Islam: „Toleranz war gestern, jetzt gilt Freundschaft“
Von unserem Korrespondenten Alessandro Di Bussolo - Rabat
Doch der Erzbischof von Rabat, der Spanier Cristobal Lopez Romero, zieht eine ausgesprochen positive Bilanz der Visite. „Die Zeit von Koexistenz und Toleranz ist vorüber, jetzt müssen wir zur Freundschaft mit den Muslimen übergehen und gemeinsam, von hier ausgehend, eine universelle Geschwisterlichkeit aufbauen!“
Das meint Lopez Romero ganz konkret: Das internationale Wirtschaftssystem müsse, so sagt er am Sonntagabend in einem Gespräch mit Vatican News, so verändert werden, „dass die Menschen nicht mehr zur Migration gezwungen sind“.
„Ich bin sehr glücklich, ich danke Gott für diese Gnade, die unsere Kirche in Marokko erlebt hat. Aus meiner Sicht gibt es zwei Aspekte, für die wir dankbar sein können: Der erste ist die Teilnahme und das Engagement aller. Damit meine ich den König, die marokkanischen Behörden, die christliche Gemeinschaft, das marokkanische Volk. Wirklich alle haben mit bemerkenswerter Begeisterung und Freude an dieser Reise teilgenommen. Der zweite Aspekt betrifft die Tiefe und Qualität der Botschaften: Sowohl die vier Reden des Papstes als auch die Botschaft des Königs sind es wert, studiert und in die Tat umgesetzt zu werden. Diese Botschaften gelten nicht nur für Marokko, sondern für die ganze Welt und für die Weltkirche!“
Für einen qualitativen Sprung im islamisch-christlichen Dialog
Marokko versucht ähnlich wie die Vereinigten Arabischen Emirate, die Papst Franziskus im Februar besucht hat, den toleranten Islam zu stärken – nicht zuletzt aus Angst vor Islamismus und Terror. Das gibt dem Papst bei seinem Bemühen um ein gutes christlich-islamisches Auskommen auf einmal Rückenwind.
„Nach dem, was der König und der Papst in Rabat gesagt haben, werden wir jetzt einen Schritt nach vorne machen können. Bis jetzt wurde viel von Koexistenz und Toleranz gesprochen, aber der König sagte im Beisein des Papstes, dass Toleranz eigentlich wenig sei. Das bedeutet, dass wir nun zur Freundschaft, zum gegenseitigen Kennenlernen, zur gegenseitigen Bereicherung und zur Zusammenarbeit übergehen können... Wir müssen dazu einen qualitativen Sprung im islamisch-christlichen Dialog machen. Ich weiß nicht, ob wir dazu von jetzt auf gleich in der Lage sein werden, aber das ist jedenfalls unsere Aufgabe von diesem Moment an.“
Viel Aufmerksamkeit hat bei dieser Reise das Eintreten des Papstes für Migranten auf sich gezogen. Er nannte das Phänomen der Migration eine „große und schwere Wunde, die zum Himmel schreit“.
Zehntausende von Afrikanern sind in den letzten Jahren von Marokko aus nach Spanien gelangt; nicht wenige bleiben aber auch im Land. Dort hat ihnen die Regierung zwar Zugang zum Schul- und Gesundheitswesen verschafft, doch der Alltag der Migranten in Marokko ist schwierig.
„Der Papst hat uns die vier Kernpunkte bestätigt, die wir von ihm mit Blick auf Migranten schon kannten: aufnehmen, schützen, fördern, integrieren. Wir müssen jetzt zusehen, dass wir auf diesem Weg weitergehen. Was Europa und andere Länder betrifft, müssen wir allerdings versuchen, sozusagen die Welt zu verändern. Diese Situation von Menschen, die unter unmenschlichen Bedingungen unterwegs sind, kann nicht einfach durch polizeiliche oder administrative Maßnahmen gelöst werden: Wir müssen unsere Herzen öffnen, wir müssen unsere Türen öffnen! Und wir müssen die Gesetze des internationalen Handels, das Wirtschaftssystem, so verändern, dass jeder im eigenen Land bleiben kann und nicht wegen eines Krieges oder aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen ist zu gehen. Migration ist ein Menschenrecht! Es sollte geordnet und unter Achtung der Menschenrechte möglich sein.“
Schön gesagt, doch schwer zu realisieren. Die wirtschaftliche Lage in Marokko ist heikel, die Jugendarbeitslosigkeit hoch. Immer mehr junge Leute aus Marokko selbst wollen emigrieren, weil sie kein Vertrauen in die Zukunft ihres Landes haben. Der Erzbischof von Rabat weist darauf hin, dass Islam und Christentum in Marokko schon jetzt gemeinsam den Armen helfen.
„Das ist schon jetzt im Moment ein gemeinsamer Weg. Wir arbeiten für Bildung, für die öffentliche Gesundheit, für die Förderung von Frauen zusammen, Muslime und Christen, und das muss so bleiben. Aber Barmherzigkeit ist kein Selbstzweck: Sie ist der Weg, um als Brüder und Schwestern zu leben. Das ist das Ideal: Jeder Mann ist mein Bruder. Leider glauben wir nicht so richtig daran und setzten es nicht in die Tat um... Jeder Mann ist mein Bruder! Meine Heimat ist die Welt. Meine Familie ist die Menschheit. Das sind Slogans, ja – aber Slogans, die uns zur Utopie einer universellen Geschwisterlichkeit hinführen, wie sie dem Papst vorschwebt.“
Nicht alle Christen verstehen, dass die Kirche gegen Proselytismus ist
Ziemlich hinderlich auf dem gemeinsamen Weg von Muslimen und Christen ist der Verdacht von Muslimen, dass Christen – vor allem durch ihre Sozialarbeit – versuchen, neue Anhänger zu rekrutieren und Menschen vom Islam abspenstig zu machen. „Proselytismus“ heißt so etwas – der Papst hat das Thema am Sonntag bei einem Treffen mit Priestern und Ordensleuten angesprochen.
Erzbischof Lopez Romero erklärt, es gebe leider „Christen, die es nicht verstehen, dass die Kirche keinen Proselytismus betreiben will“.
„Schon Benedikt XVI. sagte: Die Kirche wächst nicht durch Proselytismus, sondern durch Anziehungskraft, durch Zeugnis. Deshalb geht es uns als Kirche hier in Marokko gut: genau w e i l Proselytismus verboten ist. Unser Ziel besteht nicht darin, die Kundschaft der Kirche zu vergrößern: Unser Ziel ist das Reich Gottes, damit der Frieden wächst, damit es mehr Geschwisterlichkeit, Achtung vor dem Leben, mehr Liebe, mehr Wahrheit gibt. Das Reich Gottes ist also längst gegenwärtig, aber es muss weiter wachsen. Muslime sprechen nicht vom Reich Gottes – das ist eine christliche Kategorie… Ich glaube, dass Marokko eines Tages feststellen wird, dass die Christen, zumindest wir Katholiken, dieses Ziel des Proselytismus nicht haben.“
(vatican news – sk)
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