Papst-Kreuzweg am Kolosseum: Mit den Sklavinnen unserer Tage
„Mit Christus und den Frauen auf dem Kreuzweg“ nannte die Schwester ihre Meditationen. In den 14 Stationen des traditionellen Kreuzwegs bot sie Einblicke in die Realität des Menschenhandels, Szenen, die sie in Beziehung zu den Stationen der Passion Jesu vom Todesurteil bis zur Grablege setzte. An mehreren Stellen schilderten die Meditationen Akte von extremer Gewalt und Hass gegen junge Ausländerinnen.
„Herr, erbarme dich der vielen, allzu vielen Mütter, die ihre jungen Töchter nach Europa gehen ließen, in der Hoffnung, ihren Familien in extremer Armut zu helfen, die dabei jedoch Demütigung, Verachtung und manchmal sogar den Tod erlitten haben. Wie die junge Tina, die im Alter von nur zwanzig Jahren auf der Straße barbarisch getötet wurde und ein nur wenige Monate altes Kind hinterließ“, heißt es in der vierten Station, in der Jesus seiner Mutter begegnet.
Eine andere Betrachtung würdigte den Einsatz freiwilliger Helfer, der guten Samariter von heute. Und wieder ein Schlaglicht auf eine der rohen Szenen des Menschenhandels, die sich auf den Straßen Roms zutrug: drei halbwüchsige Zwangsprostituierte kauern nachts am Straßenstrich und wärmen sich an einem offenen Feuer, vorbeifahrende Jugendliche werfen aus Spaß brennbares Material auf sie, die drei Mädchen erleiden schwerste Verbrennungen, Freiwillige bringen sie ins Krankenhaus, nehmen sie nachher in ein familiäres Zuhause auf.
Bei der Station über Simon von Zyrene, der dem biblischen Bericht zufolge Jesus das Kreuz tragen half, spricht die Meditation über die Erfahrung einer Gruppe von Ordensfrauen, die jede Woche illegale Migrantinnen in einem Heim besuchen. „Diese Frauen, die meist jung sind, warten darauf zu erfahren, wie es in ihrem Leben weitergeht, ob sie abgeschoben werden oder bleiben können. Wie viel Leid begegnen wir da. Welche Freude ist es aber auch für diese Frauen, wenn da Ordensfrauen vor ihnen stehen, die aus ihren Ländern kommen, die ihre Sprachen sprechen, die ihre Tränen trocknen, die mit ihnen beten und feiern und die langen Monate zwischen Gitterstäben und Beton etwas erträglicher machen!“
Eindringlich beklagt die Kreuzweg-Meditation die Gleichgültigkeit wohlhabender Europäer für das Schicksal dieser Frauen und anderer vernachlässigter Menschen. Es sei einfach, ein „Kreuz am Hals zu tragen oder es als Zierrat an den Wänden unserer schönen Kathedralen oder unserer Häuser aufzuhängen“, heißt es an einer Stelle, „aber es ist nicht so einfach, den neuen Gekreuzigten von heute zu begegnen und sie zu erkennen“: Obdachlose, junge Arbeitslose, Migranten, deren Baracken abgefackelt werden, ausgebeutete und vergessene Frauen und Männer, wegen ihrer Hautfarbe gedemütigte Kinder.
Die Meditationen ergreifen Partei: Sie lenken den Blick auf Seenotretter, auf 26 Särge mit 26 ertrunkenen Nigerianerinnen, auf Bürokraten, die Schiffen das Anlaufen von Häfen verwehren, auf Regierungen, die „eingeschlossen in den Palästen der Macht“ debattieren, während sich die Sahara und das Mittelmeer mit Toten füllen und wohlbestallte Zeitgenossen das alles hinnehmen, ja befürworten. „Unsere Gesellschaft proklamiert die Gleichheit der Rechte und der Würde aller Menschen. Aber sie praktiziert und toleriert Ungleichheit und akzeptiert dabei selbst die extremsten Formen”, heißt es zur elften Station. „Männer, Frauen und Kinder werden von neuen Menschenhändlern als Sklaven gekauft und verkauft. Diese Opfer des Menschenhandels werden dann von anderen ausgebeutet und schließlich weggeworfen wie wertlose Ware. Wie viele Menschen werden dadurch reich, dass sie vom Fleisch und Blut der Armen leben!” Menschen würden „auch heute an ein Kreuz genagelt als Opfer unmenschlicher Ausbeutung“. Ihr Hilfeschrei fordere „uns als Männer und Frauen, als Regierungen, als Gesellschaft und als Kirche heraus.“
Das letzte Gebet des Kreuzwegs lenkt den Blick auf die Auferstehung, auf die Wachheit der Frauen und der gläubigen Menschen. „Lehre uns wach zu bleiben, zusammen mit deiner Mutter und den Frauen, die dich nach Golgota begleitet und auf deine Auferstehung gewartet haben“, so der Text. „Deine Auferstehung sei ein Leuchtfeuer der Hoffnung, der Freude, des neuen Lebens, der Geschwisterlichkeit, der Annahme und der Gemeinschaft zwischen Völkern, Religionen und Gesetzen.“
Papst Franziskus sprach am Ende des Kreuzwegs seinerseits ein Gebet. Am nächtlich erleuchteten Kolosseum richtete er die Bitte an Jesus, „in deinem Kreuz alle Kreuze der Welt zu sehen“. Er ging auf Hunger, Kriege und Ungerechtigkeiten, Umweltzerstörung, den Umgang mit Migration, aber auch innerkirchliche Probleme ein. Die Kirche habe Schwierigkeiten, die Liebe Gottes zu verbreiten, „sogar unter den Getauften". Sie fühle sich „beständig angegriffen, von innen wie außen", so der Papst. Er spielte auch auf Misshandlungen Minderjähriger an, als er das „das Kreuz der Kleinen" erwähnte, die „in ihrer Unschuld und Reinheit verletzt" würden. Mehr als 15.000 Menschen nahmen nach Vatikan-Angaben an dem Kreuzweg beim Kolosseum teil.
(vatican news – gs)
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