Im Wortlaut: Der Papst zu Jugendlichen in Skopje
Liebe Freunde,
diese Begegnungen sind immer ein Grund zur Freude und zur Hoffnung. Danke dafür, dass ihr dies ermöglicht habt und dass ihr mir diese Möglichkeit schenkt. Herzlichen Dank für euren Tanz und eure Fragen. Ich hatte sie bekommen und kannte sie, und so habe ich einige Punkte für dieses Treffen vorbereitet.
Ich beginne mit der Letzten (wie der Herr sagte, die Letzten werden die Ersten sein). Liridona, nachdem du mit uns deine Wünsche geteilt hast, hast du mich gefragt: »Träume ich zu viel?«. Eine sehr schöne Frage, auf die ich gerne gemeinsam mit euch antworten würde. Was meint ihr, träumt Liridona zu viel?
Ich möchte euch sagen: Man träumt nie zu viel. Eines der Hauptprobleme von heute und von vielen jungen Menschen ist, dass sie die Fähigkeit zu träumen verloren haben. Sie träumen weder viel noch wenig, sie träumen gar nicht. Und wenn ein Mensch nicht träumt, wenn ein junger Mensch nicht träumt, wird dieser Raum vom Klagen und von der Resignation eingenommen. »Das überlassen wir denen, die der „Klagegöttin“ nachfolgen […] Sie ist eine Täuschung: sie führt dich auf den falschen Weg. Wenn alles stillzustehen und zu stagnieren scheint, wenn persönliche Probleme uns beunruhigen, soziale Schwierigkeiten keine angemessenen Antworten finden, dann ist es nicht gut, sich geschlagen zu geben« (Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christus vivit, 141). Aus diesem Grund, liebe Liridona, liebe Freunde, träumt man nie, nie zu viel. Versucht an eure großartigsten Träume zu denken, an solche wie den Traum von Liridona – erinnert ihr euch? Einer müden Welt Hoffnung geben, zusammen mit anderen, Christen und Muslimen. Zweifellos ist das ein sehr schöner Traum. Sie hat nicht an kleine Dinge gedacht, „sie hat den Ball nicht flach gehalten“, sondern sie träumte einen großen Traum.
Vor einigen Monaten hatten auch wir mit einem Freund, dem Großimam von Al-Azhar Ahmad Al-Tayyeb, einen Traum, der dem deinen sehr ähnlich war, und der uns dazu gebracht hat, dass wir etwas tun wollten und ein Dokument unterschrieben haben, das besagt, dass der Glaube uns Gläubige dazu bringen muss, in den anderen Brüder und Schwestern zu sehen, die wir unterstützen und lieben müssen, ohne uns von kleinlichen Interessen manipulieren zu lassen. Es gibt keine Altersbeschränkung für das Träumen..... Träumt, und träumt von Großem!
Und das lässt mich an das denken, was Bozanka uns gesagt hat: dass ihr jungen Leute Abenteuer liebt. Und ich bin froh, dass das so ist, denn dies ist eine schöne Art, jung zu sein: ein Abenteuer zu erleben, ein gutes Abenteuer. Der junge Mensch hat keine Angst, sein Leben zu einem guten Abenteuer zu machen. Und ich frage euch: Welches Abenteuer erfordert mehr Mut als der Traum, den Liridona mit uns teilte, nämlich einer müden Welt Hoffnung zu geben? Die Welt ist müde, die Welt ist uneins und es scheint vorteilhaft, sie und uns noch mehr zu spalten. Wie kraftvoll erklingen da die Worte des Herrn: »Selig die Frieden stiften, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden« (Mt 5,9)! Was setzt mehr Adrenalin frei, als sich jeden Tag mit Hingabe darum zu bemühen, Handwerker der Träume und Handwerker der Hoffnung zu sein? Träume helfen uns, die Gewissheit lebendig zu halten, dass eine andere Welt möglich ist und dass wir dazu berufen sind, uns in sie einzubringen und mit unserer Arbeit, unserem Engagement und unserem Handeln daran teilzuhaben.
In diesem Land gibt es eine schöne Tradition, die der Steinmetze, die geschickt darin sind, Steine zu schneiden und zu bearbeiten. Ja, man muss wie diese Künstler vorgehen und ein guter Steinmetz seiner Träume werden. Ein Steinmetz nimmt den Stein in seine Hände und beginnt ihm langsam Form zu geben und ihn zu verändern, mit Einsatz und Mühe, vor allem aber mit dem großen Wunsch, zu sehen, wie dieser Stein, für den niemand etwas gegeben hätte, zu einem Kunstwerk wird.
