Suche

Papst Franziskus mit roter Rose in Rakowski Papst Franziskus mit roter Rose in Rakowski 

Im Wortlaut: Papst beim Treffen mit Katholiken in Bulgarien

Wir dokumentieren hier im Wortlaut den vorbereiteten Redetext von Papst Franziskus bei der Begegnung mit der katholischen Gemeinschaft in Rakowski in Bulgarien. Die zahlreichen freien Einschübe des Papstes sind an dieser Stelle nicht berücksichtigt - die offizielle Übersetzung können Sie zu einem späteren Zeitpunkt unter www.vatican.va einsehen.

Liebe Brüder und Schwestern,

einen schönen Nachmittag! Ich danke euch für die herzliche Begrüßung, für die Tänze und die Zeugnisse. Es ist immer eine Freude, dem heiligen Volk Gottes in seinen tausend Gesichtern und Charismen zu begegnen.

Bischof Iovčev hat mich gebeten, euch zu helfen, „mit den Augen des Glaubens und der Liebe zu sehen“. Zunächst möchte ich mich bei euch dafür bedanken, dass ihr mir geholfen habt, den Grund mehr zu sehen und besser zu verstehen, weshalb der heilige Johannes XXIII. dieses Land so sehr geliebt hat und es für ihn so bedeutsam war. Hier hat der Herr das vorbereitet, was für unseren kirchlichen Weg ein wichtiger Schritt werden sollte. In eurer Mitte keimte eine starke Freundschaft mit den orthodoxen Brüdern auf, die ihm den Weg zur Schaffung der erhofften zarten Brüderlichkeit zwischen den Personen und den Gemeinschaften ebnete.

Mit den Augen des Glaubens sehen. Ich will hier an die Worte des „guten Papstes“ erinnern, der sein Herz mit dem des Herrn so in Einklang zu bringen wusste, dass er sagen konnte, nicht mit denen einverstanden zu sein, die um sich herum nur Böses sahen. Er nannte sie Unglückspropheten. Seiner Meinung nach sollte man Vertrauen in die göttliche Vorsehung haben. Sie begleitet uns immer und kann inmitten von Widerständen höhere und unerwartete Pläne verwirklichen (vgl. Ansprache zur Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils, 11. Oktober 1962).

Menschen Gottes sind die, welche gelernt haben, von der Kraft der Auferstehung her zu sehen, zu vertrauen, neu zu entdecken und sich lieben zu lassen. Sie sehen sehr wohl, dass es schwierige und besonders ungerechte Situationen und Momente gibt. Aber sie bleiben davor nicht untätig und eingeschüchtert stehen. Schlimmer ist, wenn dann ein Klima des Unglaubens, des Unbehagens oder der Missmut genährt wird. Das schadet nur der Seele, weil sie die Hoffnung schwächt und jede mögliche Lösung vereitelt. Männer und Frauen Gottes sind die, welche den Mut zum ersten Schritt haben; sie suchen auf kreative Weise, ein Beispiel zu geben, indem sie bezeugen, dass die Liebe nicht tot ist, sondern jedes Hindernis überwunden hat. Sie bringen sich ein, weil sie erkannt haben, dass sich Gott in Jesus selber eingebracht hat. Er hat sein eigenes Fleisch aufs Spiel gesetzt, damit sich niemand einsam oder verlassen fühlen kann.

In diesem Sinn will ich euch von einem Erlebnis vor einigen Stunden berichten. Heute Morgen hatte ich im Flüchtlingslager in Wraschdebna die Freude, Flüchtlingen aus verschiedenen Ländern zu begegnen, die auf der Suche sind nach einem besseren Leben, als das, was sie hinter sich gelassen haben. Es waren auch freiwillige Helfer der Caritas mit dabei. Dort wurde mir gesagt, dass das Herz dieses Flüchtlingszentrums das Bewusstsein ist, dass jeder Mensch ein Kind Gottes ist, unabhängig von der ethnischen Herkunft oder dem religiösen Bekenntnis. Um jemanden zu lieben, brauche ich nicht nach seinem Lebenslauf zu fragen; die Liebe geht voraus, kommt zuvor. Weil sie nämlich unentgeltlich ist. In diesem Caritaszentrum gibt es viele Christen, die gelernt haben, mit den Augen des Herrn zu sehen, der sich nicht bei den Adjektiven aufhält, sondern jeden mit den Augen des Vaters sucht und erwartet. Mit den Augen des Glaubens sehen lädt dazu ein, sein Leben nicht damit zu verbringen, den Leuten Etiketten umzuhängen, je nachdem, ob jemand liebenswert ist oder nicht. Es geht darum, nach den Bedingungen zu suchen, damit jede Person sich geliebt fühlen kann, besonders die, welche sich von Gott vergessen fühlt, weil sie von ihren Mitmenschen vergessen wurde. Wer liebt, verschwendet nicht seine Zeit mit Selbstmitleid, sondern findet immer etwas Konkretes zu tun. In diesem Zentrum habt ihr gelernt, die Probleme zu sehen, zu erkennen und anzugehen; ihr lasst euch herausfordern und versucht, mit den Augen des Herrn die Unterscheidungen zu treffen. So sagt das Papst Johannes XXIII.: „Ich habe nie einen Pessimisten getroffen, der etwas Gutes hervorgebracht hätte“. Der Herr selbst ist kein Pessimist; immer versucht er uns Wege der Auferstehung zu eröffnen. Wie schön, wenn unsere Gemeinschaften Baustellen der Hoffnung sind!

