Im Wortlaut: Ansprache vor der Roma-Gemeinschaft
Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!
Ich freue mich, euch zu treffen, und danke euch für eure freundliche Aufnahme. Du, Pater Ioan, du irrst nicht, wenn du diese feste Überzeugung bekundest – auch wenn sie manchmal vergessen wird: in der Kirche Christi ist Platz für alle. Die Kirche ist ein Ort der Begegnung. Wir müssen das in Erinnerung behalten, nicht als wäre es ein schöner Slogan, sondern weil es zum Personalausweis unseres Christseins gehört. Daran hast du uns erinnert, als du als Beispiel den Märtyrerbischof Ioan Suciu genannt hast. Er hat in konkreten Gesten den Wunsch Gottes des Vaters sichtbar gemacht, jeden Menschen in der Freundschaft und im Teilen der Güter zu begegnen. Die Frohbotschaft wird durch die Freude vermittelt, einander zu begegnen und zu wissen, dass wir einen Vater haben, der uns liebt. Wenn wir uns von ihm anschauen lassen, verstehen wir, wie wir uns untereinander ansehen müssen. Mit dieser Geisteshaltung wollte ich eure Hände schütteln, euch in die Augen blicken, euch in mein Herz, in mein Gebet lassen im Vertrauen darauf, dass auch ich in eure Gebete und eure Herzen Einlass finde.
Ich trage aber in meinem Herzen eine Last. Es ist die Last der Diskriminierungen, der Absonderungen und der Misshandlungen, die eure Gemeinschaft erlitten hat. Die Geschichte sagt uns, dass auch Christen, Katholiken an diesem großen Leid nicht unbeteiligt sind. Dafür will ich um Vergebung bitten. Im Namen der Kirche bitte ich den Herrn und euch um Vergebung dafür, wenn wir euch im Laufe der Geschichte diskriminiert, misshandelt oder falsch angeschaut haben, mit dem Blick Kains statt Abels, und wenn wir unfähig waren, eure Besonderheit zu erkennen, wertzuschätzen und zu verteidigen. Kain geht es nicht um seinen Bruder. Die Gleichgültigkeit züchtet Vorurteile und Hass. Wie oft urteilen wir voreilig, mit verletzenden Worten, mit Haltungen, die Hass säen und Distanz fördern! Wenn jemand zurückgelassen wird, kann die Menschheitsfamilie nicht vorwärtsschreiten. Wir sind weder wirklich Christen noch Menschen, wenn wir nicht fähig sind, vor ihren Handlungen, vor unseren Urteilen und Vorurteilen die Person zu sehen.
In der Menschheitsgeschichte gibt es immer Kain und Abel. Es gibt immer eine ausgesteckte Hand und eine, die zuschlägt. Es gibt Offenheit für die Begegnung und Verschlossenheit des Konfliktes. Es gibt Annahme und Aussonderung. Mancher sieht im Nächsten einen Bruder und mancher ein Hindernis auf seinem eigenen Weg. Es gibt die Kultur der Liebe und die des Hasses. Jeden Tag muss man wählen zwischen Kain und Abel. Wie vor einem Scheideweg tut sich vor uns oft eine entscheidende Wahlmöglichkeit auf: den Weg der Wiederversöhnung nehmen oder den der Vergeltung. Wählen wir den Weg Jesu. Das ist ein mühsamer Weg, aber der Weg, der zum Frieden führt. Und er geht über die Vergebung. Lassen wir uns nicht von dem Groll in uns mitziehen: seien wir nicht nachtragend. Denn kein Übel bringt eine anderes Übel in Ordnung, keine Rache macht eine Ungerechtigkeit wieder gut, keine Verbitterung tut dem Herzen gut, keine Verschlossenheit bringt uns dem anderen näher.
Liebe Brüder und Schwester, ihr als Volk habt eine Hauptrolle auszufüllen. Ihr müsst keine Angst davor haben, eure besonderen Merkmale, die eure Identität ausmachen und euren Weg prägen und die wir alle so nötig haben, mit uns zu teilen: den Wert des Lebens und der Großfamilie (Vettern und Cousinen, Onkel und Tanten …); die Solidarität, die Gastfreundschaft, die Hilfe, Unterstützung und Verteidigung des Schwächsten innerhalb ihrer Gemeinschaften; die Wertschätzung und den Respekt gegenüber den Älteren; die religiöse Bedeutung des Lebens, die Spontaneität und die Lebensfreude. Versagt der Gesellschaft, in der ihr lebt, nicht diese Gaben und seid auch bereit, all die guten Dinge anzunehmen, die euch andere anbieten und bringen können. Deshalb möchte ich euch einladen, dort wo ihr euch befindet, zusammen voranzugehen auf dem Weg zum Aufbau einer menschlicheren Welt. Lasst die Ängste und Verdächtigungen hinter euch, lasst die Barrieren, die uns von den anderen trennen, fallen und nährt das gegenseitige Vertrauen auf dem Weg der geduldigen, nie vergeblichen Suche nach Brüderlichkeit. Setzen wir uns dafür ein, gemeinsam voranzugehen mit Würde: mit der Würde der Familie, der Würde, sich jeden Tag das Brot zu verdienen – das treibt dich an, weiter zu machen – und der Würde des Gebets. Immer mit dem Blick nach vorne gerichtet (vgl. Gebetstreffen mit dem Volk der Sinti und Roma, 9. Mai 2019).
Dieses Treffen ist das letzte auf meinem Besuch in Rumänien. Ich bin in dieses schöne und gastfreundliche Land als Pilger und Bruder gekommen, um Menschen zu begegnen. Jetzt kehre ich reich beschenkt nach Hause zurück und nehme die Orte und Momente, vor allem aber die Gesichter mit. Eure Gesichter werden meine Erinnerungen bereichern und in meinen Gebeten präsent sein. Ich danke euch und nehme euch in meinem Herzen mit. Und jetzt segne ich euch, aber vorher bitte ich euch um einen großen Gefallen: Betet für mich. Danke!
(vatican news)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.