsignien herumläuft. Aber auch die Tatsache, dass er sich Franziskus genannt hat, hat viele Erwartungen geweckt. Auf der anderen Seite kamen die natürlich auch von außen. Nach dem Motto, das was wir jetzt seit vierzig Jahren besprechen, muss endlich Wirklichkeit werden. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Papst nicht aus unseren europäischen Diskussionszusammenhängen kommt, also nicht der Umsetzer des liberalen europäischen Katholizismus ist, sondern eine ganz eigene Sichtweise hat. Diese setzt er um. Diese Erwartung wird also wohl erfüllt, was aber wohl eher nicht erfüllt wird, sind die Erwartungen des bürgerlichen Katholizismus in Europa.
Vatican News: Was sind die Stärken dieses Pontifikates?
P. Hagenkord: Wir haben am Anfang ein bisschen gelacht und gesagt, wenn wir nicht aufpassen, macht er aus dem Vatikan noch eine religiöse Veranstaltung. Er ist eine sehr spirituelle Figur, ähnlich wie seine Vorgänger und doch ganz anders, in dem Sinn, dass er versucht, das bei jedem ankommen zu lassen. Das ist eine anstrengende Form des Christentums, da geht es um mehr, als in die Kirche zu gehen und eine Kerze anzuzünden. Und das versucht er die ganze Zeit, alle sechs Jahre über, herunter zu brechen. Dass man das mit Freude tun sollte, dass man das Kreuz nicht umgehen kann und so weiter. Dass das aber für jeden und jede gilt, etwas mit Nachfolge und Barmherzigkeit zu tun hat. Das ist seine Form des Christentums, die er versucht, in der Tradition seiner Vorgänger und doch auf eigene Weise zu fördern. Zusammengefasst ist das wohl in Evangelii Gaudium, das ja relativ schnell kam im ersten Jahr, das gilt immer noch und ist wohl auch seine große Stärke.
Vatican News: Innerkirchlich brodelt es ja auch gewissermaßen unter diesem Papst, wo könnte man denn Schwächen dieses Pontifikates verorten?
P. Hagenkord: Naja, dass es brodelt, ist ja nicht unbedingt ein Zeichen von Schwäche, es kann ja auch ein Zeichen von Stärke sein. Ich denke, es gibt zwei letztlich voneinander unabhängige Dinge, die in diesem Pontifikat deutlich werden. Das sind die einen, die mit dieser Form des Christentums nicht einverstanden sind, die ein „Vorgabe-Christentum“ wollen, also eine autoritäre Form des Christentums, von der sie sich vorstellen, dass sie das schon früher gegeben hat, auch wenn man da sicherlich drüber streiten kann. Das sind also diese so genannten Widerständler.
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Zum anderen, und das ist der viel größere Konfliktherd, gibt es die Missbrauchskrise. Die ist nicht neu und hat während des Pontifikates eine ganz neue Wucht entwickelt. Die hat der Papst ja auch selbst mit befördert, denn er hat zugegebenermaßen auch Fehler gemacht. Das Erstere finde ich eher normal, das passiert immer, das sind auch nicht so viele Gegner, aber sie sind halt sehr laut. Das Zweite ist allerdings DAS Thema der Kirche, wie der Papst ja selbst auf der Kinderschutzkonferenz im Vatikan gesagt hat. Und das hat sein Pontifikat bislang geprägt, mehr, als es ihm vielleicht lieb gewesen wäre, und wird das auch noch weiterhin tun. Aber das ist eben das Thema der Kirche und deswegen wird das das Pontifikat auch weiterhin prägen.
Vatican News: Ist der Papst bei diesem Thema auf dem richtigen Weg, könnte man ihn da als Hoffnungsträger bezeichnen?
P. Hagenkord: Er ist ja vor allem der Garant der Einheit. Er muss dafür sorgen, dass alle am gleichen Strang und vor allem in die gleiche Richtung ziehen. Das vor vorher nicht unbedingt der Fall. Da gab es klare Aussagen im Vorfeld, die das Thema weit von sich weisen. Die gibt es zwar leider immer noch, aber im Prinzip ist die Kirche jetzt geeint, so dass sie sagt, ja, wir haben ein massives kirchliches Problem, das es zwar auch außerhalb gibt, aber es gibt auch eine spezifisch katholische Variante. Und wir, die wir für Hoffnung, Erlösung und Liebe einstehen, können uns das schon gleich gar nicht erlauben. Das heißt, wir müssen den Überlebenden zuhören und dann dafür sorgen, dass das nie wieder passiert. Dafür steht er schon gerade, bildlich gesprochen ist er zwar nicht einer ist, der da mit der leuchtenden Fackel steht, sondern eher der Arbeiter, der dafür sorgt, dass das mit konkreten Schritten auch vor Ort umgesetzt wird.
Vatican News: Woran wird man sich denn in 100 Jahren erinnern, wenn man auf dieses Pontifikat bis jetzt zurückblickt?
P. Hagenkord: Den atemberaubenden Umgang mit Medien, wenn er persönlich auftritt, also diese Authentizität, die er versprüht hat und eigentlich immer noch versprüht. Das ist sicherlich etwas, was es so bisher nicht gegeben hat. Auch die Einbeziehung nichteuropäischer Sichtweisen, denn die vergangenen 1000 Jahre hatten wir Päpste mit einer sehr europäischen Perspektive, er ist also Ausdruck einer weltkirchlichen Entwicklung. Man wird sich auch erinnern, dass er tatsächlich sehr viel abgelegt hat von dem, was Papsttum ausgemacht hat, also was den Ornat und ähnliches betrifft. Eine sehr moderne Form des Papsttums also. Und dann natürlich die Frage, wie die Kirche mit den Themen umgeht, die sie unabhängig vom Papst beschäftigen, also Missbrauch und andere. Wenn wir schaffen, das in den Griff zu kriegen, dann wird das mit ihm verbunden werden, umgekehrt allerdings auch.
Vatican News: Eine letzte Frage, immer wieder wird ja darüber diskutiert, ob dieser Papst wie sein Vorgänger zurücktreten wird. Oder ist er dafür nicht der Typ?
P. Hagenkord: Wenn ich das mal frei heraus sagen darf, dann ist ja bei Papst Franziskus vieles ein Ratespiel. Er ist sehr spontan und lässt sich in seinen Entscheidungen auch nicht unbedingt kontrollieren. Wir erinnern uns selbst immer wieder daran, dass wir uns bei ihm nicht allzu sehr auf unsere Erwartungen verlassen dürfen. Ich würde jetzt persönlich sagen, ich glaube nicht an einen Rücktritt, denn er hat noch genug Energie und weiß auch um seine Verantwortung. Die Dinge, die er angestoßen hat, müssen weitergebracht werden und ich sehe keine Schwäche. Er ist zwar über 80 Jahre alt, aber wenn ich sein Tagesprogramm sehe, und das in dem Alter, dann muss ich den Hut ziehen. Also ich sehe einen Rücktritt nicht, höchstens, wenn bei ihm eine schwere Krankheit diagnostiziert würde, aber auch das sehe ich im Augenblick wirklich nicht.
(vatican news - cs)
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