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Papst Franziskus und Patriarch Daniel in der orthodoxen Kathedrale von Bukarest Papst Franziskus und Patriarch Daniel in der orthodoxen Kathedrale von Bukarest 

Papst Franziskus: Ansprache in der orthodoxen Kathedrale

Hier lesen Sie die Ansprache, die Papst Franziskus vor dem Vaterunser-Gebet in der orthodoxen Kathedrale in Bukarest an diesem Freitag gehalten hat. Es handelt sich um eine offizielle deutsche Übersetzung. Die definitive Version finden Sie auf www.vatican.va

Eure Seligkeit, lieber Bruder,

liebe Brüder und Schwestern,

ich möchte meine Dankbarkeit und Ergriffenheit zum Ausdruck bringen, dass ich mich in diesem heiligen Gotteshaus befinde, das uns hier sammelt und eint. Jesus rief die Brüder Andreas und Petrus auf, ihre Netze zu verlassen, um gemeinsam zu Menschenfischern zu werden (vgl. Mk 1,16-17). Die eigene Berufung ist ohne die des Bruders unvollständig. Heute wollen wir hier, im Herzen des Landes, Seite an Seite das Gebet des Vaterunsers sprechen. Ein Inhalt dieses Gebetes ist unsere Identität als Kinder und, heute in besonderer Weise, als Brüder und Schwestern, die Seite an Seite beten. Das Gebet des Vaterunsers enthält die Gewissheit der Verheißung Jesu an seine Jünger »Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen« (Joh 14,18) und vermittelt uns das Vertrauen, das Geschenk des Bruders und der Schwester zu empfangen und anzunehmen. Deshalb möchte ich einige Worte zur Vorbereitung auf das Gebet sagen, mit dem ich für unseren Weg der Brüderlichkeit beten werde und dafür, dass Rumänien immer eine Heimat aller sein kann, ein Land der Begegnung, ein Garten, in dem Versöhnung und Gemeinschaft gedeihen.

Jedes Mal, wenn wir „Vater unser” sagen, bekräftigen wir, dass das Wort Vater nicht ohne das Wort unser stehen kann. Vereint im Gebet Jesu, vereint uns auch seine Erfahrung im Lieben und im Füreinander-beten, was uns veranlasst zu sagen: Mein Vater und euer Vater, mein Gott und euer Gott (vgl. Joh 20, 17). Es ist eine Einladung, das „mein“ zu einem „unser“ und das „unser“ zu einem Gebet werden zu lassen. Hilf uns, Vater, das Leben der Brüder und Schwestern ernst zu nehmen, und uns mit ihnen zu solidarisieren. Hilf uns, die Brüder und Schwestern nicht wegen ihrer Taten und ihrer Grenzen zu verurteilen, sondern sie vor allem als deine Söhne und Töchter anzunehmen. Hilf uns, die Versuchung zu überwinden, dass wir uns als ältere Söhne fühlen, die selbst im Mittelpunkt stehen wollen und darüber das Geschenk vergessen, das der Andere darstellt (vgl. Lk 15,25-32).

Du bist im Himmel, im Himmel, der alle umarmt und wo du die Sonne aufgehen lässt über Guten und Bösen, über Gerechten und Ungerechten (vgl. Mt 5,45). Wir bitten dich um jene Eintracht, die wir auf Erden nicht bewahren konnten. Um dies bitten wir auf die Fürsprache so vieler Brüder und Schwestern im Glauben, die gemeinsam in deinem Himmel wohnen, nachdem sie geglaubt, geliebt und viel gelitten haben, auch in unserer Zeit, allein wegen ihres Christseins.

Wie sie wollen auch wir deinen Namen heiligen, indem wir ihn ins Zentrum all unserer Interessen stellen. Dein Name, Herr, und nicht der unsere, möge uns antreiben und wachrütteln zur tätigen Nächstenliebe. Wie oft beschränken wir uns beim Beten darauf, etwas zu erbitten und irgendwelche Anliegen aufzulisten, vergessen dabei aber, dass das Wichtigste ist, deinen Namen zu loben, deine Person anzubeten und dann in der Person des Bruders und der Schwester, die du uns an die Seite gestellt hast, deinen lebendigen Widerschein zu erkennen. Hilf uns, Vater, inmitten so vieler Dinge, die vergehen und um die wir uns sorgen, das zu suchen, was bleibt: deine Gegenwart und die der Brüder und Schwestern.

Wir leben in der Erwartung, dass dein Reich komme: darum bitten wir und das ersehnen wir, weil wir sehen, dass die Abläufe der Welt dem nicht nachkommen, Abläufe, die sich an der Logik des Geldes, der Eigeninteressen und der Macht orientieren. Hilf uns, Vater, inmitten eines immer hemmungsloseren Konsumismus, der uns mit seinem glitzernden aber fahlen Schein betört, dass wir an das glauben, worum wir beten: dass wir auf die bequeme Sicherheit der Macht verzichten, auf die trügerischen Verführungen der Weltlichkeit, auf die hohle Vermessenheit, mit der wir uns als autark betrachten, auf die Heuchelei, mit der wir den Schein wahren. So werden wir das Reich, in das du uns berufst, nicht aus den Augen verlieren.