Um aber den Blick Gottes einzunehmen, brauche wir die anderen; sie müssen uns beibringen, wie Jesus zu sehen und zu fühlen, damit unser Herz mit seinen eigenen Gefühlen schlagen kann. So hat mir sehr gefallen, als Mitko und Miroslava mit ihrem kleinen Engel Biyana erzählt haben, dass für sie die Pfarrei immer wie eine zweite Heimat ist, ein Ort, an dem sie durch das gemeinschaftliche Gebet und die Unterstützung der lieben Mitmenschen immer die Kraft zum Weitermachen finden.

So wird die Pfarrei zu einer Heimat inmitten der vielen Behausungen und vergegenwärtigt den Herrn gerade dort, wo jede Familie und jeder Mensch sein tägliches Brot zu verdienen bemüht ist. Dort, an der Kreuzung der Straßen, steht der Herr, der uns nicht mit einer Verordnung retten wollte, sondern der in das Innerste unserer Familien gekommen ist und kommen will und uns, wie einst zu den Jüngern, sagen will: »Friede sei mit euch!« (Joh 20, 19.21).

Ich freue mich, dass ihr diesen „Leitspruch“ gut findet, den ich gerne den Eheleuten mitgebe: „Nie im Streit schlafen gehen, nicht mal eine Nacht“ (und scheinbar funktioniert das bei euch). Ein Leitspruch, der auch für uns Christen alle nützlich sein kann. Natürlich geht man, wie auch ihr erzählt habt, durch verschiedene Prüfungen; deshalb muss man aufpassen, dass nie Zorn, Verstimmung oder Bitterkeit das Herz in Beschlag nehmen. Darin müssen wir uns gegenseitig helfen, wir müssen dafür Sorge tragen, dass die Flamme, die der Geist in unserem Herzen entzündet hat, nicht erlischt.

Ihr erkennt an und seid dafür dankbar, dass eure Priester und eure Schwestern sich um euch kümmern. Aber als ich euch zugehört habe, hat mich besonders der Priester gerührt, der nicht davon erzählte, wie gut er seinen Dienst in all den Jahren geleistet hat, sondern von den Menschen berichtete, die Gott an seine Seite gestellt hat, um ihm zu helfen, ein guter Diener Gottes zu werden.

Das Volk Gottes dankt seinem Hirten, und der Hirte erkennt seinerseits an, dass er mit der Hilfe seiner Leute, seiner Familie und inmitten seiner Familie lernt, zu glauben. Eine lebendige Gemeinschaft, die trägt, begleitet, integriert und bereichert. Nie getrennt, sondern zusammen; so lernt jeder, ein Zeichen für und ein Segen von Gott für die anderen zu sein. Der Priester verliert ohne sein Volk seine Identität; das Volk kann sich ohne seine Hirten aufsplittern. Das ist die Einheit von dem Hirten, der sein Volk stärkt und für es kämpft, und dem Volk, das seinen Hirten stärkt und für ihn kämpft. Jeder widmet sein Leben dem Nächsten. Niemand kann nur für sich selbst leben, wir leben für die anderen. Das ist das priesterliche Volk, dass zusammen mit dem Priester sagen kann: „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird“. So lernen wir, eine Kirche/Familie/Gemeinschaft zu sein, die aufnimmt, zuhört, begleitet, sich um den Nächsten sorgt und so ihr wahres Gesicht zeigt, das Antlitz einer Mutter. Die Kirche als Mutter, welche die Sorgen der Kinder mitlebt und zu ihren eigenen macht, ohne vorgefertigte Antworten, sondern gemeinsam auf der Suche nach Wegen des Lebens und der Versöhnung; dabei versucht sie, das Reich Gottes zu vergegenwärtigen. Kirche/Familie/Gemeinschaft, welche die Knoten des Lebens, die oft wie große Wollknäuel sind, angeht und sie, bevor sie diese zu lösen versucht, als die ihrigen annimmt, sie in ihre Hände aufnimmt und sie liebt.