»Die schönsten Träume erkämpft man mit Hoffnung, Geduld, Einsatz und Verzicht auf Eile. Zugleich darf man sich nicht von der Unsicherheit blockieren lassen; man sollte keine Furcht haben, etwas aufs Spiel zu setzen und Fehler zu machen. Eher müssen wir Angst haben, wie gelähmt zu leben, wie lebendige Tote, die zu leblosen Individuen wurden, weil sie kein Risiko eingehen wollen, weil sie sich nicht für ihre Belange einsetzen oder weil sie Angst haben, etwas falsch zu machen. Selbst wenn du einen Fehler machst, kannst du immer wieder aufstehen und neu anfangen. Niemand hat das Recht, dir die Hoffnung zu rauben« (Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christus Vivit, 142). Habt keine Angst, Handwerker der Träume und der Hoffnung zu werden.
»Es ist wahr: Wir Mitglieder der Kirche dürfen keine seltsamen Gestalten sein. Alle müssen uns als Geschwister und Nachbarn erleben können wie die Apostel, die „Gunst beim ganzen Volk“ fanden (Apg 2,47, vgl. 4,21.23; 5,13). Zugleich müssen wir allerdings den Mut haben, anders zu sein, andere Träume zu zeigen, die die Welt nicht geben kann, und Zeugnis zu geben für die Schönheit der Großherzigkeit, des Dienstes, der Reinheit, der Stärke, der Vergebung, der Treue zur eigenen Berufung, des Gebets, des Kampfes für die Gerechtigkeit und für das Gemeinwohl, der Liebe für die Armen und der sozialen Freundschaft« (ebd., 36).
Denkt an Mutter Teresa: Als sie hier lebte, konnte sie sich nicht vorstellen, wie ihr Leben einmal aussehen würde, aber sie hörte nie auf zu träumen und hingebungsvoll stets zu versuchen, das Antlitz ihrer großen Liebe, nämlich Jesus, in all denen zu entdecken, die am Straßenrand lebten. Sie hat von Großem geträumt und aus diesem Grund hat sie auch so großartig geliebt. Sie stand hier in ihrem Land mit beiden Beinen fest auf dem Boden, aber sie legte ihre Hände nicht in den Schoß. Sie wollte ein „Bleistift in den Händen Gottes“ sein. Das hier war ihr „Traumhandwerk“. Sie bot diesen Traum Gott an, sie glaubte daran, sie litt dafür, sie hat ihn nie aufgegeben. Und Gott begann, mit diesem Bleistift völlig neue und wunderbare Seiten zu schreiben.
Jeder von euch ist wie Mutter Teresa gerufen, mit den eigenen Händen zu arbeiten, das Leben ernst zu nehmen, um etwas Schönes daraus zu machen. Lassen wir nicht zu, dass uns jemand unsere Träume raubt (vgl. ebd., 17), und bringen wir uns nicht um die Neuheit, die der Herr uns schenken will. Ihr werdet dabei auf viel Unvorhergesehenes stoßen, auf vieles..., aber wichtig ist dabei, dass ihr fähig seid, damit recht umzugehen und es möglichst kreativ in Chancen zu verwandeln. Niemals allein; niemand kann alleine kämpfen. Wie Dragan und Marija uns bezeugten: „Unsere Gemeinschaft gibt uns die Kraft, uns den Herausforderungen der heutigen Gesellschaft zu stellen.“
Dies ist ein schönes Geheimnis, das es ermöglicht, zu träumen und das Leben zu einem schönen Abenteuer zu machen. Niemand kann auf sich allein gestellt das Leben meistern, man kann seinen Glauben und seine Träume nicht ohne Gemeinschaft leben, nur im eigenen Herzen oder zu Hause, eingeschlossen und isoliert zwischen vier Mauern. Es braucht eine Gemeinschaft, die uns unterstützt, die uns hilft und in der wir uns gegenseitig helfen, nach vorne zu schauen.
Wie wichtig ist es, gemeinsam zu träumen! Wie ihr es heute tut: hier, alle vereint, ohne Barrieren. Bitte träumt gemeinsam, nicht allein; mit den anderen, nie gegen die anderen. Allein steht man in der Gefahr der Illusion, die einen etwas sehen lässt, das gar nicht da ist; zusammen jedoch entwickelt man Träume.
