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Papst Franziskus spricht im Lateran Papst Franziskus spricht im Lateran 

Papst an Priester: „Sind heute gerufen, Unausgeglichenheit zu ertragen"

Papst Franziskus hat vor der Versuchung gewarnt, die Kirche „aufräumen“ zu wollen. „Das würde bedeuten, die Dinge zu zähmen, die Jugendlichen zu zähmen, das Herz der Menschen zu zähmen“, sagte der Papst vor Priestern, Ordensleuten und Laien des Bistums Rom, zu denen er Donnerstagabend in der Lateranbasilika sprach.

Gudrun Sailer - Vatikanstadt

Der überzogene Perfektionsanspruch sei „die größte Sünde der Weltlichkeit und des weltlichen, gegen-evangelischen Geistes“, formulierte der Papst. Die Priester hatten zuvor von den Herausforderungen ihres Dienstes gesprochen und sie als „Ungleichgewichte“ in der Stadt, bei Jugendlichen, in Familien dargestellt. Es gehe heute nicht darum, „aufzuräumen“, antwortete ihnen der Papst. „Wir sind heute dazu gerufen, das Ungleichgewicht zu ertragen. Wir können nichts Gutes, Evangeliengemäßes tun, wenn wir Angst vor dem Ungleichgewicht haben.“ Das Evangelium selbst sei „eine unausgeglichene Lehre“, so der Papst: „Nehmt nur die Seligpreisungen her, sie verdienen den Nobelpreis für Unausgeglichenheit“.

Zum Nachhören

Franziskus verdeutlichte seinen Gedankengang am Beispiel eines hoch funktionell ausgestatteten Bistums, in dem geordnet in Büros viele Spezialisten an Problemen arbeiteten. Die betreffende Diözese, Franziskus nannte ihren Namen nicht, habe „mehr Angestellte als der Vatikan“, aber sie entferne sich „jeden Tag weiter von Jesus Christus, weil sie die Harmonie zum Kult erhebt, die Harmonie der funktionalistischen Weltlichkeit. Wir sind in diesen Fällen in die Diktatur des Funktionalismus gefallen“. Das Problem dabei ist aus der Sicht des Papstes, dass das Evangelium dabei „zur Weisheit, zur Lehre“ werde, aber nicht zur Verkündigung. Eine Abkehr von der Verkündigung zeige sich auch im Erfinden von „Synoden und Gegensynoden“, das seien Versuche, Dinge „aufzuräumen“. Bei wirklichen Synoden brauche es den Heiligen Geist. „Der Heilige Geist gilt dem Tisch einen Fußtritt, wirft ihn um und fängt von vorne an.“

„Die Reform der Kirche beginnt mit der Demut“

Zwei Dinge seien unerlässlich für eine wirkliche Reform in einem Bistum, fuhr der Papst fort: Demut und Verzicht auf Eigeninteresse. „Die Reform der Kirche beginnt mit der Demut, und die Demut wird geboren und wächst mit den Demütigungen“, so Franziskus bei der Diözesanversammlung. Die „Kleinen“, von denen das Evangelium spricht, seien das Maß, „wer immer sie auch sein mögen, die Jugendlichen, die verwaist oder im Tunnel der Droge gelandet sind, leidgeprüfte Familien, deren Beziehungen kaputt sind, Sünder, Arme, Ausländer, Menschen, die den Glauben verloren haben, Menschen, die nie geglaubt haben, Alte, Behinderte, Jugendliche, die im Müll nach Essen suchen… wehe dem, der die Kleinen von oben nach unten anschaut und sie verachtet.“

Es gebe, so der Papst, für einen Priester nur einen einzigen Moment, in dem es legitim sei, eine Person von oben nach unten anzuschauen: „um ihr aufzuhelfen“. Wer ohne Demut sei, werde nie ein guter Verkünder des Evangeliums, „weil er denkt, dass die anderen bloß Feinde sind, Gottlose, und er wird die Gelegenheit versäumen, ihren inneren Schrei zu hören, der oft ein Schmerzensschrei ist und ein Traum nach einem Anderswo, in dem sich die Sehnsucht nach Rettung zeigt.“

„Viele geben es auf, Hirten für Schafe zu sein, und werden Friseure exquisiter Schafe“

