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Benedikt XVI. mit seinem Nachfolger Franziskus im Juni letzten Jahres Benedikt XVI. mit seinem Nachfolger Franziskus im Juni letzten Jahres 

Benedikt XVI.: Missbrauchskrise ist Glaubenskrise

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. hat ein langes Schreiben zum Thema Missbrauch veröffentlicht. Darin macht er einen Niedergang der christlichen Auffassung von Moral zwischen 1960 und 1980 als Ursache für Missbrauch aus und skizziert geistliche Wege aus der so entstandenen Krise des Glaubens und der Kirche.

Gudrun Sailer - Vatikanstadt

Das etwa 15 Seiten lange Schreiben des emeritierten Papstes erscheint mit Billigung von Papst Franziskus und Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, wie Benedikt eingangs klarstellt. Obwohl er „jetzt als Emeritus nicht mehr direkt Verantwortung“ trage, wolle er seinen Beitrag zu einem „neuen Aufbruch“ nach der Missbrauchskrise leisten. Die Agentur CNA veröffentlichte den auf Deutsch verfassten Text in der Nacht auf Donnerstag online, der emeritierte Papst will ihn nach eigenen Angaben im bayerischen „Klerusblatt“ drucken lassen.

Im ersten Teil schildert Benedikt den aus seiner Sicht dramatischen Zusammenbruch des moralischen Allgemeinzustands der Gesellschaft in den 60-er Jahren. „Zu der Physiognomie der 68er Revolution gehörte, dass nun auch Pädophilie als erlaubt und als angemessen diagnostiziert wurde“, so der emeritierte Papst.

„Es gab nicht mehr das Gute, sondern nur noch das relativ Bessere“

Zur selben Zeit und davon unabhängig habe sich „ein Zusammenbruch der katholischen Moraltheologie ereignet, der die Kirche wehrlos gegenüber den Vorgängen in der Gesellschaft machte“. Es habe sich die These durchgesetzt, dass Moral nur noch von den Zwecken her zu bestimmen sei: „Es gab nicht mehr das Gute, sondern nur noch das relativ, im Augenblick und von den Umständen abhängige Bessere.“ Diese Entwicklung habe bis in die 90er Jahre immer extremere Formen angenommen, so Benedikt XVI. unter Verweis auf die „Kölner Erklärung“ mehrerer Theologieprofessoren von 1989. Auch die moralische Lehrautorität der Kirche sei untergraben worden.

Zum Nachhören

Diese Entwicklung wirkte sich auch auf die Priesterausbildung und auf das Klima in Seminaren aus, fährt Benedikt fort. „In verschiedenen Priesterseminaren bildeten sich homosexuelle Clubs, die mehr oder weniger offen agierten und das Klima in den Seminaren deutlich veränderten.“ Auch Formen, in denen Seminaristen und verheiratete Pastoralreferenten zusammenlebten und alltäglichen Umgang mit deren Familien hatten, seien nicht hilfreich gewesen.

Rom tat sich mit dem Thema Pädophilie zunächst schwer

Die Frage der Pädophilie sei seiner Erinnerung nach „erst in der zweiten Hälfte der 80er Jahre brennend geworden“, schreibt Joseph Ratzinger. In den USA sei sie zu diesem Zeitpunkt „bereits zu einem öffentlichen Problem angewachsen“. Die Bischöfe hätten Hilfe in Rom gesucht, weil das Kirchenrecht von 1983 „nicht ausreichend schien, um die nötigen Maßnahmen zu ergreifen“. Rom habe sich mit diesem Anliegen zunächst schwergetan; die Kirchenrechtler hätten gemeint, die zeitweilige Suspension vom Priesteramt reiche aus, „um Reinigung und Klärung zu bewirken“. Nur langsam sei es zu einer Vertiefung des Strafrechts des kirchlichen Gesetzbuchs gekommen.

Er selbst sei als Präfekt der Glaubenskongregation mit Papst Johannes Paul II. übereingekommen, Angelegenheiten, die sexuelle Straftaten von Priestern betreffen, an die Glaubenskongregation zu ziehen, so der emeritierte Papst. Dieser Schritt habe die Höchststrafe für solche Vergehen ermöglicht, nämlich den Ausschluss aus dem Klerus. Zugleich habe die Zuweisung an die Glaubenskongregation unterstrichen, dass „bei solchen Verfehlungen von Klerikern letztlich der Glaube beschädigt wird: Nur wo der Glaube nicht mehr das Handeln des Menschen bestimmt, sind solche Vergehen möglich“.