Eine Familie unter Familien, die, wie uns die Schwester sagte, offen dafür ist, der heutigen Welt den Glauben, die Hoffnung und die Liebe zum Herrn und zu denen, die er besonders liebt, zu bezeugen. Ein Haus mit offenen Türen.

In diesem Sinn habe ich eine „Hausaufgabe“ für euch. Ihr seid im Glauben Kinder der großen Zeugen, die in diesem Land mit ihrem Leben die Liebe des Herrn bezeugt haben. Die Brüder Cyrill und Methodius, heilige Männer mit großen Träumen, waren überzeugt davon, dass die beste Weise, von Gott zu reden, das Reden in der eigenen Sprache war. Deshalb hatten sie den Mut, die Bibel zu übersetzen, damit niemand ohne das Wort verbliebe, das Leben verleiht.

Ein offenes Haus zu sein verlangt auch heute, auf den Spuren von Cyrill und Methodius, mutig und kreativ zu sein. Wir müssen uns fragen, wie wir die Liebe, die Gott für uns empfindet, in einer konkreten und für die junge Generation verständlichen Art übersetzen können. Denn wir wissen und erleben: »Junge Menschen finden in den üblichen Strukturen oft keine Antworten auf das, was sie bewegt, auf ihre Bedürfnisse, Probleme und Verwundungen« (Apostolisches Schreiben Christus vivit, 202). Das verlangt von uns eine erneute Ideensuche für unsere pastoralen Einsätze. Als eine Gemeinschaft und Familie, die trägt, begleitet und dazu einlädt, hoffnungsvoll auf die Zukunft zu blicken, sollen wir versuchen ihre Herzen zu erreichen, ihre Erwartungen zu kennen und ihre Träume zu ermutigen. Eine große Versuchung innerhalb neuen Generation ist der Mangel an Wurzeln, die sie tragen könnten. Das führt zu Haltlosigkeit und großer Einsamkeit. Unsere Jugendlichen bleiben oft gerade dann, wenn sie ihre eigenen Fähigkeiten voll einsetzen wollen, auf halber Strecke stecken, aufgrund von Frustrationen oder Enttäuschungen, die sie erleben. Sie besitzen keine Wurzeln, auf die sie sich stützen können, um nach vorne zu schauen (vgl. ebd., 179-186). Das wird noch schlimmer, wenn sie sich gezwungen sehen, das eigene Land, die eigene Heimat, die eigene Familie zu verlassen.

Wir sollten keine Angst haben, neue Herausforderungen anzunehmen. Dabei müssen wir uns aber mit jedem Mittel dafür einsetzen, dass unseren Gläubigen nie das Licht und der Trost fehlen, die aus der Freundschaft mit Jesus und einer Glaubensgemeinschaft stammen, welche diese stärkt, und dass ihnen nie der anziehende und Erneuerung weckende Horizont fehlt, aus dem sie Sinn und Leben schöpfen (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 49). Wir dürfen nicht vergessen, dass die schönsten Kapitel im Leben der Kirche dann geschrieben wurden, wenn sich das Volk Gottes kreativ auf den Weg gemacht hat, um gegenüber der jeweiligen Herausforderung die Liebe Gottes in jeden Augenblick der Geschichte hinein zu übersetzen. Es ist schön zu wissen, dass ihr auf eine großartige erlebte Geschichte zählen könnt. Aber es ist noch schöner, sich bewusst zu machen, dass es euch aufgetragen ist, das zu schreiben, was im Kommen ist. Werdet nicht müde, eine Kirche zu sein, die inmitten von Widerständen, Leid und Armut weiter die Kinder hervorbringt, welche dieses Land heute am Beginn des 21. Jahrhunderts braucht. Habt ein offenes Ohr für das Evangelium und gleichzeitig für das Herz eures Volkes.

Ich danke euch für dieses schöne Treffen. In Erinnerung an Papst Johannes XXIII. wünsche ich mir, dass mein Segen jetzt wie eine Liebkosung des Herrn für jeden von euch sei.

(vatican news)

Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.

06. Mai 2019, 12:58