Franziskus rief die Priester, Ordensleute und Laien auch zum Überwinden von Eigeninteressen auf. Der gute Hirte im Evangelium, der das eine verlorene Schaf sucht, habe nur ein einziges Interesse: dass keines verloren geht. „Das Desinteresse für sich selbst ist die notwendige Bedingung, um erfüllt zu sein vom Interesse für Gott und für die anderen“, so der Papst. Und er warnte vor der „Sünde des Spiegels“, der Selbstbezogenheit. „Wir sind oft besessen vom Gedanken an die wenigen Schafe, die noch im Gehege sind. Und viele geben es auf, Hirten für Schafe zu sein, und werden Friseure exquisiter Schafe. Es ist hässlich: Wir finden nicht den Mut, die anderen zu suchen, die, die sich verirrt haben. Bitte, überzeugen wir uns, dass zum Wohl der Mission alles verdient, aufgegeben zu werden: den Stolz aufgeben, demütig sein, das Wohlbefinden aufgeben, das Eigeninteresse.“

Eindringlich bat der Papst die Priester seines Bistums, bedürftigen Menschen den Schatz der Seligpreisungen anzubieten, nämlich „die Freude der Begegnung mit der Barmherzigkeit Gottes, die Schönheit eines gemeinsamen Lebens als Familie, wo jeder aufgenommen wird, wie er ist, in wirklich humanen Beziehungen voller Milde“. Franziskus erzählte von einer Begegnung mit einer Ordensfrau namens Genevieve, die er am selben Morgen mit einer Gruppe Roma und Sinti empfangen hatte. „Sie lebt seit 50 Jahren mit ihnen, auch mit Zirkusleuten, in einem Wohnwagen. Einfach: sie betet, lächelt, liebkost, sie tut Gutes mit den Seligpreisungen. Die armen Mittel des Zuhörens, des Dialogs, die Begeisterung, miteinander zu arbeiten, mit Mut, für Gerechtigkeit und Frieden, die gegenseitige Hilfe im Augenblick der Müdigkeit und der Verfolgung. Der tägliche Glanz, mit reinem Herzen das Antlitz Gottes in der Liturgie zu betrachten, im Hören auf das Wort, im Gebet, in den Armen. Findet ihr, es ist wenig, das alles? Das ist der Weg.“

„Seligpreisungen sind nicht unser Hauptgericht“

Die Seligpreisungen, fuhr der Papst kritisch fort, seien „nicht unser Hauptgericht“. Wo aber die Seligpreisungen gelebt würden, „dort blüht der Glaube auf, schlägt Wurzeln, wird Teil des Weinbergs, der die Kirche ist“. Abermals bat Franziskus die Priester, nicht das Bild einer Gemeinschaft der Hochmütigen und der Gleichgültigen zu bieten. Sein Almosenmeister habe im Büro die Fotografie eines jungen Künstlers aufgehängt, Franziskus beschrieb es: eine gepflegte, ältere Frau im Pelzmantel, die in einer Winternacht aus einem Restaurant tritt; davor sitzt auf der Straße eine Bettlerin, in Fetzen gekleidet. „Und die elegante Frau schaut in die andere Richtung. Diese Fotografie heißt Gleichgültigkeit. Geht sie auch ansehen.”

Zwei Aufgaben stellte der Papst den Priestern, Ordensleuten und engagierten Laien in seinem Bistum. Zum einen: das Leben der Menschen in Rom „mit einem kontemplativen Blick“ zu betrachten, Junge und Alte, und Lebensgeschichten zu sammeln. Es gehe darum, „die Wirklichkeit zu berühren. Der Tastsinn ist von den fünf Sinnen der tiefste, der vollständigste.” Die zweite Aufgabe: auch die neuen Kulturen in der Stadt mit einem kontemplativen Blick zu betrachten. In einer Stadt entstünden laufende neue Kulturen, neue Erzählungen, Symbole, Muster, Sprachen, Botschaften. „Sie verstehen. Sie finden und verstehen“, empfahl der Papst.

Diese neuen Kulturen brächten Gutes und Schlechtes hervor. Das Schlechte trete oft sehr sichtbar hervor in Form von Gewalt, Bestechung, Kriminalität, Drogen- und Menschenhandel, Kindesmissbrauch, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Auch Populismus nannte der Papst, das sei ein „kulturelles Weltphänomen“ unserer Tage, „zumindest in Europa“, das wachse, indem es Angst verbreite. Es gebe aber auch das Gute, es gebe „positive und fruchtbare Orte, wo Bürger sich treffen und konstruktiv und solidarisch miteinander sprechen“. So entstehe ein Gewebe, „in dem Menschen und Gruppen verschiedene Arten teilen, das Leben zu träumen“.  

(vatican news)

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10. Mai 2019, 10:01