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Papst Franziskus an Caritas: „Nicht alles obsessiv organisieren“

Mit einer Messfeier in St. Peter hat Papst Franziskus am Donnerstag Abend die Generalversammlung von Caritas Internationalis, dem internationalen Caritas-Netzwerk, eröffnet. Hier lesen Sie seine Predigt im vollen Wortlaut in einer Radio-Vatikan-Arbeitsübersetzung von Silvia Kritzenberger.

In der heutigen Lesung aus der Apostelgeschichte erzählt das Wort Gottes von der ersten große Versammlung in der Geschichte der Kirche. Eine unerwartete Situation war eingetreten: Die Heiden waren zum Glauben gelangt. Und da stellte sich die Frage: Müssen sie sich, wie andere auch, an alle Gebote des alten Gesetzes halten? Es war eine schwierige Entscheidung, die sie da treffen mussten, und der Herr war nicht mehr da. Warum hatte Jesus ihnen keine Anweisungen hinterlassen, keinen Vorschlag gemacht, wie man wenigstens diesen ersten „Streit“ regeln kann, könnte man sich da fragen. Ein kleiner Hinweis an die Apostel, die doch jahrelang Tag für Tag an seiner Seite waren, hätte genügt! Warum hatte Jesus keine klaren und deutlichen Regeln gegeben?

„Der Glaube ist kein Fahrplan“

Und da ist sie: die Versuchung der Leistungsorientiertheit; der Meinung, dass es der Kirche gut geht, wenn sie alles unter Kontrolle hat, wenn sie ohne große Erschütterungen lebt, ihre Agenda immer in Ordnung hat, alles unter Kontrolle... Aber der Herr geht nicht auf diese Weise vor; er sendet den Seinen keine Antwort vom Himmel, er antwortet nicht: er sendet den Heiligen Geist. Und der Geist bringt nicht die Tagesordnung, er kommt als Feuer. Jesus will nicht, dass die Kirche ein perfektes Vorzeige-Modell ist, das mit seiner Organisation zufrieden und in der Lage ist, seinen guten Namen zu verteidigen. Diese armen Ortskirchen, die sich so sehr verausgaben im Organisieren, im Planen, um alles zu klären und zu verteilen – mich quält das. Jesus hat nicht so gelebt, er ist seinen Weg gegangen, ohne die Erschütterungen des Lebens zu fürchten. Das Evangelium ist unser Lebensprogramm, darin ist alles enthalten. Es lehrt uns, dass man Probleme nicht mit einem Patentrezept angeht, dass der Glaube kein Fahrplan ist, er ist ein „Weg“ (Apg 9,2). Ein Weg, den wir gemeinsam gehen müssen, gemeinsam und mit Zuversicht. Der Bericht der Apostelgeschichte zeigt uns drei wesentliche Elemente auf, die die Kirche auf dem Weg charakterisieren: die Demut des Zuhörens, das Charisma des Miteinander, den Mut zum Verzicht.

Diese armen Ortskirchen, die sich so sehr verausgaben im Organisieren...