Es geht nicht darum, eine „andere Kirche“ zu schaffen

Die zweite Hälfte des Schreibens widmet der emeritierte Papst der Frage, was jetzt zu tun sei. Es gehe nicht darum, eine „andere Kirche“ zu schaffen – dieses Experiment sei „bereits gemacht worden und bereits gescheitert“. Nur Gehorsam und Liebe zu Christus könne den rechten Weg weisen. Hier holt Benedikt weit aus: das erste grundlegende Geschenk des Glaubens sei die Gewissheit, dass Gott existiert, als Schöpfer und als Maßstab aller Dinge. Die Abwesenheit Gottes in einer Gesellschaft führe zum Verlust des Maßes und der Menschlichkeit.

„Das muss in besonderem Maß erschüttern“

„An einzelnen Punkten wird dann mitunter jählings spürbar, dass geradezu selbstverständlich geworden ist, was böse ist und den Menschen zerstört. So ist es mit der Pädophilie. Vor kurzem noch als durchaus rechtens theoretisiert, hat sie sich immer weiter ausgebreitet. Und nun erkennen wir mit Erschütterung, dass an unseren Kindern und Jugendlichen Dinge geschehen, die sie zu zerstören drohen. Dass sich dies auch in der Kirche und unter Priestern ausbreiten konnte, muss uns in besonderem Maß erschüttern.“

Gott muss wieder „Mittelpunkt unseres Denkens und Handelns“ werden

Den Grund, warum Pädophilie ein solches Ausmaß erreichen konnte, sieht Benedikt in der Abwesenheit Gottes. Daraus leitet der emeritierte Papst die Aufgabe an die Getauften ab, „dass wir selbst wieder anfangen, von Gott und auf ihn hin zu leben“. Gott müsse wieder „Mittelpunkt unseres Denkens, Redens und Handelns“ werden.

Auch eine Parallele zwischen Missbrauch von Minderjährigen und dem Missbrauch der Eucharistie zieht Benedikt. Vielfach sei die Eucharistie zur ehrfurchtslos empfangenen Selbstverständlichkeit geworden, zur zeremoniellen Geste. Auch hier betont der emeritierte Papst, es brauche „nicht eine von uns erdachte andere Kirche“, sondern „die Erneuerung des Glaubens an die uns geschenkte Wirklichkeit Jesu Christi im Sakrament“. Diese Notwendigkeit sei ihm gerade in Gesprächen mit Missbrauchsopfern „immer eindringlicher bewusst geworden“.

Idee einer selbstgemachten Kirche ist „ein Vorschlag des Teufels"

In einem stark säkularisierten Umfeld – Benedikt bezieht sich, ohne es direkt zu benennen, wohl auf Nordamerika und Westeuropa, namentlich Westdeutschland – fehle es der Kirche und den Gläubigen an der rechten geistlichen Ausrichtung. Die Kirche gelte nur noch als „eine Art von politischem Apparat“, und dies gelte „hin bis zu Bischöfen, die ihre Vorstellung über die Kirche von morgen weitgehend ausschließlich politisch formulieren.“ Die Krise im Zug der zahlreichen Missbrauchsfälle durch Priester dränge dazu, „die Kirche geradezu als etwas Missratenes anzusehen, das wir nun gründlich selbst neu in die Hand nehmen und neu gestalten müssen“. Eine solche selbstgemachte Kirche könne aber keine Hoffnung sein. Mehr noch, die Idee einer solcherart verbesserten Kirche sei „in Wirklichkeit ein Vorschlag des Teufels“.

Die rettende Kirche Gottes gebe es aber auch heute, fuhr der emeritierte Papst fort. „Es ist sehr wichtig, den Lügen und Halbwahrheiten des Teufels die ganze Wahrheit entgegenzustellen: Ja, es gibt Sünde in der Kirche und Böses. Aber es gibt auch heute die heilige Kirche, die unzerstörbar ist.“

(vatican news)
 

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11. April 2019, 08:44