Dein Wille geschehe, nicht der unsere. Gottes Wille ist das universale Heil (vgl. Johannes Cassian, Unterredungen mit den Vätern, IX, 20). Wir müssen, Vater, unsere Horizonte erweitern, damit wir deinen barmherzigen Erlösungswillen, der alle umfasst, nicht durch unsere Grenzen beschränken. Hilf uns, Vater, indem du uns, wie zu Pfingsten, den Heiligen Geist sendest, den Urheber des Mutes und der Freude, damit er uns dazu bringt, die frohe Botschaft des Evangeliums über die Grenzen unserer Zugehörigkeiten, Sprachen, Kulturen und Nationen hinweg zu verkünden.

Jeden Tag brauchen wir ihn, der unser tägliches Brot ist. Er ist das Brot des Lebens (vgl. Joh 6,35.48), das uns erfahren lässt, dass wir geliebte Kinder sind, und das allen Hunger unserer Einsamkeit und unseres Verwaistseins stillt. Er ist das Brot des Dienstes: Er, der sich gebrochen hat, um unser Diener zu werden, verlangt von uns, dass wir einander dienen (vgl. Joh 13,14). Vater, wenn du uns das tägliche Brot gibst, nähre in uns die Sehnsucht nach den Brüdern und Schwestern und vermehre unser Bedürfnis, ihnen zu dienen. Indem wir um das tägliche Brot bitten, bitten wir dich auch um das Brot der Erinnerung, um die Gnade, die gemeinsamen Wurzeln unserer christlichen Identität zu stärken. Diese Wurzeln sind heute unentbehrlich, da die Menschheit und insbesondere die jüngeren Generationen Gefahr laufen, sich entwurzelt fühlen in der Unbeständigkeit dieser Zeit, auf die man sein Leben nicht gründen kann. Möge das Brot, um das wir bitten, mit seiner langen Geschichte, die von der Aussaat bis zum Fruchttragen, von der Ernte bis zum Mahl reicht, in uns den Wunsch wecken, geduldige Aussäer der Gemeinschaft zu sein, die nicht müde werden, Samen der Einheit zu säen, das Gute aufgehen zu lassen und immer an der Seite des Bruders und der Schwester zu arbeiten: ohne Verdächtigung und ohne Distanziertheit, ohne Zwänge und ohne Anbiederung, beim Zusammenkommen versöhnter Verschiedenheiten.

Das Brot, um das wir heute bitten, ist auch das Brot, das viele Menschen jeden Tag entbehren, während einige wenige im Überfluss leben. Das Vaterunser ist kein Gebet, das beruhigt, es ist ein Schrei angesichts der Hungersnot der Liebe unserer Zeit, angesichts des Individualismus und der Gleichgültigkeit, die deinen Namen, Vater, entweihen. Lass uns hungern nach der Hingabe unser selbst. Erinnere uns jedes Mal beim Beten daran, dass für das Leben nicht die Selbsterhaltung, sondern die Selbsthingabe notwendig ist; zu teilen, und nicht alles anzusammeln; andere zu nähren, bevor wir uns selbst sättigen, denn Wohlstand ist nur dann ein solcher, wenn er sich auf alle erstreckt.

Jedes Mal, wenn wir beten, bitten wir darum, dass uns unsere Schuld vergeben wird. Das erfordert Mut, denn gleichzeitig verpflichten wir uns, die Schuld zu vergeben, die andere uns gegenüber haben. Deshalb müssen wir die Kraft finden, unseren Brüdern und Schwestern von Herzen zu vergeben (vgl. Mt 18,35), so wie du, Vater, uns unsere Sünden vergibst: die Vergangenheit hinter uns zu lassen und die Gegenwart gemeinsam anzunehmen. Hilf uns, Vater, dass wir nicht der Angst nachgeben und in der Offenheit keine Gefahr sehen; dass wir die Kraft haben, einander zu vergeben und weiterzugehen, dass wir den Mut haben, uns nicht mit einem ruhigen Leben zufrieden zu geben und dass wir immer offen und ehrlich das Angesicht des Bruders suchen.

Und wenn das Böse, das an der Tür des Herzens lauert (vgl. Gen 4,7), dazu führt, dass wir uns verschließen; wenn die Versuchung uns abzusondern stärker wird und das Wesen der Sünde, die Entfernung von dir und unserem Nächsten, verdeckt, dann, Vater, hilf uns erneut. Ermutige uns, in den Brüdern und Schwestern jene Unterstützung zu finden, die du uns zugedacht hast, damit wir auf dich zugehen, und gemeinsam den Mut haben, zu sagen: „Vater unser“. Amen.

Und nun beten wir das Gebet, das der Herr uns gelehrt hat.

(vatican news –mg)

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31. Mai 2019, 16:00