Beginnen wir beim Letzten, dem Mut zum Verzicht. Das Ergebnis dieses Streits war nicht, Neues aufzuzwingen, sondern Altes aufzugeben. Aber das, was die ersten Christen aufgegeben haben, war keine Kleinigkeit: Es ging um wichtige Traditionen und religiöse Gebote, die dem auserwählten Volk wichtig waren. Das, was hier auf dem Spiel stand, war die religiöse Identität. Und dennoch haben sie beschlossen, dass die Verkündigung des Herrn vor allem kommt, mehr zählt als alles andere. Um der Sendung willen, damit allen Menschen auf transparente und glaubwürdige Weise verkündet werden kann, dass Gott Liebe ist, können und müssen auch jene menschlichen Überzeugungen und Traditionen, die mehr Hindernis als Hilfe sind, hintanstehen. Die Schönheit des Verzichts. Auch wir müssen die Schönheit des Verzichts gemeinsam wiederentdecken, vor allem für uns selber. Petrus sagt, dass der Herr „ihre Herzen durch den Glauben gereinigt hat“ (vgl. Apg 15,9). Gott reinigt, vereinfacht, lässt uns oft gerade dadurch wachsen, dass er nimmt und nicht hinzufügt, wie wir es tun würden. Der wahre Glaube reinigt von Anhänglichkeiten. Um dem Herrn zu folgen, muss man zügig gehen, und um zügig gehen zu können, muss man sich befreien, leicht machen, auch wenn das seinen Preis hat. Als Kirche sind wir nicht zu Kompromissen aufgerufen, sondern dazu, evangeliumsgemäßen Elan zu zeigen. Und während wir uns so reinigen und reformieren, müssen wir jeden gattopardismo vermeiden, dürfen also nicht vorgeben, etwas zu ändern, damit in Wahrheit nichts geändert wird. Das passiert zum Beispiel, wenn man, um mit der Zeit zu gehen, die Oberfläche der Dinge ein wenig „zurecht schminkt“ – aber das ist ein „Übertünchen“, mit dem man dem Ganzen nur einen neuen Anstrich gibt. Der Herr will keine kosmetischen Anpassungen, er will die Umkehr der Herzen, die über den Verzicht erfolgt. Die wichtigste Reform ist es, aus uns selbst herauszugehen.

Nie auf andere herabblicken

Und wie haben das die ersten Christen geschafft? Sie sind über die Demut des Zuhörens zum Mut des Verzichts gelangt. Sie haben sich darin geübt, ihre Eigeninteressen hintanzustellen: Jeder lässt den anderen sprechen und ist auch bereit, seine eigenen Überzeugungen zu revidieren. Nur wer die Stimme des anderen wirklich an sich heranlässt, kann auch zuhören. Und wenn das Interesse an den anderen wächst, nimmt das Eigeninteresse ab. Man wird demütig, wenn man dem Weg des Zuhörens folgt, einem Weg, der uns davor bewahrt, nur nach Selbstbestätigung zu streben, unsere Interessen und Überzeugungen mit allen Mitteln durchboxen zu wollen. Demut entsteht dann, wenn man nicht spricht, sondern zuhört; wenn man aufhört, im Mittelpunkt zu stehen. Und sie wächst durch die Erniedrigung. Das ist der Weg des demütigen Dienstes: der Weg, den Jesus gegangen ist. Auf diesem Weg der Liebe passiert es, dass der Geist herabkommt und Orientierung gibt.

Wer den Weg der Nächstenliebe gehen will, für den bedeuten Demut und Zuhören, dass er ein offenes Ohr für die Kleinen, die Geringsten, haben muss. Schauen wir uns noch einmal die ersten Christen an: Alle schweigen, um Barnabas und Paulus zuzuhören. Sie waren Neulinge, aber sie hörten ihnen zu, ließen sie erzählen, welch große Zeichen und Wunder Gott durch sie unter den Heiden getan hatte (vgl. V. 12). Es ist wichtig, stets auf die Stimme aller zu hören, besonders die der Kleinen und Geringsten. In der Welt finden die mehr Gehör, die mehr Mittel haben, aber unter uns darf das nicht so sein, denn Gott liebt es, sich durch die Kleinen und Geringsten zu offenbaren. Und er bittet uns, nie auf andere herabzublicken! Man darf jemanden nur von oben nach unten ansehen, wenn man ihm beim Aufstehen hilft – das ist der einzige Fall, ansonsten darf man das nicht!