Dragan und Marija sagten uns, wie schwierig das ist, wenn uns alles in die Einsamkeit zu treiben scheint und uns damit um die Chance der Begegnung bringt. Wisst ihr, welche Lektion die beste war, die ich im Lauf meiner Jahre (und das sind nicht wenige), in meinem ganzen Leben, gelernt und erlebt habe? Das „von Angesicht zu Angesicht“. Wir leben im Zeitalter der Vernetzung, aber wir wissen wenig über Kommunikation. Man ist heute miteinander sehr vernetzt aber man nimmt kaum Anteil am Leben der anderen. Weil solche Anteilnahme das Leben erfordert und verlangt, dass man da ist und schöne Momente miteinander teilt... und auch die weniger schönen. Auf der Synode, die letztes Jahr den Jugendlichen gewidmet war, konnten wir, Junge und weniger Junge, die Erfahrung solch einer Begegnung von Angesicht zu Angesicht machen und einander zuhören, gemeinsam träumen, mit Hoffnung und Dankbarkeit nach vorne schauen. Das war das beste Gegenmittel gegen Entmutigung und Manipulation, gegen die Kultur des Flüchtigen und der falschen Propheten, die nur Unglück und Zerstörung ankündigen: hören und einander zuhören. Und erlaubt mir, euch etwas zu sagen, das mir wirklich am Herzen liegt: gönnt euch die Chance guter persönlicher Beziehungen zu allen und genießt es, pflegt dieses „von Angesicht zu Angesicht“ besonders mit euren Großeltern, mit den älteren Menschen eurer Gemeinschaft. Vielleicht hat mich das schon mal jemand sagen gehört, aber ich denke, das ist ein Gegenmittel gegen all jene, die euch in der Gegenwart einsperren wollen, um euch zu ertränken und zu ersticken mit dem Druck und den Forderungen eines vermeintlichen Glücks, wo es scheint, als ginge die Welt bald unter und man müsse alles sofort tun und erleben. Dies führt im Laufe der Zeit zu viel Angst, Unzufriedenheit und Resignation. Für ein Herz, das an Resignation erkrankt ist, gibt es kein besseres Mittel, als den Erfahrungen der älteren Menschen zuzuhören.
Freunde, verbringt Zeit mit euren Alten, mit euren älteren Mitmenschen, hört euch ihre langen Geschichten an, die manchmal phantasievoll erscheinen, aber in Wirklichkeit voll wertvoller Erfahrung, vielsagender Zeichen und verborgener Weisheit sind, die es zu entdecken und zur Geltung zu bringen gilt. Das sind Geschichten, die Zeit brauchen (vgl. Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christus Vivit, 195). Vergessen wir nicht das Sprichwort, dass ein Zwerg weiter in die Ferne schauen kann, wenn er auf den Schultern eines Riesen steht. Auf diese Weise werdet ihr eine Sicht haben wie nie zuvor. Tretet ohne Scham oder Komplexe ein in die Weisheit eures Volkes, eurer Mitmenschen, und ihr werdet eine Quelle überraschender Kreativität finden, die allem Fülle verleiht, die euch erlaubt, dort Straßen zu sehen, wo andere nur Mauern sehen, Möglichkeiten, wo andere Gefahr sehen, Auferstehung, wo viele nur Tod verkünden.
Vielen Dank, liebe Jugendliche, für dieses Treffen. In euren Zeugnissen und Fragen finde ich eine Unruhe, ein Träumen, ein Suchen, all das ist ein fruchtbarer Boden, auf dem große Dinge in eurem Leben entstehen können. Es gibt mir viel Hoffnung, junge Menschen zu sehen, die mit vorgefertigten Etiketten nichts anfangen können und die die Spaltungen der Vergangenheit und der Gegenwart nicht mehr mittragen wollen; sie gehen darüber hinaus; sie akzeptieren die Mentalität der Wegwerfgesellschaft nicht und bringen sich ein. Es sind junge Menschen, die sich Zeit nehmen, um den Armen zu dienen, das menschliche Leben zu verteidigen und die Familie zu fördern; junge Menschen, die sich nicht mit Korruption abfinden und für Recht und Ordnung kämpfen; junge Menschen, die erkennen, dass das gemeinsame Haus krank ist und die sich dafür einsetzen, es zu reinigen. Auf diese Weise, liebe Freunde, seid ihr Handwerker der Hoffnung.
Und wenn eure Träume schwächer werden und es euch schwer wird ums Herz, dann sucht nach einer Gemeinschaft, nehmt euch bei der Hand und erinnert euch daran, dass es jemanden gibt, der will, dass ihr lebt (vgl. ebd., 1)!
Möge der Barmherzige und Gütige – wie er von unseren muslimischen Brüdern und Schwestern oft genannt wird – euch stärken und dafür Sorge tragen, dass ihr das, wovon ihr in euren Herzen träumt, Tag für Tag mit euren Händen verwandeln könnt.
Bevor wir zum Schluss kommen, beten wir gemeinsam dieses Gebet von Mutter Teresa, damit diese Gewissheit sich in die Herzen von uns allen einprägt und in unserem Leben Umsetzung findet.
Bedarfst du meiner Hände, Herr?
(Gebet von Mutter Teresa)
Bedarfst du meiner Hände, Herr,
damit sie an diesem Tag den Kranken
und Armen helfen, die sie brauchen?
Herr, dir gebe ich heute meine Hände.
Bedarfst du meiner Füße, Herr,
damit sie an diesem Tag
mich zu jenen tragen,
die einen Freund brauchen?
Herr, dir gebe ich heute meine Füße.
Bedarfst du meiner Stimme, Herr,
damit ich an diesem Tag zu allen spreche,
die dein Wort der Liebe brauchen?
Herr, dir gebe ich heute meine Stimme.
Bedarfst du meines Herzens, Herr,
damit ich an diesem Tag
einen jeden, ohne Ausnahme, liebe?
Herr, dir gebe ich heute mein Herz.
(vatican news)
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