Auf das Leben hören

Und dann ist noch etwas anderes wichtig: auf das Leben hören: Paulus und Barnabas erzählen von Erfahrungen, nicht von Ideen. Und auf diese Weise geschieht Unterscheidung in der Kirche: nicht vor dem Computer, sondern mit Blick auf die Realität der Menschen. Über Ideen kann man diskutieren, aber die Situationen muss man unterscheiden. Menschen vor Programmen kommen lassen, den demütigen Blick derer haben, die wissen, wie man in den anderen die Gegenwart Gottes sucht, der nicht in den großartigen Dingen wohnt, die wir tun, sondern in der Kleinheit der Armen, denen wir begegnen. Wenn wir sie nicht sehen, sehen wir am Ende immer nur uns selbst; und dann sind sie für uns nichts anderes als Werkzeuge, die wir für unsere Selbstbestätigung brauchen. Dann bedienen wir uns der anderen.

„Bitten wir den Herrn, uns von der Leistungsorientiertheit zu befreien“

Der Weg von der Demut des Zuhörens bis zum Mut des Verzichts führt über das Charisma des Miteinander. Und so hat ja auch im Streit in der frühen Kirche die Einheit immer Vorrang vor den Unterschieden. Was für sie alle an erster Stelle kommt, sind nicht die eigenen Vorlieben und Strategien, sondern das Gefühl, Kirche Jesu zu sein, die um Petrus versammelt ist – in der Einheit, die nicht Uniformität, sondern Gemeinschaft schafft. Niemand wusste alles, niemand konnte den Anspruch stellen, alle Charismen miteinander zu besitzen, aber jeder hielt am Charisma des Miteinander fest. Das ist wichtig, denn nur wer sich selbst wirklich liebt, kann auch wirklich Gutes tun. Was war das Geheimnis dieser Christen? Sie hatten unterschiedliche Empfindungen und Orientierungen, es gab auch starke Persönlichkeiten unter ihnen – aber es gab eben auch diese Kraft, einander im Herrn zu lieben. Wir sehen es bei Jakobus, der, als er am Schluss das Wort ergriff, nicht viele eigene Worte machte, sondern das Wort Gottes zitierte. Das Wort sprechen lassen.... Die Stimmen des Teufels und der Welt bringen Spaltung, die Stimme des Guten Hirten lässt eine Herde entstehen, die eins ist. So gründet sich Gemeinschaft auf das Wort Gottes und bleibt in seiner Liebe.

„Bleibt in meiner Liebe“ (Joh 15,9): Das ist es, was Jesus im Evangelium verlangt. Und wie machen wir das? Durch unsere Nähe zu ihm, dem gebrochenen Brot. Das hilft uns, vor dem Tabernakel zu stehen, vor den vielen lebendigen Tabernakeln zu stehen, die die Armen sind. Die Eucharistie und die Armen, fester Tabernakel und bewegliche Tabernakel: dort ist es, wo man in der Liebe bleibt und die Mentalität des gebrochenen Brotes in sich aufnimmt. Dort können wir das „Wie“ verstehen, von dem Jesus spricht: „Wie der Vater mich geliebt hat, habe auch ich euch geliebt.“ Und wie hat der Vater Jesus geliebt? Indem er ihm alles gegeben, nichts für sich behalten hat. Wir sagen es im Glaubensbekenntnis: „Gott von Gott, Licht vom Licht“; er hat ihm alles gegeben. Wenn wir dagegen zögerlich sind im Geben, wenn wir unsere Eigeninteressen an die erste Stelle stellen, dann machen wir es nicht wie Gott, dann sind wir keine freie und befreiende Kirche. Jesus bittet uns, in Ihm zu bleiben, nicht in unseren Ideen; den Anspruch aufzugeben, alles kontrollieren und leiten zu wollen. Er bittet uns, den anderen zu vertrauen, uns den anderen zu schenken. Bitten wir den Herrn, uns von der Leistungsorientiertheit, von der Weltverhaftung, von der subtilen Versuchung zu befreien, uns selbst und unsere Leistungen anzubeten, vom obsessiven Organisieren. Bitten wir um die Gnade, den Weg anzunehmen, den uns das Wort Gottes vorgegeben hat: Demut, Miteinander, Verzicht.

(vatican news)
 

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Eindrücke von der Papstmesse
23. Mai 2019, 17:48